Raus aus Beirut

19.06.2009
Libanon Anfang der 80er-Jahre. In der Hauptstadt Beirut herrscht Bürgerkrieg. Mittendrin hat der kanadisch-libanesische Schriftsteller Hage die Hauptfiguren seines Debütromans angesiedelt: Zwei junge Männer, alte Freunde aus Kinder- und Schultagen, die unterschiedlich auf die Brutalität der Zeit reagieren.
"Ich will Respekt, der Rest geht mir am Arsch vorbei", so lautet das Lebensmotto der Hauptfigur in dem Debütroman "Als ob es kein Morgen gäbe" des kanadischen Schriftstellers Rawi Hage. Der Roman wurde in Kanada für vier Literaturpreise nominiert, und er gewann den wichtigsten Literaturpreis Irlands, wobei er sich unter anderem gegen die mitnominierten Autoren Pynchon und Roth durchsetzte.

"Als ob es kein Morgen gäbe", der Roman, der Hage über Nacht berühmt machte, spielt im Libanon Anfang der 80er-Jahre, vorwiegend in Beirut. In der Stadt tobt ein Bürgerkrieg. Hauptfiguren sind zwei junge Männer, kaum dem Jugendalter entwachsen, alte Freunde aus Kinder- und Schultagen.

Der eine, George, schließt sich der "christlichen Miliz" seines Viertels an, die mit gepanschtem Whiskey die muslimischen Viertel beliefert, mit Heroin dealt und Prostitution betreibt, während Georges bester Freund Bassam, Ich-Erzähler und Alter Ego des Autors, nur weg will, raus aus Beirut, irgendwohin, nach Rom, Paris oder New York.

Authentisch brutal klingt die Sprache der Hauptfigur, der Slang der Straße, klar und tabulos, die Welt ein Computerspiel, in dem es sich alles um Sex und Geld dreht, atemlos erzählt; ein Roman, der sich zu einem Politthriller entwickelt, in dem es um zwei Massaker in Palästinenserlagern geht, verübt von den sogenannten christliche Milizen am 16. September 1982 im Auftrag des israelischen Geheimdienstes.

Aber Action ist nur die eine Seite dieses Romans. Gefeiert und prämiert wurde er wegen seiner Sprache, Expressionismus pur, der alles durchdringt, belebt, auch tote Dinge zum Leben erweckt: da denkt ein Stein, Pantoffeln warten, Kirchen hocken, Gewehre miauen, Augen stehlen Blicke, hohe Absätze schlecken am Asphalt, der Mond ein Komplize mit einer schmutzigen Phantasie usw.

Seite für Seite überrascht, mal lyrisch, mal pornographisch, mal surreal, als ob man ein Chagall-Bild betrachtete, oft einfach höchst poetische Sprache, die wandelt "im Hof des Kalifen durch Gärten voller Jasmin und Bernstein".

Woher Rawi Hages literarische Vorbilder stammen, dafür gibt es einen Hinweis im Roman selbst, liest doch Bassam, der Ich-Erzähler, die Novelle "Der Fremde" von Albert Camus. Und dem Roman vorangestellt ist ein Zitat von Jean-Paul Sartre: wühlend bis zu den Ellenbogen "… dans la merde et dans le sang".

So begegnen wir also französischem Existentialismus, film noir, einer sehr amerikanischen Erzählstruktur, an Dos Passos, an Hemingway, an Road-Movies erinnernd, und an den zauberhaften, magischen Realismus südamerikanischer Autoren wie Márquez, Borges usw. "Wie einen Mantel zog ich mir den Nebel enger um die Schultern und spazierte in die Nacht." Rawi Hage hat einen funkelnden Stern geschaffen.

Besprochen von Lutz Bunk

Rawi Hage: Als ob es kein Morgen gäbe
Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens
Dumont Verlag, Köln 2009
256 Seiten, 19.95 Euro