"Reagans Rede hat definitiv nicht den Mauerfall eingeleitet"

Jens Schöne im Gespräch mit Nana Brink · 12.06.2012
Am 12. Juni 1987 forderte der damalige amerikanische Präsident Ronald Reagan von seinem sowjetischen Amtskollegen: "Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein!". Dass zum Jahrestag diese Rede als Beginn des Mauerfalls hochgejazzt wird, hält der Historiker Jens Schöne für übertrieben. Es sei nur ein Puzzleteil auf dem Weg dorthin.
Nana Brink: "Mr. Gorbatschow, open this gate”, sagte Ronald Reagan in seiner vielleicht besten Rolle am 12. Juni 1987, vor der Kulisse des Brandenburger Tores auf der Westseite, und schob gleich hinterher, "Mr. Gorbatschow, tear down this wall!", Sätze, die heute Geschichte sind, weil zwei Jahre später wirklich das passierte, was der amerikanische Präsident da so dramatisch forderte.

Als er es allerdings sagte, schien es irgendwie aus der Zeit gefallen, denn die allgemeine Stimmung war eher auf Entspannung und Versöhnung zwischen Ost und West angelegt. Wir erinnern uns noch mal kurz: 1987 - beide Teile Berlins feierten opulent ihre Feiern zum 750-jährigen Jubiläum und im September 1987 reiste DDR-Staatschef Honecker nach Bonn.

Am Telefon ist jetzt Jens Schöne, Historiker und stellvertretender Landesbeauftragter in Berlin für die Stasi-Unterlagen. Schönen guten Morgen, Herr Schöne!

Jens Schöne: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie.

Brink: 12. Juni 1987 – an was erinnern Sie sich? Sie waren Jugendlicher?

Schöne: Auf jeden Fall erinnere ich mich nicht an die Rede und passe da, glaube ich, ganz gut in die allgemeinen Befindlichkeiten dieses Jahres. Ich war noch ein bisschen jung vermutlich, aber auch ansonsten ist das ja erst mal nicht auf allzu große Resonanz gestoßen.

Brink: Und wie wurde diese Rede, oder sagen wir besser, der ganze Besuch von Reagan in Westberlin, speziell auch in der DDR rezipiert? Wurde er denn überhaupt rezipiert?

Schöne: Das nahm man durchaus wahr, klar. Der amerikanische Präsident kam, das ist ja immer ein Ereignis gewesen, ist ja bis heute ein Ereignis, wenn das der Fall ist. Allerdings waren die Reaktionen sehr gespalten: Einerseits, ich sage mal, das offizielle Westberlin, das die Feiern ausrichtete, die sich ja fast darum rankten, kann man sagen, obwohl Reagan nur gut fünf Stunden in der Stadt war, andererseits können wir uns sicherlich auch noch an die Bilder aus Kreuzberg erinnern, wo die alternative Szene sich heftige Straßenschlachten Abends spätestens mit der Polizei leistete.

Im Osten ist wahrscheinlich das Wort Desinteresse dasjenige, was es am besten fasst. Man hat Reagan damals wahrlich nicht als Abrüster oder als Entspannungspolitiker wahrgenommen und insofern interessierte das zum großen Teil eher weniger, was er dort sagte.

Brink: Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, die Rede war aus der Zeit gefallen. Warum?

Schöne: Es schien schon ein großer Anachronismus zu sein, 1987 den Fall der Mauer zu fordern. Das ist für uns heute erst mal gar nicht so merkwürdig, wie es sich anhört, weil wir wissen, dass zwei Jahre später es tatsächlich passiert. '87 allerdings hatten sich - ich glaube, um den Befund kommen wir nicht umhin – viele in die Situation eingelebt, sich mit dem Status quo abgefunden, und dass dann ausgerechnet ein amerikanischer Präsident, ein republikanischer dazu, der für SDI, für Aufrüstung und Ähnliches stand, nach Berlin kam und scheinbar aus dem Nichts forderte, die Mauer solle nun fallen, das schien etwas sehr merkwürdig.

Brink: Der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen fürchtete ja auch Störmanöver aus Ostberlin. Gibt es darüber irgendwelche Erkenntnisse?

Schöne: Direkte Störmanöver sind mir nicht bekannt, dass die geplant waren. Man darf nicht vergessen, was heutzutage oftmals nicht Erwähnung findet: Diese Rede war auch mit sowjetischer Seite abgestimmt von den Amerikanern. Die Botschaft in Ostberlin wusste Bescheid, hatte das sozusagen auch stillschweigend genehmigt, wenn man es mal so formulieren darf, und insofern waren direkte Störmanöver meines Wissens nicht in der Mache. Allerdings hatte natürlich das Ministerium für Staatssicherheit seine Inoffiziellen Mitarbeiter an verschiedenen Positionen und wusste sehr genau, was da passiert.

Und zudem befeuerte die offizielle Presse aus Ostberlin fleißig das Ereignis. Die Krawalle in Kreuzberg etwa, von denen ich ja schon sprach, wurden dann als mächtige Friedensdemonstration verkauft. Das ist natürlich auch absurd.

Brink: Weil Sie es gerade angesprochen haben, die Krawalle: 50.000 Menschen demonstrierten. In diesem Zusammenhang gab es auch immer Gerüchte, dass die Stasi diese Stimmung auch geschürt hat.

Schöne: Das ist mir so nicht bekannt. Ich möchte das nicht ausschließen. Wie gesagt, die Inoffiziellen Mitarbeiter waren auf jeden Fall in Westberlin vor Ort, und insofern kann man nicht ausschließen, dass da in gewissen Zirkeln, Kreisen wie auch immer durchaus mal die eine oder andere befeuernde Bemerkung gefallen ist. Aber ein feststehender Maßnahmeplan unter der Überschrift "Wie befeuern wir die Demonstrationen in Westberlin?", das hat es wohl nicht gegeben.

Brink: Sie haben am Anfang gesagt, damals ist diese Rede bei Ihnen auch auf Desinteresse mehr oder weniger gestoßen, und Sie haben sich da in guter Gesellschaft befunden. Wenn Sie heute noch mal darauf gucken, wie sehen Sie das heute?

Schöne: Man muss vorsichtig sein. Man sollte das jetzt nicht überbewerten. Man liest ja gerade heute zum Jahrestag in der Presse so Sätze wie, das war der Beginn des Mauerfalls. So weit würde ich nun überhaupt nicht gehen wollen. Aber andererseits muss man durchaus sagen, es war ein Puzzleteil, wenn wir mal dieses Bild nehmen wollen, auf dem Weg dorthin. Reagans Rede hat definitiv nicht den Mauerfall eingeleitet, aber wir sollten doch dahin kommen, gerade auch die Person Reagan etwas differenzierter zu sehen und seine Rolle, die er da gespielt hat, etwas positiver zu bewerten.

Brink: ... , sagt Jens Schöne, Historiker und stellvertretender Landesbeauftragter in Berlin für die Stasi-Unterlagen. Herr Schöne, schönen Dank für das Gespräch.

Schöne: Ich danke Ihnen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema