Rechte Wutbürger

Wird eine neue Form des Rechtsextremismus salonfähig?

Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) warten am 01.12.2014 auf dem Terrassenufer in Dresden (Sachsen). Sie wollten zum Theaterplatz marschieren, wurden daran aber von Gegendemonstranten gehindert.
Teilnehmer einer Demonstration des "Pegida"-Bündnisses am 01.12.2014 in Dresden © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Jenni Roth · 12.01.2015
Sie sind gegen die "Lügenpresse" und verweigern sich deshalb den meisten Medien. Ein Besuch bei den Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen – verbunden mit der Frage, ob in Dresden eine neue Form des Rechtsextremismus salonfähig wird.
Lutz Bachmann: "Willkommen zum 9. Spaziergang gegen Glaubenskriege und für die Meinungsfreiheit."
Dresden, ein Montagabend im Dezember 2014. Mehr als 15.000 Menschen haben sich auf einem Platz gegenüber vom Rathaus gesammelt. Um 18.30 Uhr ergreift Lutz Bachmann mit deutscher Pünktlichkeit das Wort.
Bachmann: "Es ist wieder Montag und wir haben eine Woche des medialen und politischen Rundumschlags der Realitätsverweigerer hinter uns. Über den NRW-Innenminister Jäger, der uns als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet. Und auch Justizminister Maaß seierte, eine "Schande für Deutschland" seien wir. Ich bezeichne uns als Menschen. Als Menschen mit Ängsten und Sorgen, welche von eben diesen Politikern und Kollegen über Jahrzehnte vernachlässigt wurden."
Lutz Bachmann ist selbst erklärter "Ausländerfreund" und der Frontmann von Pegida, der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes".
Bachmann: "Pegida ist keine One-Man-Show, sondern das Ergebnis verfehlter Politik, auf die hin sich ein 12-köpfiges Orgateam gefunden hat. Angefangen von verpatzter Integrationspolitik unser Blockflötenparteien, über unsägliche Renten- und Sozialpolitik und Kriegstreiberei unserer Regierung wie das aktuelle Beispiel Russland zeigt. Es wird mit Säbeln gerasselt, es werden Sanktionen verhängt, keine Rücksicht genommen auf Arbeitsplätze in Europa, auf Frieden. Das alles, liebe Medien und liebe Politiker, sind .... Weshalb so viele hier sind. Wie man wieder bei Günter Jauch feststellen konnte, haben Wissenschaftler Hochkonjunktur, uns alle als Verlierer mit Abstiegsängsten vorzuführen.
Ich bin der Meinung, dass genau die Leute Angst haben, dass ihr merkt, dass ihr keine Verlierer seid, dass ihr Macht habt, dass ihr denen zeigt, von wem alle Macht ausgeht! Wir sind das Volk! Trugschluß! Lasst sie diskutieren und rätseln in ihren Talkrunden. Sie werdens nicht begreifen. Sie haben Kontakt zu Basis längst verloren und Wähler verraten. Unser Pegida-Positionspapier enthält 19 Punkte, in denen wir unsere Ziele klar darstellen. In den Medien finde ich nur 2 bis 3 Punkte, was gerade passt."
"Wir sind das Volk!"
Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung mit Plakaten in Dresden
Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung mit Plakaten in Dresden© dpa / picture alliance / Arno Burgi
In den Forderungen tauchen asylkritische Aspekte auf, etwa eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten" – die könnten aber auch aus dem Parteiprogramm der CSU stammen. Tatsächlich finden sich im Positionspapier Punkte, die man am rechten Rand kaum vermuten würde, etwa: "Pegida ist für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten. Das ist Menschenpflicht!" Diese Flüchtlinge sollten dezentral untergebracht werden statt in teils menschenunwürdigen Heimen. Und: "Pegida ist für sexuelle Selbstbestimmung."
Aber wie ernst ist das Papier zu nehmen? Die Worte Glaubenskriege und Abendland kommen darin gar nicht vor. Der Islam an gerade mal zwei Stellen. Und auf den Montagsdemos erwähnt Bachmann keinen der Punkte – das würde vielleicht nicht so gut ankommen bei den Demonstranten, die im Oktober in Dresden erstmals auf die Straße gingen. Anfangs waren es nur ein paar Hundert, bald 18.000. Heute sind es vermutlich noch mehr.
Gegen Scharia und Kopftuchpflicht
Es ist ein wenig eigenartig: In Dresden demonstrieren inzwischen weit mehr Menschen gegen Muslime, als es in Dresden Muslime gibt. Viele von ihnen tragen große Deutschlandfahnen. Andere halten Transparente in die Höhe, auf denen steht: "Parteien an die Macht, Bürger Gute Nacht!" Oder: "Lügenpresse, halt die Fresse! Das einzige was stimmt ist der Wetterbericht." Und: "Vermisstenanzeige: Wir vermissen unser Land! Es hatte folgende Eigenschaften: Meinungsfreiheit. Redefreiheit. Pressefreiheit. Demokratie. Christlich-jüdische Abendlandkultur. Frieden, Sicherheit, Geborgenheit, Solidarität und Anstand. Stärke, Recht, Freiheit. Sollten Sie dieses Land irgendwo sehen, helfen Sie es zu bewahren!"
Virchow: "Was wir dort sehen, ist eine in dieser Form neue Zusammenkunft von Menschen, die aus unterschiedlichen Spektren kommen. Eine Mischung aus Leuten, die Befürchtungen haben, was die gewalttätige islamistische Strömung angeht. Das hat was damit zu tun, dass es im Mittleren Osten politischen Akteur gibt, den Islamischen Staat, der mit seinem Auftreten Wertvorstellungen verletzt, die Menschenrechten widerspricht. Wenn man diese Bilder aufruft, die von IS produziert werden, hat man wirkmächtiges Material, mit dem argumentieren kann. Dann gibt es eine Vielzahl von Menschen, die Probleme haben mit der Einwanderungs- und Asylpolitik. Das Label, das da drüber steht, dass man gegen die Islamisierung sei, das ist nur ein Label. Es geht um viel grundsätzlichere Kritik oder auch Ablehnung aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und das macht sich nur an diesem Begriff fest."
Fabian Virchow, Extremismusforscher an der Fachhochschule Düsseldorf, beobachtet, dass Pegida ein Ventil für allerlei Frust geworden zu sein scheint. Geschickt setzt Lutz Bachmann die Themen auf die Tagesordnung, mit denen er die Menschen gerade am besten mobilisieren kann. Zuerst trugen die Demonstranten Plakate „gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden". Das funktionierte auch wegen der zeitgleichen Krawalle der Kölner „Hooligans gegen Salafisten". Dann holte Bachmann mit Stichworten wie Scharia, Kopftuchpflicht oder einer drohenden Umbenennung von Weihnachtsmärkten auch "unverdächtige" Bürger auf die Straße. Später ging es um "Flüchtlingswellen", "kriminelle Asylbewerber", und die "Kriegstreiber in der Bundesregierung".
Ein Pappschildl: "Schluss mit der GEZ-Diktatur und Lügenpresse".
Als Journalist ist es schwer, mit Pegida-Demonstranten zu sprechen. Einige Anhäger der Bewegung betrachten die Medien pauschal als Lügner.© picture alliance / dpa
Will man allerdings von den Demonstranten selbst wissen, warum sie auf die Straße gehen, kommt man nicht weit.
"Auf der Demonstration"
"Hallo, ich bin vom Dradio und wollte wissen, warum Sie hier sind?"
"Neee! Nicht ihr Ernst!"
"Ne!"
"Nein!"
Aber dann finden sich doch noch ein paar, die auch der Presse gegenüber loswerden wollen, was alles schief läuft in Politik und Gesellschaft:
"Wir wollen kein Neukölln. Wir haben Berichte verfolgt, Buschkowsky, das wollen wir hier nicht. Ich bin '35 geboren, ich hab drei Gesellschaftsordnungen miterlebt, man durfte den Mund nicht aufmachen, ich stand '89 kurz vor Verhaftung. Und jetzt werden wir als Nazis hingestellt wegen einer Sache, die nicht stattfinden darf. Wissen Sie denn, was in Neukölln los ist? Wie die Jugendlichen, Ausländer sich benehmen? Das wollen wir hier nicht in Dresden."
"Das Unverständnis ist unter den Bürgern da. Da kommen keine Familien mit Kindern aus dem Kriegsgebiet, das würde ich einsehen. Ne, da kommen Tunesier, junge Männer, Kriegsdienstverweigerer, ausschließlich junge Männer kommen da hin! Für Djerba gibt's so schöne Angebote, das kann ich mir nicht vorstellen, das sind offensichtlich Wirtschaftsflüchtlinge."
"Das zentrale Problem ist das der generellen Globalisierung, TTIP, Ceta. Man denkt, das hat nichts mittelbar nichts zu tun, aber das ist die wesentliche Ursache. Wenn wir da nicht aufpassen, gibt's den 3. Weltkrieg, weil die Waffen- und Öllobby gar nicht will, dass Frieden in Afrika wird."
Klingt ziemlich links. Und macht es nicht einfacher, die Ideen der Demonstranten auf einen Nenner zu bringen. Aber wenn Pegida in ihrem Namen den Untergang des Abendlandes beschwört, erinnert das an Verschwörungstheorie. Und wenn Pegida im Besitz einer indiskutablen Wahrheit ist, greifen rationale Argumente nicht mehr, wie auch der Berliner Politologe Hajo Funke beobachtet:
"Sie unterstellen mit diesen Botschaften: Es gibt einen Kampf der Kulturen, und da muss man sich auf eine Seite schlagen, wir sind schon mittendrin im Krieg."
Noch ist Pegida unzureichend strukturiert
In diesem Krieg kämpfen wütende, verunsicherte Bürger. Asylkritiker, Islamgegner, Amerikahasser, Russlandfreunde, Systemverweigerer, Fans von Thilo Sarrazin oder Akif Pirincci, dem Autor von "Deutschland von Sinnen".
Was alle eint, ist ein diffuse Angst, beobachtet Frank Richter, Chef der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung:
Richter: "Pegida hat ja noch keine klare Struktur, keine repräsentative Führung, sondern ist ein allgemeines breites Demonstrationsgeschehen. Ich habe viele Emails und Briefe, wo viele im 3., 4. Satz zur Kenntnis geben, ich gehe auch zu Pegida, möchte aber was ganz andres fragen. Und ich möchte auf eine weitere Gruppe hinweisen, die am schlechtesten zu identifizieren ist: Die ein tiefgreifendes allgemeines Unbehagen mit ihrer Lebenssituation haben, die nur kleine Einkommen haben, in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten müssen, die fremd in eigener Heimat geworden sind, weil sie vielleicht in einem Alter sind oder nicht Bildungsstand haben, die schnellen Veränderungsprozesse in unserer Gesellschaft mitzumachen. Die vieles auch nicht verstehen. Das wird im Pegida-Phänomen auch klar, dass es große Defizite in der politischen Bildung gibt und im Verständnis, wie unsere Mediensysteme funktionieren. Also eine Gruppe, die Unbehagen zum Ausdruck bringt und in Pegida einen Kanal gefunden hat, wo das eingespeist werden kann. Was mir menschlich-moralisch Sorgen macht: Dass Schwache und Verlassene und Zurückgebliebene oft nach unten treten. Dh. auf die, die Aggressionen ablassen, die noch schlechter sind als sie selbst, in dem Fall die Flüchtlinge."
Die Integrationsministerin von Sachsen, Petra Köpping (SPD), hier vor einem Plakat von Demonstranten gegen die Pegida-Bewegung.
Die Integrationsministerin von Sachsen, Petra Köpping (SPD), hier vor einem Plakat von Demonstranten gegen die Pegida-Bewegung.© picture alliance / dpa / Arno Burgi
In Dresden finden sich AfD-Wähler und -Mitglieder ebenso wie Michael Stürzenberger, Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen Kleinpartei "Die Freiheit" und regelmäßiger Autor im islamfeindlichen Blog "Politically Incorrect".
Stürzenberger: "Ich bin hier, weil ich in dieser großen Demo von wieder mal über 10.000 Bürger dabei sein, will, die friedlich demonstrieren, die über Missstände aufklären, die Politiker auffordern wollen, endlich was gegen die Probleme zu tun: Unkontrollierte Asylantenschwemme, Islamisierung, all die Probleme, die wir zweifelsfrei haben, aber die offensichtlich von Medien und Politik verschwiegen werden."
"Kann man denn von Islamisierung sprechen, in Deutschland gibt es aber doch nur 4% Muslime?"
"Aber die 4 Prozent machen mächtig Ärger. Es gibt Ehrenmorde, Schächtungen von Tieren, Scharia als Gegenentwurf zum Grundgesetz, Frauenunterdrückung, Parallelgesellschaften, Gewaltproblem unter Muslimen, was zu erklären ist mit ihrer Ideologie. Aber das wird totgeschwiegen. Wir sind hier, um das Tabu aufzubrechen."
Sicher ist streitbar, ob Burkas mit unseren Vorstellungen von Menschenrechten vereinbar sind. Und man könnte fragen, warum etwa die reichen Golfstaaten keine Flüchtlinge aufnehmen. Ob die Regierung keinen Druck auf diese Länder ausübt, um sich ihre Waffengeschäfte nicht zu vermasseln. Aber gleich den Untergang des Abendlandes beschwören? Überhaupt, das Abendland – ein altmodisches Wort. Dass Pegida es wiederbelebt, ist angesichts seiner Geschichte bizarr: Nach der Niederlage von Stalingrad bedienten sich die Nazis der Idee vom Abendland, um den Krieg als – von Deutschland geführten – Kampf ganz Westeuropas gegen den Bolschewismus darzustellen. Hitler gab sich als Kämpfer für ein geeintes Europa als Bollwerk gegen barbarische Horden aus dem Osten.
Und wie passt es zusammen, dass einschlägige Rechtsaußenakteure für den Erhalt „christlich-jüdischer" Werte auf die Straße gehen? Immerhin: Bei den vielen Tausend Demonstranten sind sie mittlerweile klar in der Minderheit. Und die Organisatoren wollen nicht in die rechte Ecke gestellt werden, betont auch Kathrin Oertel, die jetzt auf die Bühne tritt:
Oertel: "Liebe Presse, ich muss euch leider sagen: Wir sind alle rechts! Wir sind Patrioten, wir lieben unser Vaterland, unsere Heimat, wir wollen sie beschützen. Deshalb sind wir weder radikal noch schmeißen wir mit Steinen wie Linksextremisten. Noch beleidigen wir unsere Polizei, die uns heute wieder ganz toll unterstützt. Wir wollen unsere deutsche Identität erhalten, unsere Sitten und Bräuche, ohne einen rechtsextremen Stempel zu tragen. Wir wollen uns hier für Heimat und Vaterland einsetzen, im Gegensatz zu „Dresden Nazifrei", die größte Unterstützung von der Stadt bekommen hat mit ihren Parolen gegen Vaterland und Heimat. Da frag ich mich: Was macht ihr eigentlich noch hier? In unserem Land liegen die Prioritäten auf deutschen Gesetzen, deutschen Sitten und deutschen Bräuchen. Und wem das „Deutsch" hier nicht gefällt, der ist dann wahrscheinlich in Deutschland auch falsch."
Funke: "Über 20 Jahre haben wir immer wieder Rechtsextremismus gehabt in Gestalt des neonazistischen Rechtsextremismus, der NPD und des Umfelds, bekannt geworden auch als NSU. Das Umfeld war aber weiter: freie Netze, zuvor freie Kameradschaften. Das Kennzeichen war, dass sie rechtspopulistische Themen, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Islamfeindlichkeit aufgenommen haben und oft in Gewalt radikalisiert haben. Neu ist, dass man gewissermaßen umgekehrt vorgeht, von diesen Stimmungslagen, und sie aufbauscht und zum Gegenstand von Demonstrations-Mobilisierung macht und dazu die Asyl-Flüchtlingslage nutzt."
Rechtspopulismus ist flexibel
Hajo Funke beobachtet die rechte Szene in Deutschland seit Jahren – und weist darauf hin, dass rechte Tendenzen zunehmend salonfähig werden. Erst kürzlich ging in Vorra bei Nürnberg eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Flammen auf und weckte dunkle Erinnerungen an Solingen oder Rostock-Lichtenhagen, wo in den 90er Jahren Asylsuchende am lebendigen Leib verbrannten. Das vergiftete geistige Klima werde von Politikern befeuert, die schärfere Asylgesetze fordern, gegen Sozialschmarotzer wetterten und mit Begriffen wie „Flüchtlingsflut" den Eindruck von etwas Übermächtigen, Gefährlichen aufriefen.
Funke: "Die Flexibilität – das ist das Kennzeichen des Rechtspopulismus: Wie ist die Stimmung, ich mach's mal bisschen anders, da komm ich besser durch an die Massen. Sie haben gesagt: Wir sind ein offenes Land, wir sind dafür, dass Flüchtlinge kommen. Aber nicht so viele, und nicht diese und nicht die Wirtschaftsflüchtlinge, und nicht Islamflüchtlinge, und und. Dieses "Ja Aber" ist eins der Kennzeichen."
Befeuert wird diese Tendenz zum einen durch islamistischen Terror. Wohl noch ausschlaggebender sind die wachsenden Flüchtlingszahlen. Und angesichts der Krise in Nahost werden es 2015 wohl noch mehr werden, während die Politik ratlos zusieht.
Funke: "Da ist 2. eine unzureichende Arbeit politische Arbeit mit diesen Flüchtlingen, mit der Unterbringung, Versorgung, Deutschkursen. Man hat monatelang zwischen Ländern und Bund gestritten ob man ein paar Millionen mehr braucht in den Kommunen. Hat riskiert, dass sich das ein halbes Jahr hingezögert hat. Altmaier vom Bundeskanzleramt hat das geahnt, da muss man was machen und hat was gemacht. Aber bis das umgesetzt ist, hat man erstmal die Bayern-Kaserne in München verrotten lassen und daraus ein Argument draus gemacht: Wir haben zu viele, wir können das nicht leisten. What a shit. Das dritte ist, dass die Bereitschaft zur Islamphobie ohnehin weit verbreitet ist. Der Unterschied ist, dass man es jetzt mobilisiert. Dazu ist 4. das Angebot wichtig. Ich stehe als Lutz Bachmann und AfD dafür ein, endlich mal gegen die zu mobilisieren."
"Lügenpresse! Lügenpresse!"
Lutz Bachmann selbst will ebenso wenig wie die meisten seiner Anhänger dazu Stellung nehmen:
"Hallo, ich bin vom Deutschlandradio..."
Bachmann: "Beileid, weil mit Ihnen reden wir nicht, haha. Wir reden grundsätzlich nicht mit der Presse."
Auch neutrale Vermittler haben Probleme, mit den Organisatoren ins Gespräch zu kommen. Etwa Frank Richter, Chef der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung:
Richter: "Wenn so viele Menschen auf Straße gehen, ist hier ein politisches Phänomen zu bemerken, das wir nicht einfach zur Seite schieben können. Das heißt, es muss etwas dafür getan werden, dass diese Gruppe in einen öffentlichen fairen demokratischen Diskurs eingebunden wird. Die Gesprächsverweigerung von Pegida war in dem Zusammenhang bemerkenswert, bedrückend. So haben meines Wissens viele Einrichtungen Gesprächsangebote in Richtung Pegida gesendet, so auch die Landeszentrale."
Wenig Erfahrung mit Einwanderern
Bisher ohne Erfolg. Im Dezember hatte Pegida ihre Teilnahme für eine Podiumsdiskussion der Landeszentrale zugesagt. Wenige Stunden vor Veranstaltungsbeginn waren jedoch plötzlich alle krank.
Die Bewegung gibt sich als Blackbox – des Schweigens, der Unzufriedenheit.
"Wir sind das Volk!"
"Wir sind das Volk" – diese Parole gab es schon einmal: 1989. Kapert Pegida mit ihren Montagsdemonstrationen und Parolen die Geschichte?
Funke: "Das Codewort, „Wir sind das Volk", wird hierzu missbraucht. Damals war es eine Kampfvokabel gegen autoritäre Verhältnisse der DDR. Heute ist es, um sich selbst zum Volk zu ermächtigen, um etwas Bestimmtes zuzuspitzen."
"Lügenpresse! Lügenpresse!"
Auffällig ist allerdings: Die Bewegung geht von Dresden aus und ist hier beispiellos stark. Mancher Experte versucht es mit klischeehaften Erklärungen. Etwa, dass "die Ostdeutschen es nicht gewohnt seien, Konflikte auszutragen, da sie das Prinzip von Konflikt und Konsens nie gelernt hätten. Sie "steckten vordergründig ein, intrigierten aber hintenrum".
Wahr ist: Im Osten gab es wenig Einwanderung, also auch wenig Erfahrungen mit Einwanderern. Und vielleicht geht es bei Pegida auch um ein unbewältigtes Stück deutscher Geschichte, um eine nachgeholte Wende-Wut: Nicht nur die DDR hat die Ostler geprägt, sondern vor allem die Nachwendezeit. Nach dem Mauerfall verloren viele ihre Arbeit, und mussten sich aus diesen Trümmerjahren eine neue Identität erschaffen.
Funke: "Die Ohnmacht war Anfang 90er in Ostdeutschland sehr verbreitet. Diese Ohnmacht ist nur begrenzet wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitisch zeitgerecht angegangen worden. Kohl hat die Öffentlichkeit getäuscht, er hat bewusst gelogen, als er meinte, es gebe blühende Landschaften, wenn man nur die D-Mark hat. Nun kommt hinzu, dass die D-Mark, für die man gekämpft hat, entzogen wurde zugunsten des Euros. Von dem man wiederum abhängig ist, von den Konjunkturen des Euro in der Eurozone. Sie sehen, dass Anlässe existieren, die tief in die Familien eingegriffen haben. Ein Teil hat sich in zwei Jahrzehnten rechtsradikalisiert in der nächsten Generation."
Also ein soziales und kulturelles und politisches Erschütterungsfeld. Und Pegida bietet ein Forum dafür.
Funke: "Das ist das Aufschäumen von Volkes Wut, von Stimmungen. Und es ist so wie am Stammtisch: Man kann gegen andere wüten und falsche Emotionen mobilisieren. Der Rausch ist Ressentiment. Hannah Arendt hat das als „Mobilisierung des Mob" beschrieben. Der Mob muss nicht gewalttätig sein. Aber die Bereitschaft zur Gewalt wird so immer niedrigschwelliger. Sie haben dann im Rausch, in der großen Masse, so diffus und auf eine Dynamik gerichtet, nämlich: Wir müssen den Untergang, d.h. unserer Gesellschaft, Identität abwehren, das muss mit allen Mitteln geschehen, die wir vertreten können gegen diesen Islam. Das ist eine solche Generalisierung, dass in „das ist unser Feind", in der Feindbeschwörung, das Problem liegt."
Frank Richter von der Landeszentrale für Politische Bildung warnt aber davor, die Menschen vorschnell zu diskreditieren.
Richter: "Wir dürfen sie nicht zur Rechenschaft ziehen, dass wir jedes einzelne Wort auf Goldwaage legen. Es kann doch nicht sein, dass wir von einem Demonstranten erwarten, dass er drei Semester Politikwissenschaft studiert hat, und alles politisch korrekt ausdrücken kann. Die Straße ist der Ort, das ist in der Demokratie so vorgesehen, wo man Unmut ausdrücken kann. Was da geschieht, ist vom Grundgesetz gedeckt. Darüber hinaus muss man sehen, was dahinter steckt. Das ist ein Sammelbecken verschiedener Frustrationen, Enttäuschungen, Fragen. Viele sagen mir in der Bürgersprechstunde, wir werden nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt, nicht mit einbezogen in Fragestellungen: Wohin kommt Asylbewerber? Wie viele könne in den kleinen Ort verkraftet werden? Aus welchen Ländern kommen die Menschen, wie lange werden sie bleiben? Viele Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Aber die Tatsache, dass Bürger den Eindruck haben, es wird nicht mit uns geredet oder nur administriert, das erzeugt Frustration."
Neuerdings gibt es ein "Asyltelefon" in Sachsen
Das weiß auch Petra Köpping, sächsische Ministerin für Gleichstellung und Integration. Ihr Amt wurde erst kürzlich von der neuen Regierung aus CDU und SPD geschaffen. Jetzt gibt es gemeinsame Gesprächskreise, ein "Asyltelefon" und bald auch einen "Runden Tisch Asyl". Köpping hat sich die Montagsdemonstrationen selbst angeschaut.
Köpping: "Wenn man sich näher mit den Bürgern befasst, merkt man, dass das Problem noch vielschichtiger ist. Da gibt's das Thema Neid. Geht's dem besser als mir, und wer hilft mir? Und die normalen Alltagsprobleme. Von Abwasser, Abwasserterror wurde mir geschrieben, wo Bürger mit Behörden nicht klarkommen. Da gibt's Verbesserungsmöglichkeiten in der Kommunikation und im Umgang."
Vor allem aber ist Dresden im Umgang mit Flüchtlingen – wie andere Städte auch – überfordert. Vier Mal stieg 2014 die Zuweisungsprognose für Asylbewerber. 1600 Flüchtlinge muss der Sozialbürgermeister unterbringen. Dafür hat er zwölf neue Standorte für Unterkünfte und knapp 15 Millionen Euro geplant.
Köpping: "Es ist auch die Angst vor Flüchtlingen. Ich hatte gerade heute eine Bürgerinitiative bei mir. Da kam raus, dass es fehlende Infos gab, dass nicht klar gesagt wurde, wie man's machen kann, dass man die Menschen mitgenommen hat im Vorgespräch. Dass man sagt: „Die kommen jetzt und gut is." So geht das nicht. Wenn man nach Lösungen sucht, ich nenn mal so ein Beispiel: Radeberg hat einen Stadtratsbeschluss gefasst, einstimmig, und hat gesagt, dass wir nach einem Verteilungsschlüssel so und so viele Flüchtlinge bei uns aufnehmen. Sie haben dann ein Wohnungskonzept gemacht. Einstimmig. Es gab eine Bürgerdiskussion dazu. Das war ne völlig gute Sache. So kann man das Problem auch anders angehen."
Zu Recht kritisieren die Demonstranten Altersarmut und fehlende Schulen, und machen dafür auch die Politik verantwortlich. Aber: Sie behaupten, dass für das eigene Volk nichts übrig bleibe, weil korrupte Politiker Geld für Flüchtlinge verschwendeten. Weil die Kommunen für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig sind, müssen sie bei ihren Ausgaben etwa zwischen dem Bau eines Wohnheims und dem eines Kindergartens entscheiden. So wird der Asylbewerber zum Sündenbock. Und je mehr Pegida von „Flüchtlingswellen" redet, desto größer wird die Angst – vor Überfremdung und sozialem Abstieg.
Und was machen die Politiker mit dieser Angst? Sie schauen zu oder begnügen sich mit Ferndiagnosen. Wenn manche vor die Kameras treten und sagen: „Wir müssen die Ängste ernst nehmen", klingt das inhaltsleer. Konkrete Handlungen stehen aus. Andere schüren die Angst, um daraus politisch Kapital zu schlagen. Der ehemalige Innenminister Hans Peter Friedrich warf der Kanzlerin vor, mit ihrem Kurs Pegida überhaupt erst zu ermöglichen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte ein härteres Vorgehen gegen Wirtschaftsflüchtlinge und sagte, „friedlich demonstrierende Menschen, die ihre Sorgen ausdrückten, würden verunglimpft".
Virchow: "Ob das ein Drift nach rechts ist, ist zu früh zu sagen. Das hängt davon ab, wie die Parteien reagieren, ob sie sich unter Druck setzen lassen. Dann könnte es problematisch werden. Der jüngste Vorschlag aus der CSU man möge doch zu Hause Deutsch sprechen – es geht darum, rechts Stimmen zu fischen."
"Hass in deren Herzen"
Angela Merkel hingegen grenzte sich klar von Pegida ab und warnte in ihrer Neujahrsrede davor, das Ressentiment gegen irgendwie "schlechte" oder "falsche" Flüchtlinge und Asylanten salonfähig zu machen:
Merkel: "Hunderttausende demonstrierten 1989 für Demokratie und Freiheit und gegen eine Diktatur, die Kinder in Furcht aufwachsen ließ. Heute rufen manche montags wieder "Wir sind das Volk". Aber tatsächlich meinen sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen eurer Hautfarbe oder eurer Religion. Deshalb sage ich allen, die auf solche Demonstrationen gehen: Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!"
Dieser Hass könnte auch 2015 prägen. Denn er zeigt sich nicht nur auf der Straße, sondern bekommt inzwischen auch parlamentarischen Rückhalt, die AfD hat sich geschlossen hinter Pegida gestellt. Alexander Gauland, der brandenburgische AfD-Fraktionsvorsitzende kritisiert, die Kanzlerin verurteile Menschen, die sie gar nicht kenne.
Und deren Zahl wächst mit jedem Montag – allerdings auch der Widerstand. In den meisten Städten gehen mehr Pegida-Gegner als -Anhänger auf die Straße. In Dresden allerdings ist der Widerstand bislang gering. Immerhin bezogen renommierte Kulturinstitutionen wie die Semperoper und die Staatlichen Kunstsammlungen Position gegen Pegida: Als die Bewegung im Dezember zum Weihnachtsliedersingen vor der Oper aufrief, blieb die Opernbeleuchtung ausgeschaltet, stattdessen wurden Leuchtzeichen gegen Fremdenhass an die Fassaden der Gebäude gestrahlt.
Aber wie lange funktioniert Pegida noch als Sammelbecken von Frustrationen, als Blackbox? Will sie etwas bewirken, braucht sie ein klares Ziel, Führung und Struktur. Und davon ist bisher nicht viel zu erkennen – ebenso wenig wie konkrete Schritte einer anscheinend rat- und tatenlosen Politik.
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