Raubgräber schrecken auch vor Morden nicht zurück

Moderation: Holger Hettinger · 02.12.2005
Der Mainzer Archäologe Michael Müller-Karpe will nicht ausschließen, dass die Entführung von Susanne Osthoff im Irak mit dem Diebstahl von Kulturgütern im Zusammenhang steht. Osthoff habe Raubgrabungen dokumentiert und als er die Archäologie vor einem Jahr in Bagdad besucht habe, sei ihnen signalisiert worden, wer sich den einschlägigen Orten nähere, werde umgebracht. Zugleich forderte Müller-Karpe die Bundesregierung auf, die seit 1970 bestehende UNESCO-Konvention gegen den Handel mit geraubten Kulturgütern endlich zu unterzeichnen.
Hettinger: Nach wie vor unklar ist das Schicksal von Susanne Osthoff, jener deutschen Archäologin, die im Irak entführt wurde. Die 42-Jährige hat archäologische Stätten im Irak besucht, um über die Ausmaße der Zerstörung dieser welthistorisch so wertvollen Zeugnisse untergegangener Epochen zu informieren. Denn im Irak buddeln so ziemlich alle. Archäologen ebenso wie Glücksritter, die mit Kunstgütern das schnelle Geld machen wollen. Gerade durch die Raubgrabungen wird dem Ausverkauf des kulturellen Erbes dieser Region Vorschub geleistet. Jetzt am Telefon ist der Archäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Herr Müller-Karpe, es gibt Spekulationen, wonach die Entführung von Susanne Osthoff im Zusammenhang stehen könnte mit internationalen Kunsthehlerbanden, die sich eventuell gestört gefühlt haben von den Aktivitäten der Susanne Osthoff, die diese Diebstähle dokumentiert hat mit der Videokamera. Was ist Ihre Meinung? Ist da was dran?

Müller-Karpe: Sichere Erkenntnisse gibt es da einstweilen nicht. Ausschließen will ich das nicht. Ich habe die Susanne Osthoff vor etwa einem Jahr in Bagdad getroffen. Damals hat sie recherchiert, diese Zerstörungen, die da im Süden des Irak hauptsächlich stattfinden. Wir hatten damals erwogen, zusammen nach Isin und nach anderen Orten zu fahren, um diese Raubgrabungen zu dokumentieren. Da hat man uns signalisiert, dass man jeden umbringen würde, der sich den Raubgrabungen nähern würde.

Hettinger: Ist es denn ein so großes Geschäft unten, vor Ort?

Müller-Karpe: Ich will Ihnen da nur mal zwei Zahlen nennen, die UNESCO hat kürzlich geschätzte Zahlen bekannt gegeben: sechs Milliarden Dollar jährlicher Umsatz für geraubtes Kulturgut weltweit, sieben Milliarden für den Rauschgifthandel. Also der Handel mit Kulturgut an zweiter Stelle.

Hettinger: Also richtig heiße Ware. Was sind das für Waren, die hier gehandelt werden?

Müller-Karpe: Das sind ganz unterschiedliche Dinge. Sie müssen sich vorstellen, Mesopotamien gilt ja als die Wiege der Zivilisation. Wir haben da im Süden des Irak Großstädte, die zum Teil mehrere Quadratkilometer groß sind, die aus dem dritten Jahrtausend vor Christus stammen und deren Ruinen 5000 Jahre fast unversehrt im Boden überdauert hatten. Da waren noch sämtliche Informationen drin: die Grundrisse der aus Lehmziegeln gebauten Häuser; die Toten, die da bestattet worden waren, die sind zum Teil mit ihren Beigaben noch dort gewesen. All das wird jetzt aus dem Boden gewühlt und als einzelne Objekte verkauft. Das sind Gefäße, Metallwaffen, Schmuck, zum Teil Goldschmuck, zum Teil sehr schöne Dinge, die von Menschen gesammelt werden. Allerdings müssen Sie sich klarmachen: Das, was man da aus dem Boden herausholt, verliert dadurch, dass man es aus dem Kontext herausnimmt, den eigentlichen Wert. Denn das, was für uns wertvoll an diesen Objekten ist, sind die Informationen, die transportiert werden. Und diese Informationen stecken hauptsächlich im Kontext - so wie ein Buchstabe, den Sie aus einem Buch herausreißen, auch seinen Informationswert verliert, wenn man ihn herausreißt.

Hettinger: Wo gelangen diese Objekte hin? Gehen die in Museen oder stellen sich das die Sammler auf den Kamin? Was ist das Schicksal dieser geraubten Funde?

Müller-Karpe: Also der unmittelbare Weg ist zunächst einmal, die Dinge werden von einfachen Bauern der lokalen Bevölkerung aus dem Boden gerissen. Ihre Charakterisierung vorhin im Anspann, es handele sich da um Glücksritter, trifft die Sache nicht ganz. Das sind arme Menschen, die nicht wissen, wie sie auf anständige Weise ihre Familie satt bekommen sollen, die ihre Dattelernte nicht verkaufen können, weil dort Chaos herrscht. Die holen diese Dinge aus dem Boden heraus, zerstören damit die archäologischen Stätten, das wird aufgekauft von Zwischenhändlern, die bringen es über die Grenze nach Saudi-Arabien oder Jemen, Syrien, dann kommt es in den Libanon, vom Libanon in die Schweiz, von der Schweiz dann zum Beispiel nach Deutschland und von da zum Teil in Auktionen - das landet dann bei Privatsammlern -, zum Teil auch in Museen.

Hettinger: Warum kann man da von gesetzgeberischer Seite nicht einschreiten, wenn hier offenbar geraubtes Kulturgut bei Auktionen angeboten wird?

Müller-Karpe: Also zunächst einmal gibt es weltweit Gesetze zu dem Thema. Die UNESCO hat 1970, um diesem Wahnsinn endlich Einhalt zu gebieten, eine Konvention erlassen zum Kulturgüterschutz. Diese Konvention besagt, dass die unterzeichnenden Staaten den Handel mit im Ausland geraubtem Kulturgut im eigenen Land verbieten. Diese Konvention haben praktisch alle Länder dieser Erde unterzeichnet. Nicht aber Deutschland. In Deutschland ist also der Handel mit Dingen, die nach den Gesetzen des Irak oder Syrien oder Türkei als Hehlerware zu gelten haben, nach wie vor völlig legal.

Hettinger: Und warum unterschreibt Deutschland dieses UNESCO-Papier aus dem Jahr 1970 nicht?

Müller-Karpe: Da gibt es einflussreiche Kräfte, die das seit 35 Jahren zu verhindern wissen, einer finanzkräftigen Lobby von Händlern, die damit sehr viel Gewinn machen. Eingangs habe ich ja die Zahl von sechs Milliarden Dollar erwähnt, die da jährlich umgesetzt werden.

Hettinger: Jetzt ist dieser Entführungsfall Susanne Osthoff mit diesen Raubgrabungen in unmittelbare Beziehung gebracht worden - zumindest spekulationsweise. Wir haben auch versucht, Informationen zu bekommen, Statements zu bekommen aus der Politik - man hat den Eindruck, die fassen das ganze Thema, die Politiker fassen dieses Thema mit sehr spitzen Fingern an. Nun kann doch diese Lobby nicht so übermächtig sein, dass hier der Gesetzgeber bei einer wirklich akut gegebenen Handlungsgrundlage sich hier so zurückzieht?

Müller-Karpe: Also zunächst einmal ist das natürlich eine Sache, die höchst peinlich ist. Wie viele Bundesregierungen hatten wir seit 1970? Jede hat versucht, diese Peinlichkeit endlich aus dem Weg zu schaffen. Die letzte, die rot-grüne Koalition, hatte das in der Koalitionsvereinbarung, hat es geschafft bis zu einem Referentenentwurf - eine Kabinettsvorlage ist dann durch die Neuwahl nicht mehr zu Stande gekommen. Die neue Regierung hat es wieder in der Koalitionsvereinbarung. Ob wir es diesmal schaffen? Das ist zu hoffen.

Hettinger: Was mich erstaunt: Wieso haben Kunsthändler - das scheint wohl so der Hauptkern der von Ihnen angesprochenen Lobbygruppe zu sein -, wieso haben Kunsthändler eine so große politische Macht hier in Deutschland?

Müller-Karpe: Sie haben ein sehr gewichtiges Argument auf ihrer Seite: Es geht um die Sicherung deutscher Arbeitsplätze. Auch wenn das im einstelligen Bereich sich bewegen mag, das Arbeitsplatzargument in Deutschland ist ein Totschlagsargument.

Hettinger: Hat ja auch bei der Rüstungsindustrie zum Beispiel ganz vorzüglich funktioniert.

Müller-Karpe: Es sollte aber auch eigentlich in anderen Bereichen gelten. Also beispielsweise im Menschenhandel kann man eine Menge Geld verdienen. Oder im Rauschgifthandel: Wenn man das freigeben würde, könnte man da sehr viele deutsche Arbeitsplätze schaffen.

Hettinger: Wenn ich Sie richtig verstanden haben, Herr Müller-Karpe, dann ist Deutschland so eine Art Drehscheibe für diesen internationalen Handel. Es ist ja nun eine multinationale Geschichte: Warum sind da andere Staaten, warum ist das Ausland da so still?

Müller-Karpe: Also diese UNESCO-Konvention von 1970 ist praktisch von allen Staaten inzwischen unterzeichnet worden. Nach der Plünderung des Irak-Museums 2003 hat sogar England und Schweiz, die beiden großen Kunsthändlernationen, diese UNESCO-Konvention unterzeichnet. Es ist also durchaus abzusehen, dass der Handel sich jetzt zunehmend hier nach Deutschland verlagern wird.

Hettinger: Gibt es irgendwelche Ansätze, nach einem Zertifikat einzuführen, irgendeine Form der Legitimierung von Kunstgegenständen, die hier in Deutschland auf den Markt kommen? Das man das über diese Schiene eventuell aushebeln könnte?

Müller-Karpe: Entsprechende Forderungen gibt es. Dagegen wehrt sich der Antiquitätenhandel ganz vehement. Man sagt, das würde das Aus bedeuten für viele Kunsthändler, die seien damit überfordert - arbeitsmäßig, aber auch einfach deswegen, weil sie ihre Quellen nicht preisgeben wollen.

Hettinger: Sehen Sie da absehbare Perspektiven, dass sich hier etwas ändert? Dass durch eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit oder eine zunehmende Berichterstattung in den Medien hier ein anderes Klima geschaffen würde für eine entsprechende politische Entscheidung?

Müller-Karpe: Also Archäologen setzen sich seit vielen Jahren für diese Sache ein. Es ist ja nicht nur, dass das Bild Deutschlands im Ausland einen ganz enormen Schaden nimmt. Es betrifft auch uns Archäologen ganz unmittelbar. So hat das der irakische Antikendienst beispielsweise kürzlich auf einer Tagung des Internationalen Museumsverbands ICOMOS in Seoul bekannt gegeben, dass Forscher und Institutionen, die aktiv den Handel mit geraubtem Kulturgut unterstützen - durch Ankauf oder durch Duplikation von solchen Dingen -, künftig von den Forschungen im Irak ausgeschlossen werden. Es nutzt die Redlichkeit des einzelnen Archäologen nichts, solange sein oberster Dienstherr, der Souverän und Gesetzgeber, den Kunsthandel, den Handel mit Hehlerware aus Raubgrabungen aktiv unterstützt. Ich kann nur hoffen, dass endlich dieses bedauerliche Ereignis hier zu einer Trendwende führen wird.