"Realwirtschaft darf nicht für Fehler der Finanzwirtschaft büßen"

Folker Hellmeyer im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 16.10.2008
Vor der Entscheidung von Bundestag und Bundesrat über das Banken-Rettungspaket hat der Chefanalyst der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, für weitere Eingriffe in das Finanzsystem plädiert. Die Selbstregulierung habe in den letzten Jahre in der Form nicht funktioniert, sagte Hellmeyer. Es sei wesentlich, dass die Politik ganz klar Grenzen aufzeige.
Jörg Degenhardt: Die Weltwirtschaft erlebt ihre schwerste Bewährungsprobe seit den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, so die Kanzlerin in ihrer gestrigen Regierungserklärung zum Rettungspaket für die deutschen Banken. Das Paket im Umfang von 480 Milliarden Euro soll noch in dieser Woche von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Allerdings, nichts ist umsonst. Banken, die Staatshilfen in Anspruch nehmen, müssen dafür auch Auflagen erfüllen, etwa die Begrenzung der Gehälter ihrer Manager.

Folker Hellmeyer ist Chefanalyst der Bremer Landesbank, einem Finanzinstitut, dem es vergleichsweise gut geht, das wohl keine Staatshilfen wird in Anspruch nehmen müssen wie andere Landesbanken. Und er hat ein Buch geschrieben, "Endlich Klartext", ein Blick hinter die Kulissen unseres Finanzsystems. Guten Morgen, Herr Hellmeyer!

Volker Hellmeyer: Guten Morgen!

Degenhardt: Ist das jetzt eine günstige Gelegenheit für die Politik und nicht nur für die in Deutschland, den Spielern und Zockern in der Finanzbranche ihre Grenzen aufzuzeigen, wenn sie schon mit öffentlichen Geldern gerettet werden sollen?

Hellmeyer: Das ist genau der Punkt. Die Entwicklung der letzten 18 Jahre, können wir sagen, seit dem Fall des Kommunismus, der einherging zuletzt mit immer stärkeren neoliberalen Entwicklungen, der kann hier ein Stück weit zurückgedreht werden. Derjenige, der hier jetzt Kapital zur Verfügung stellt, die öffentliche Hand, hat die Möglichkeit, hier den Einfluss deutlich zu erhöhen und damit ein Gleichgewicht zwischen Produktionsfaktor Arbeit und Kapital wieder besser darzustellen, als es eben zuletzt in der Vergangenheit gewesen ist.

Degenhardt: Wer kann denn da diese Entwicklung zurückdrehen? Muss das die Politik machen oder ist vielleicht sogar von den Bankern so etwas wie Selbstkritik zu erwarten? Sind die Manager dazu fähig?

Hellmeyer: Die Selbstkritik kommt schon derzeit. Das hören wir zuletzt auch von Herrn Müller von der Commerzbank. Aber in der Tat allein sich hier auf die Selbstregulierung im Bankenbereich zu verlassen, wäre sicherlich nicht angemessen, denn die Selbstregulierung in den letzten Jahren hat bewiesen, dass sie in der Form nicht funktioniert, zumindest nicht in der Form, Nachhaltigkeit zu produzieren. Vor diesem Hintergrund ist es wesentlich, dass die Politik hier ganz klare Grenzen aufzieht, die dann auch rechtlich belastbar sind.

Degenhardt: Hat sie das bisher getan? Ich frage das deswegen, weil ich mich, vielleicht andere auch, frage, ob man nicht mal die Manager da hätte erst zur Rechenschaft ziehen sollen, bevor man sich mit ihnen an einen Tisch setzt, um dieses besagte Rettungspaket zu schnüren?

Hellmeyer: Lassen Sie mich das so ausdrücken. Wir haben in den letzten Jahren, in den letzten zehn Jahren insbesondere eine unheilige Allianz gesehen. Das heißt, die Institution, die sich grundsätzlich in einem System freier Märkte gegenseitig kontrollieren sollten, haben eine hohe Nähe aufgewiesen, das heißt, Politik, Aufsichtsbehörden und Banken.

Ganz deutlich wird das beispielsweise in den USA, dem Zentrum unseres Finanzsystems, wo es eine Working Group on Financial Markets gibt seit 1987, wo die Banken das Finanzministerium, die Zentralbanken und die Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten und wie der US-Finanzminister im letzten Jahr sagte, um gemeinsam Probleme zu erkennen und dann die Probleme zu lösen. Das sind Institutionen, die sich gegenseitig zu kontrollieren haben und nicht gemeinsame Sache zu machen haben. Das sind ganz große, sagen wir, strukturelle Fehlentwicklungen, die wir in den vergangenen zehn Jahren insbesondere gesehen haben, die mit zu dieser Krise geführt haben.

Degenhardt: Ganz konkret, stellt denn aus Ihrer Sicht das deutsche Rettungspaket ausreichend Ansprüche an die privaten Banken, um auch diese Fehler im System, diese Strukturfehler, von denen Sie gerade gesprochen haben, zumindest teilweise wieder zu korrigieren?
Hellmeyer: Der Ansatz ist auf jeden Fall gegeben und entscheidend ist hier zunächst bei diesem gesamten Rettungspaket, und das dürfen wir eben in Deutschland auch nicht isoliert betrachten, sondern das müssen wir europaweit und global betrachten, dass hier erst mal eine Stabilisierung erforderlich ist, und zwar losgelöst davon, wer hat jetzt Schuld. Der entscheidende Punkt ist, dass die Realwirtschaft in der Tat für die Fehler der Finanzwirtschaft nicht vollständig büßen darf, dass wir hier versuchen müssen, den Kreditfluss für den Mittelstand, für die Realwirtschaft aufrechtzuerhalten und insofern reagiert die Politik hier zunächst richtig.

Aber das darf nur der erste Schritt sein. Der nächste Schritt muss sein, dann Strukturreformen einzuleiten und dabei möchte ich sogar noch deutlich weitergehen. Wir haben festgestellt, dass im Rahmen der Globalisierung, ich nenne es in dem Buch eine Bankenaristokratie, etabliert worden ist. Das sind Banken, die agieren supernational, global, die haben sich von ihren nationalen volkswirtschaftlichen Funktionen sehr weit entfernt. Denn jede Bank hat eine volkswirtschaftliche Funktion. Deswegen haben wir auch eine Aufsichtsbehörde und keine Aufsichtsbehörde für Gebäudereiniger. Die Gebäudereiniger sind auch wichtig, aber sie sind volkswirtschaftlich nicht so wesentlich.

Unsere globale Finanzstruktur, die sich im Rahmen der Bankenaristokratie gebildet hat, für wen ist diese Bankenaristokratie eigentlich noch loyal, für welche Volkswirtschaft? Das heißt, man privatisiert die Gewinne, man sucht sich Steueroasen, man sucht sich Oasen unter aufsichtsrechtlichen Gesichtpunkten. Und im Notfall kommt man zurück auf nationalstaatliche Sicherungssysteme. Das kann es nicht sein. Das ist eine schiefe Ebene. Das heißt, wir müssen die Größe der Finanzinstitute diskutieren, denn auch das ist eine der Ursachen, eine der wesentlichen Ursachen für diese globale Finanzkrise. Mithin, Beispiel USA 1929/32, Zerschlagung der US-Trust, die damals auch maßgeblich mitverantwortlich waren. Wir müssen überlegen, ob wir diese großen Bankenaristokratie nicht wieder auf eine für die nationale Volkswirtschaften verträgliche Größe zurückführen.

Degenhardt: Sie haben ja immer die USA erwähnt. Manche Banker hier in Deutschland haben die letzten Jahre vorzugsweise nach Amerika geschaut, um das große Rad zu drehen. Wo spielt denn aus Ihrer Sicht künftig die Musik? In Asien, vielleicht in China?

Hellmeyer: Was wir erkennen, ist, dass eine globale Machtachsenverschiebung stattfindet. Und lassen Sie mich das an den Beispielen der Devisenreserven deutlich machen. China hat 1900 Milliarden US-Dollar Devisenreserven, die zweithöchsten hat Japan mit knapp 1000 Milliarden Dollar Devisenreserven. Russland hat die drittgrößten mit mehr als 520 Milliarden. Die USA als Zentrum des Finanzsystems haben 70 Milliarden.

Über die letzten Jahre haben sich diese Emerging Market, insbesondere China und die GUS-Staaten oder Russland ganz stark emanzipiert von den westlichen Finanzsystemen. Und dort wird die maßgebliche Musik in den nächsten Jahren gespielt werden. Wir haben eine Machtachsenverschiebung im finanzökonomischen Bereich. Und der wirkt sich ultimativ auch im politischen Bereich aus. Das heißt, wir werden Veränderungen sehen. Gestern wurde es gerade angedacht, dass G8 verstärkt diese wesentliche Schwellenländer mit aufnimmt. Und da spielt übrigens auch Südamerika dann noch eine wesentliche Rolle.

Degenhardt: Volker Hellmeyer war das. Er ist Chefanalyst der Bremer Landesbank. Vielen Dank für das Gespräch!

Hellmeyer: Gerne.