Raumfahrt

Inszenierung einer Kometenlandung

Screenshot aus einem Video zeigt die simulierte Landung des Minilabors "Philae" auf dem Zielkometen Tschurjumow-Gerassimenko.
Screenshot aus einem Video zeigt die simulierte Landung des Minilabors "Philae" auf dem Zielkometen Tschurjumow-Gerassimenko. © dpa / picture alliance / ESA/ATG medialab
Von Dirk Asendorpf · 06.11.2014
Zehn Jahre, acht Monate und neun Tage hat die europäische Rosetta-Sonde gebraucht, um den Kometen Tschuryumow-Gerasimenko einzuholen und im Abstand von wenigen Kilometern gründlich zu erkunden. Jetzt steht der Höhepunkt der Mission bevor: die Landung.
Für die beteiligten Wissenschaftler soll es die Krönung ihrer Karriere werden, für die Raumfahrtagenturen ein PR-Coup.
"This thing is as big as a mountain. It's very cold, it's far away from the earth, it's far away from the sun..."
Ein Zoom durchs All lenkt den Blick auf die bizarre Oberfläche eines kleinen vorbeirasenden Himmelskörpers, dann tauchen die Erde auf, der Feuerball eines Raketenstarts und ernste Männer, die vor den Bildschirmen eines Kontrollzentrums knappe Sätze sagen.
"Wir betreten in vielfältiger Hinsicht Neuland mit dieser Mission..."
Es klingt wie eine bisher unbekannte Folge von Raumschiff Enterprise, doch das Video stammt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, kurz DLR. Die Raumfahrtagentur hat es ins Netz gestellt, um die Öffentlichkeit auf den 12. November einzustimmen. Dann nämlich soll die europäische Rosetta-Mission ihren Höhepunkt erleben: die Landung eines kleinen Forschungslabors auf der Oberfläche des Kometen Tschurjumow-Gerasimenko. Tatsächlich eine Weltpremiere:
"Das ist 'ne völlige Neuentwicklung, etwas ähnliches ist nie vorher gemacht worden. Wir haben ein Bodenreferenzmodell in Köln stehen, das ist ein Eins-zu-eins-Modell des Landers, das voll funktional ist. Wir haben auch die Software nochmal verbessert und unterschiedliche Fehlerfälle durchgespielt, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein, falls so etwas auftreten sollte."
Stephan Ulamec leitet das Team, das das Manöver seit Jahren minutiös plant. Die Rosetta-Sonde soll das Philae getaufte Landegerät in 22 Kilometern Höhe über dem Kometen ausklinken und abstupsen. Im Schlendertempo schwebt es dann hinab und verankert sich beim ersten Bodenkontakt sofort mit Harpunen und Schrauben. Wegen der fehlenden Gravitation des nur vier Kilometer langen Himmelskörpers würde es sonst wie ein Pingpongball abprallen. Die Landung ist für 16.30 Uhr geplant, genau 28 Minuten und 20 Sekunden später wird die per Funk abgesetzte Erfolgsmeldung auf der Erde erwartet, gerade noch rechtzeitig für eine Topmeldung in den Abendnachrichten. Die PR-Abteilung hat in der Raumfahrt immer ein gewichtiges Wort. Sie hat auch das Selfie bestellt, dass Philae gleich nach dem Abkoppeln von der Muttersunde schießen soll. Und auch die erste Aufgabe nach der Landung ist ein medientaugliches Panoramafoto.
"Je dichter wir rangehen, desto mehr zeigt sich"
Auf die Auswahl eines möglichst ebenen Landeplatzes mit guter Aussicht auf die zerklüftete Kometenoberfläche haben die Rosetta-Wissenschaftler viel Mühe verwandt. Entscheidend waren dafür die großformatigen Bilder der Osiris-Kamera, die am Göttinger Max-Planck Institut für Sonnensystemforschung entwickelt wurde. Dort leitet Holger Sierks ein Team aus 80 Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern:
"Wir sehen so unterschiedliche Strukturen dort auf der Oberfläche. Ich glaube, das hat niemand erwartet. Man hat eher smoothe, große Terrains hineininterpretiert. Je dichter wir rangehen, desto mehr zeigt sich. Es ist nicht alles so ein Klumpen. Es gibt Schichten, die wir nicht verstehen. Einige unserer Kollegen sehen hier so Strukturen, die man sich von 'nem Geysir-Feld vorstellen kann, wo es so blubbt oder so. Das ist auch wieder nur ein Versuch, das mit irdischen Analogien zu erklären, ich hoffe, das verwischt uns nicht wirklich den Weg. Das ist 'ne Gratwanderung. Man versucht immer wieder etwas hineinzuinterpretieren, was man kennt. Und dieser Körper ist halt völlig anders."
Dramatisch animierte Animation der Landung
Es sind gestochen scharfe Bilder einer Landschaft, wie sie kein Mensch zuvor gesehen hat. Und die bisher auch nicht öffentlich zugänglich sind. Raumfahrtfans haben sich auf ihren Websites schon darüber empört, dass sie bei der milliardenteuren Mission bisher nur durchs Schlüsselloch lugen dürfen:
"Das ist auch Thema in der Gruppe. Es gibt da sehr unterschiedliche Haltungen von: wir geben gar nichts, wir machen reine Wissenschaft und ziehen uns in unseren Turm zurück. Das andere Extrem ist: Wir machen sofort alles verfügbar. Ich glaube, dass das nicht vertretbar ist, weil die, die jetzt lange ihre Zeit hineingegeben haben, um dieses Instrument zu entwickeln und die Methoden zu entwickeln. Ich glaube, die sollen auch 'ne Chance haben, erstmal ihre Meinung zu bilden."
Und ihre Karriere mit der Veröffentlichung in einem renommierten Fachmagazin zu krönen. Die Raumfahrt-PR behilft sich unterdessen mit der dramatisch intonierten Animation einer Kometenlandung. Den ursprünglich für den 11. November geplanten Landetermin hat die Esa übrigens um einen Tag verschoben. Der Grund hat nichts mit Astronomie zu tun: Am 11. November wäre die Kometenlandung in den französischen Nachrichtensendungen nur auf Platz zwei gekommen. Platz eins ist traditionell reserviert: für die Feiern zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 96 Jahren.
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