Raubgrabungen

Das schmutzige Geschäft mit der Antike

Ausgeraubt und zerstört: Der syrische Baalschamin-Tempel in der Oasenstadt Palmyra.
Ausgeraubt und zerstört: Der syrische Baalschamin-Tempel in der Oasenstadt Palmyra. © AFP / Joseph Eid
Von Günther Wessel · 06.09.2016
"Wenn wir Antiken sammeln, sind wir für Raubgrabungen verantwortlich", sagt der New Yorker Archäologe Oscar White Muscarella. Auf sechs bis acht Milliarden Euro pro Jahr schätzen Fahnder den Umsatz aus dem Verkauf illegal erlangter Kulturgüter weltweit.
Die Gier der Sammler zerstört die Vergangenheit ganzer Völker und fördert die organisierte Kriminalität weltweit. Illegale Netzwerke von Räubern und Hehlern schaffen das Kulturgut ins Ausland: nach London, Brüssel oder München.
Auktionshäuser, Privatleute oder Internethändler verkaufen die Ware mit gefälschten Provenienzen weiter und profitieren von den laxen Bestimmungen in Deutschland, einer Drehscheibe des illegalen Antikenhandels.
Anders als im Drogen- und Waffengeschäft sind sich Endkunden jedoch keines Unrechts bewusst.

Das Feature im Wortlaut:
"Ich sage (...), dass das, was wir gerade im Nordirak sehen und was uns so sehr bestürzt, im Irak natürlich schon seit sehr viel längerer Zeit zu beobachten ist. Das beobachten wir in der Fachcommunity seit etwa 25 Jahren, dass systematisch geplündert wird."
Systematisch wird geplündert. Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, spricht von archäologischen Ausgrabungsstätten. In Syrien, dem Irak, in Ägypten, überall im Nahen Osten, aber auch in Fernost oder in Lateinamerika. Überall wird geplündert. Und sicher ist: Die illegal ausgegrabenen und geschmuggelten Antiken werden auf dem Kunstmarkt mit Milliardengewinnen verkauft. Der Markt ist in den letzten Jahren explodiert.
"Der Handel mit archäologischen Objekten die aus Raubgrabungen stammen (...) Ist ein Betätigungsfeld des organisierten Verbrechens geworden."
Robert Kugler, Rechtsanwalt und Fachmann für Kulturgüterschutz in Berlin: "Und es gibt der Zahlen, die kursieren, Größenordnungen, Statistiken, wo man also sagt, dass ist mit Waffenhandel und Drogen, Drogenhandel ganz oben an einer der ersten Stellen des Betätigungsfeldes."
"Internationale Organisationen wie Interpol, UNESCO oder UNODC gehen von einem Volumen von 6-8 Milliarden Euro pro Jahr aus."
Silvelie Karfeld, Kriminalhauptkommissarin beim Bundeskriminalamt. UNODC ist das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung: "Ich hab mal ausgerechnet für eine Auktion antiker Objekte im Jahr 2013. Da wurden insgesamt 2,44 Millionen Euro umgesetzt. Und es gibt ja mehrere Auktionshäuser mit mehreren Auktionen pro Jahr, nur mit Antiken, daneben gibt es noch die Handelsgeschäfte, die Webseiten, die antike Objekte anbieten, und eben die Geschäfte, die hinter verschlossenen Türen stattfinden."
In der Renaissance erwacht in Europa das Interesse an griechischen und römischen Altertümern. Vermögende Reisende, Hobby-Ausgräber und Kunstsammler füllen Museen und Privatsammlungen in Europa mit archäologischen Funden. Mal legal, mal halb legal, mal illegal. Aus Italien, Griechenland, der Türkei, Ägypten, Syrien und dem Irak. Friederike Fless, die Präsidentin des Deutschen Archäologische Instituts erklärt die Interessen der Archäologen:
"Die Archäologie, die stark auf Objekte orientiert war, wie die des 19. Jahrhunderts, wo es ja auch um die Funde ging, um entweder die Architektur, den Tempel oder die Skulpturen hat sich ja verändert. Jetzt interessiert einen, Lebenskontexte zu rekonstruieren, d.h. man untersucht auch die Erde nach Pollen, nach Tierknochen, um zu rekonstruieren wie jetzt auf dem Göbekli Tepe, was war eigentlich für eine Art von Lebensumstand. Hat man Landwirtschaft betrieben, hatte man schon Tiere domestiziert, und was da rausgekommen ist, ist, dass die um 10 000 v. Chr. noch keine domestizierte Tiere hatten, sondern Wildtiere aßen und eigentlich diese riesigen Anlagen entstanden sind aus einer Jäger- und Sammlergesellschaft heraus. Und wenn man nur zum Beispiel auf die Steinkreise gucken würde und die Riesenstelen rausholen würde, dann würde man diese gesamten Kontexte gar nicht erfassen."
Der Hühnerknochen oder der Müll der Siedlung sagt mitunter mehr über das Leben und den Alltag versunkener Völker aus, als das eine, strahlende Objekt. Doch das ist auf dem gierigen Antikenmarkt gesucht.
"Looting is quite awful, because what it does is: It destroys sites. It removes objects, it rips them out, so that they loose their context. Without their context they can be a pretty object, but they are relatively meaningless. They don't tell you any more about the whole history of Ancient Egypt, they don't give you any insight into the culture." (Diese Plünderungen sind schrecklich, denn sie zerstören Fundstätten. Man reißt Fundstücke aus dem Zusammenhang und ohne diesen Zusammenhang sind diese hübsche, aber ziemlich bedeutungslose Objekte. Sie erzählen einem nichts mehr über das Alte Ägypten, sie eröffnen keinen Blick mehr in die alte Kultur.) Salima Ikram ist Professorin für Archäologie an der American University in Kairo.
"Egyptian things are regarded nowadays are very much chic and collectible. In the past I think, since about the late 70ties, 80ties, you watch the rise." (Ägyptische Funde werden heutzutage als sehr schick und als gute Sammlungsobjekte angesehen. Seit den späten 70er, 80er Jahren kann man die Preis steigen sehen.)
Vielleicht auch, weil man sie bis 1983 leicht legal aus Ägypten exportieren konnte. Denn das Land war eine Ausnahme: es erließ erst spät Gesetze zum Schutz nationalen Kulturgutes. Schon 1970 hatte die UNESCO das sogenannte „Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut" verabschiedet, das insgesamt die Ausfuhr und den Verkauf von Kulturgütern erschweren sollte.
"If you look at auction catalogs you can see how prices have increased, increased, increased. So now they are very high." (Schaut man sich Auktionskataloge an, sieht man wie die Preise stiegen, stiegen und stiegen. Jetzt sind sie wirklich sehr hoch.)
Ägypten. Kairo. Die Stadt versinkt unter einer Dunstglocke. Sie schluckt alle Farben, das Blau des Himmels, das Grün der wenigen Palmen am Nilufer. Das Verkehrschaos ist gewaltig.

Erstens: der Raub

"There is a pandemic of looting in Egypt. And people are just not digging under their houses that are in close vicinity to the archaeological sites, they are actual digging on the archaeological sites. Looting is almost everywhere. From Assuan to Alexandria." (Plündern ist eine Seuche in Ägypten. Die Leute graben nicht nur unter ihren Häusern, die nahe an den archäologischen Stätten sind, sie graben inzwischen in diesen archäologischen Stätten selbst.)
Geplündert wir überall, von Assuan bis Alexandria. Monica Hanna, 31 Jahre ist Archäologin und Aktivistin. Sie baut die Egypt's Heritage Task Force auf – ein Netzwerk, das Raubgrabungen in Ägypten beobachtet und sie auch zu verhindern sucht. Auf Google Earth zeigt sie mir den kleinen Ort Abu Sir al Malaq, etwa 90 Kilometer südlich von Kairo. Der Nil fließt im Osten am Ort vorbei. Südwestlich der Stadt ein schmaler Wüstenstreifen, am Ortsrand, abgelegen von der Siedlung eine Kirche. Deutlich sind als dunklere Punkte im helleren Untergrund der Wüste die Grabungslöcher der Raubgräber zu sehen.
Monica Hanna rät mir, frühmorgens dorthin zu fahren. Am besten käme man, wenn die Raubgräber abgezogen seien und die Dorfbewohner noch nicht auf den Beinen. Sonst könnte es bedrohlich werden, sagt sie mir später am Telefon:
"I was once shot at at Dashur, once attacked. They wanted to take the camera by force, because I took photographs where they would have appeared. But most of the time if they see us coming they leave." (In Dahschur wurde einmal auf mich geschossen und einmal wurde ich angegriffen. Die Raubgräber wollten mir meine Kamera mit Gewalt abnehmen, weil ich Fotos mit ihnen drauf gemacht hatte. Aber meistens gehen sie, wenn sie uns kommen sehen.)
Früh am Morgen erreichen wir Abu Sir al-Malaq. Wir fahren am Zentrum vorbei zur Kirche. Nahebei haben deutsche Archäologen Anfang des 20. Jahrhunderts gegraben. Sie fanden eine Nekropole mit Gräbern aus der Zeit zwischen 1100 v. Chr. und 400 n. Chr. 1908 stoppten die Ausgrabungen. Die Gräber versandeten wieder. Nun sind hier Raubgräber zugange.
Die Wüste wirkt wie der Ort eines Massakers aus längst vergangenen Zeiten. Überall menschliche Knochen. Schädelplatten, Oberschenkel, Rippenbögen, achtlos übereinander geschaufelt. Dazwischen Tuchfetzen – Reste der Bandagen, mit denen Mumien umwickelt waren. Mal ein kleines Stück bemaltes Holz, viele Tonscherben. Die Löcher sind tief, manche mit befestigten Rändern, manche einfach in Erde, Sand und Kies gegraben. Die meisten führen senkrecht hinab.
"Most of these looters are also abusing children and young teens into illicit digging and many of these children die in the shafts because they send them to pick objects and so on, and so forth. So a lot of children and young teens are also dieing because of this." (Die meisten Raubgräber schicken Kinder oder Jugendliche in die Grabungsschächte, um die wertvollen Objekte herauszuklauben. Dabei kommt es auch immer wieder zu Todesfällen.)
Es gibt lokale Gangs von Raubgräbern. Meist kleine Fische. Aber auch andere.
"We have the very professional gangs who have a foreign or Egyptian expert. They use their sonars to find where exactly they find shafts, and they dig." (Es gibt sehr professionelle Gangs mit ausländischen Experten. Sie orten mit Echoloten die Schächte aus und graben dann.)
Sie brechen in Lagerräume ein, in denen die noch nicht katalogisierten Ausgrabungsfunde aufbewahrt werden, und graben auf Bestellung. Salima Ikram spricht von Mafia-ähnlichen Strukturen.
"Nowadays a new quality, new kind of looter is much better equipped. They have the four by fours, they have automatic weapons, they have no scruples about using either thing to either run over people, to pull blocs out of the earth, to shoot people. Recently we've had incidents of guards of the Ministry of Antiquities, who have been shot, because they were trying to protect sites. And they didn't have the same kind of weapons, that the people, who attacking them, did. So they were just mowed down." (Neuerdings sind die Plünderer sehr gut ausgestattet. Sie haben Autos mit Allradantrieb, sie haben automatische Waffen, und sie haben keine Skrupel, Menschen zu überfahren, ganze Blöcke aus der Erde zu ziehen oder auf Menschen zu schießen. Kürzlich wurden Wächter des Antikenministeriums beschossen, weil sie versuchten, Ausgrabungsstätten zu schützen. Aber die Wächter hatten nicht so gute Waffen wie die Angreifer und wurden einfach überrollt.)

Zweitens: der Schmuggel im Ausland

"The border to Libya is very porous, Sudan can be porous, but more likely the Red Sea. There are many places that you can land a small boat and take it out. You can row out. Deliver it to a large boat that would take things off." (Die Grenze nach Libyen ist sehr durchlässig, die in den Sudan stellenweise, das Rote Meer ist sowieso offen. Da gibt es viele Plätze, wo man mit einem kleinen Boot anlanden kann und Dinge dann auf größere Schiffe umladen kann.)
Salima Ikram kennt Schmuggelrouten, Monica Hanna andere:
"There is one that has been ongoing through the tunnels at Gaza where the objects would arrive to Tel Aviv, because Israel has not signed the 1970 convention and they do not have any laws to prohibit their trading in antiquities. So it is an antiquities dealer haven. So most objects go there and from there they get shipped to the United States or to Europe. The other area is from different ports such as Aihn Sukhna or Damietta and they go to Europe in big crates especially with furniture traveling, with raw material, they get hidden very well, especially for the bigger objects. It's the same with arms. You know, how they smuggle drugs and weapons? They smuggle antiquities. It's the same routes." (Ein Schmuggelweg führt in den Gaza-Streifen und dann durch die Tunnel nach Tel Aviv, weil Israel keine Gesetze hat, die den Handel mit Antiken irgendwie einschränken. So ist es ein sicherer Hafen für Antikenhändler. Deshalb gehen viele Objekte dorthin, von wo sie dann in die USA oder nach Europa verschifft werden. Andere gehen direkt von den ägyptischen Mittelmeerhäfen Aihn Sukhna oder Damietta raus. Sie werden in großen Kisten zusammen mit Möbeln verpackt, sehr gut versteckt. Es ist wie mit Waffen. Genau wie man Drogen und Waffen schmuggelt, so schmuggelt man auch Antiken. Auf denselben Wegen.)
Früher war die Schweiz der Ort, an dem man keinerlei Frage stellte. Da gab es die Freihandelszonen, von denen aus raubgegrabene Antiken weltweit verschickt wurden – mit vermeintlich sauberer Herkunftsbezeichnung. Doch die Schweiz hat inzwischen ihre Gesetze geändert. Heute achten die Behörden viel stärker auf die Herkunft der Objekte und darauf, ob es für sie eine Ausfuhrgenehmigung des Herkunftslandes gibt. Insider vermuten, dass nun vor alle in den Häfen er Emirate Dubai, Abu Dhabi und Schardscha illegale Antiken umgeschlagen werden.
"Das BKA hat ja das Problem, dass der illegale Handel mit Kulturgut zunimmt, und gerade der Handel mit antiken Kulturgütern", sagt Markus Hilgert. Er leitet ein seit Frühjahr 2015 laufendes Forschungsvorhaben, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. Im Rahmen der sogenannten Dunkelfeldforschung arbeitet das Bundeskriminalamt mit Fachwissenschaftlern verschiedener Disziplinen zusammen.
"Das Problem ist, dass es sich bei diesem Feld um etwas handelt, was man in der Kriminologie als Dunkelfeld bezeichnet, d.h. man kennt die Akteure nicht unbedingt, man weiß nicht, wie die Akteure agieren, welche Netzwerke sie nutzen, man weiß relativ wenig genau über den Umsatz in diesem Dunkelfeld, man weiß wenig über die Objekte, über deren Stückelung. Wir wissen, es gibt einen illegalen Handel mit Kulturgut, man weiß, dass dieser illegale Handel mit Kulturgütern oft in Verbindung steht mit anderen Kriminalitätsbereichen wie zum Beispiel Drogenhandel, Waffenhandel, das teilweise dieselben Vertriebswege genutzt werden, aber man weiß nicht genau, wie es funktioniert."
"Die Parallele zum Drogenhandel ist eben, dass (..) sobald Sie das Objekt aus dem Ursprungsland haben, der Wert sich vervielfacht.(...)", sagt der Berliner Rechtsanwalt und Fachmann für Kulturgüterschutz Robert Kugler,
"Sie zahlen demjenigen, der möglicherweise weiß, dass irgendwo im Urwald oder in der Wüste oder wo auch immer Fundstätten gibt, wenig Geld, der gräbt das aus und dann wird es weiterverkauft und sobald es über die Grenze kommt, vervielfacht sich der Wert dessen, was da gehandelt wurde."
Das Hauptübel – so zahlreiche Beobachter – sei gewesen, dass sich Antiken zu Objekten der Geldanlage entwickelt hätten.

Drittens: der Handel

"Das fing im Grunde in den frühen neunziger Jahren an. Damals gab es Probleme bei der Geldanlage, Aktien sind in ihrem Wert verfallen, auch Devisenspekulationen waren nicht mehr so lohnend, und da hat man sich auf Antiken gestürzt."
Soweit der Mainzer Archäologe Michael Müller-Karpe, der sich seit langem mit dem Thema Raubgrabung und Antikenhandel beschäftigt. Es ist eine Geldanlage in einem Bereich, der für seine Diskretion berühmt ist. In dem oft noch bar gezahlt wird und es um große Summen geht. Auch ideal zur Geldwäsche? Silvelie Karfeld vom Bundeskriminalamt:
"Eignet sich hervorragend zum Geld waschen. Die verrosteten nicht, man kann sie jahrzehntelang lagern. Ich kann sie auf der ganzen Welt absetzen, sie steigen im Wert, sind also Wert stabil im Unterschied zu vielen anderen Dingen. Ideal geeignet, ja."
Und Robert Kugler ergänzt:
"Wenn Sie sich mal anschauen welche Transparenz an den Tag gelegt werden muss, wenn sie einem Anleger irgendein Produkt, irgend ein Anlageprodukt verkaufen, da muss ein Prospekt da sein, da müssen gewisse Standards eingehalten werden. Und wenn Sie sich überlegen wie der Kunsthandel heute noch funktioniert. Gerade eines dieser Merkmale, die ihn ja auch besonders auszeichnen, mit dem auch immer wieder geworben wird, zwar nicht offensiv, ist ja die Diskretion. Und ein Objekt, das auf einmal Anlagegegenstand ist, dass möglicherweise viele Millionen wert sein kann (..) wird aber entgegen all der sonstigen Erfordernisse, die man an ein Anlageobjekt stellt, immer noch gehandelt wie vor 200 Jahren im 19. Jahrhundert. Das ist eine Diskrepanz, die man begegnen muss, weil sonst läuft man natürlich Gefahr, dass solche Objekte hervorragend dafür geeignet sind, Geldwäsche zu betreiben."
Doch man muss erst gar nicht über Terrorismus oder illegale Märkte wie Drogen oder Waffen sprechen. Auch Erträge aus sogenannten Kavaliersdelikten wie Steuerhinterziehung oder Bestechung lassen sich durch den Erwerb von Kulturgütern hervorragend waschen. Der ehemalige Schweizer Kunsthändler Christoph Leon hatte – so berichtet er – Kunden, die ihre Sammlungen nicht gern vorzeigten.
"Ich kannte in Deutschland Sammlungen, die die Leute eben vor dem Steueramt durch doppelte Hauswände verborgen haben, weil sie dann von dem Steueramt gefragt worden wären woher haben Sie denn das Geld, mit dem die sie diese Stücke gekauft haben?"
Für Ursula Kampmann, Numismatikerin und Herausgeberin einer Zeitschrift für Münzkundler und -sammler, steht er pekuniäre Aspekt bei Sammlern im Hintergrund:
"Es ist eine Möglichkeit, mit der Vergangenheit in Kontakt zu treten. Sie haben eine fantastische, direkte Berührungen mit Objekten, die Menschen geschaffen haben, denen das, was Sie geschaffen haben, wichtig war."
Kampmann ist auch Pressesprecherin der „International Association of Dealers in Ancient Art" (kurz: IADAA), eines Zusammenschlusses von wichtigen Antikenhändlern aus Europa und den USA. Sie weiß, woher die Antiken stammen, die heute im Kunsthandel verkauft werden:
"Gesammelt wird ja nicht erst seit heute. Gesammelt wird seit dem Mittelalter. (...) Da fängt man schon an systematisch nach alten Objekten zu suchen. Es geht weiter in der Renaissance. (...) Sammeln blüht auf eine Renaissance in einem Maße, dass wir uns kaum mehr vorstellen können. Die großen Sammler haben Zehntausende von Objekten in ihrer Sammlung."
"Ja, das ist ein Märchen, was immer wieder wiederholt wird."
Michael Müller-Karpe lacht kurz.
"Was richtig ist, ist, dass es alte Sammlungen gibt, aber erstens sind diese Objekte zahlenmäßig gemessen an dem Volumen der Markt befindlichen Objekte verschwindend gering, auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass Dinge, die über Jahrhunderte in solchen Sammlungen gewesen sind, irgend einen dokumentarischen Niederschlag gefunden haben. In alten Tagebüchern, in Kupferstichen, später in Zeitungsartikeln, in Publikationen, und Dinge, die für so unbedeutend erachtet wurden, dass sie diesen Niederschlag nicht gefunden haben, (...) ja die sind oft von Erben zusammen mit wurmstichigen Möbeln und durchgelegenen Matratzen entsorgt worden."
Und Friederike Fless vom Deutschen Archäologischen Institut sagt ganz lapidar:
"So viele alte Sammlungen gibt es überhaupt nicht wie es Objekte gibt, die auf den Markt kommen."
"Da muss ich ehrlich sagen: es gibt immer schwarze Schafe. Man hätte ein bisschen nachfragen sollen."
Ursula Kampmann ist freundlich und sehr bestimmt, Gespräche mit ihr führen aber an gewissen Punkten nicht sehr weit. Sie verteidigt ihren Standpunkt geschickt, spricht von unwichtigen Antiken, von Massenware, davon, dass sie nicht beurteilen könne, ob Raubgrabungen wirklich so ein Problem seien, obwohl sie die Satellitenbilder umgepflügter Wüstenlandschaften kennt, sagt, dass sie für Deutschland kein großes Problem seien, muss dann aber einräumen, dass die Himmelsscheibe von Nebra auch aus einer Raubgrabung stamme. Aber das sei eine Ausnahme, ebenso wie der Ankauf dreier Grabblöcke aus Ägypten durch ein Budapester Museums im letzten Jahr. Diese waren angeblich seit 1974 im Besitz eines französischen Auktionshauses, in Wirklichkeit wurden sie, wie leicht zu beweisen war, erst 2001 bei Grabungen entdeckt. Oder die Entdeckung des französischen Archäologen Olivier Perdu. Der sah 2014 bei einem Spaziergang durch Brüssel bei einem Antikenhändler das Fragment einer Statue, das einer aus dem Ägyptische Museum, an der er jahrelang geforscht hatte, sehr ähnlich sah. Später stellte sich heraus: es sah dieser Statue nicht ähnlich, es war ein Teil von ihr – gestohlen bei der Plünderung des Museums im Jahre 2011, auf verschlungenen Wegen nach Brüssel gelangt und als alter Besitz ausgegeben. Alles Ausnahmen.
Man muss allerdings zugestehen: in keinen der erwähnten Fälle war ein IADAA-Händler involviert.
Aber nachfragen?
"Wir haben (...) sehr sehr strikte Bestimmungen, wie mit jemandem umzugehen ist, der uns etwas bringt. Wenn dieser Mann uns anlügt, haben wir ein Problem. Nur wer sind wir, dass wir jeden, der reinkommt zu uns erst einmal hinterfragen, ob das ein Lügner ist oder ob das ein korrekter Mann ist?"
Ihre Schlussfolgerung: Der Antikenhandel ist unschuldig..

Viertens: gewaschene Antiken

"Ich kenne da einen Händler aus Damaskus, der alles mögliche herbeigeschafft hat. (...). Dann habe ich mich mit dem ein bisschen angefreundet, hab dann so eine Reise unternommen quer durch Syrien, und in Palmyra war er zufällig auch, da hat er gesagt, er zeigt mir ein noch nicht sozusagen offiziell geöffnetes Grab. (...) Und dann sind wir dann in der Nacht mit Taschenlampe in da so ein, praktisch ein Erdloch gekrochen und drinnen war da so eine Wand mit diesen Grababschlüssen, wo immer derjenige Verblichene da drauf dargestellt wird, so im Halbrelief. Und das hat ganz imposant ausgeschaut, (...) und daraufhin hat er dann gefragt, ob ich so etwas haben möchte. (...) Ja, ja, wenn Sie so etwas beschaffen können, und wenn man das ausführen kann."
Ein Jahr später tauchte der Händler dann in Deutschland auf, brachte ein Relief dort durch dem Zoll und übergab es Helmut Thoma. Der ehemalige Fernsehmanager bekam auch Papiere dazu, ein Echtheitszertifikat, eines über den legalen Export. Illusionen hat Helmuth Thoma aber nicht:
"Ich hab's damals am Rande erlebt, wie das wirklich vor sich geht: da hat er mir nämlich angeboten einen kompletten sozusagen griechisches Grab also mit griechischen Fresken, wunderschöne Aufnahmen gezeigt. Das würde nur eine Million Dollar kosten. Sage ich, abgesehen davon, wie kriege ich so etwas raus? Das kriegen Sie doch nie raus. Das ist doch sicher eine Geschichte, die sozusagen unter Schutz steht. Sagt er: Ja, aber das verkaufe ich dann in die Schweiz, und dort gibt es einen anerkannten Händler, (...) und ab nach Amerika."
Heute würde er es wohl zunächst nach Dubai liefern.
"Warum soll ich ein schlechtes Gewissen haben? Es ist alles legal abgelaufen. Genauso, wenn ich etwas anderes kaufe beim Händler, was soll ich sonst tun? Ich weiß es im Zweifel auch nicht, ob der betreffende Hehlerware oder was weiß ich kauft hat."
Thoma bringt als promovierter Jurist ein wichtiges Stichwort an: das des gutgläubige Erwerbs. Das bedeutet, dass man als Käufer auch gestohlenes Gut, sprich Hehlerware oder auch illegal exportierte Antiken, behalten darf, wenn der Erwerb gutgläubig erfolgte. Gutgläubigkeit setzt voraus, dass man nicht grob fahrlässig Hinweise auf die Illegalität missachtet; es besteht aber keine allgemeine Nachforschungspflicht. Man darf Provenienzen glauben.
"Es gibt Webseiten, die das im Internet anbieten. Ihnen das abzunehmen, diese gefälschte Provenienz zu erstellen."
Soweit Silvelie Karfeld vom Bundeskriminalamt. Und jeder Archäologe weiß, wie man an eine mehr oder weniger glaubhafte Provenienz kommt:
"Well in the old days, it was traditional to find some impoverished European nobility, who would sign of by saying: "Oh yes it was in my Great, great grandfathers collection, it's been out of the country since 1870." And so there is no way approving or disproving something, a statement like that."

Früher fand man leicht einen verarmten Adligen in Europa, der bestätigte: „Oh, ja, das war schon in der Sammlung meines Ur-Urgroßvaters, es ist seit 1870 aus dem Herkunftsland. Und es gibt keinen Weg solch eine Aussage zu beweisen oder als Lüge zu entlarven.

Fünftens: Handelt die Politik?

"30 Jahre lang sind wir der UNESCO Konvention (...) nicht beigetreten, weil wir dem deutschen Kunsthandel keine unnötigen Lasten aufbürden wollten. Und wir haben dann aber anlässlich des Irakkrieges gemerkt, dass das eine falsche Prioritätensetzung ist. Ganz deutlich. Und dann haben wir ein Gesetz gemacht, bei dem wir sehr viel Rücksicht auf den deutschen Kunstmarkt genommen haben, weil wir ihn nicht noch mehr bürokratische Pflichten auferlegen wollten als nötig."
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, macht etwas sehr Ungewöhnliches für eine Politikerin. Sie gibt zu, dass eine Regierung, die von ihrer eigenen Partei geführt wurde, erst zu lange untätig war und dann falsch gehandelt hat.
Die schon erwähnte UNESCO Konvention wurde 1970 zum Schutz von Kulturgütern verabschiedet, um die Rückgabe gestohlenen Kulturguts zu regeln. Sie wurde erst 2008 als Gesetz in Deutschland verankert. Dabei wurde ein sogenanntes Listenprinzip verabschiedet. Das bedeutet, die Einfuhr eines Kulturgutes aus einem fremden Land ist nur dann verboten, wenn es im Herkunftsland auf einer speziellen Liste schützenswerten Kulturgutes steht. Deutschland führt solche Listen, viele Staaten aber nicht. Sie kennen stattdessen allgemeine Ausfuhrverbote. Zudem: illegal ausgegrabene Antiken können überhaupt nicht auf solchen Listen auftauchen – wie soll eine Statue oder ein Sarkophag, wie sollen Kulturgüter, die noch tief im Wüstensand stecken, auf solch eine Liste geraten?

Das Ergebnis: Seit 2008 wurde auf Grundlage des Gesetzes kein einziges Artefakt, kein einziges Kunstwerk an sein Herkunftsland zurückgegeben. Noch einmal mit Betonung: kein einziges. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagt:
"Künftig soll es so sein, dass nach Deutschland nur dann ein Kunstwerk aus einem anderen Staat eingeführt werden kann, wenn es eine Ausfuhrgenehmigung des Herkunftsstaates bei sich trägt."
Nach langen Debatten, nach Interventionen Kunsthändlern und Künstlern, von Verbänden wie der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, der Deutschen Numismatischen Gesellschaft, von Interessensgruppen bis hin zu Verbänden von Paläontologen, nach jeder Form von Pro und Contra wurde das Gesetz Ende Juni ohne Gegenstimmen vom Bundestag verabschiedet und auch vom Bundesrat bestätigt. In Kraft trat es am 6. August 2016. Insgesamt finden Organisationen wie der Deutsche Kulturrat, dass das Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung sei.
Die meisten Archäologen hingegen hoffen hingegen darauf, dass die Diskussionen um die Gesetzesnovellierung auch einen Gesinnungswandel bewirken. Denn wie Markus Hilgert sagt:

"Solange es schick ist, eine grabungsfrische, noch mit Erde versehene antike Statue im Wohnzimmer zu haben, solang das schick ist und in bestimmten Kreisen sanktioniert und akzeptiert, geht das auch weiter. Das muss letztlich so unsexy werden wie der Handel mit Pelzen."
Vielleicht ist das die eigentliche Lösung des Problems: schärfere, klarere Gesetze, eine bessere Kontrolle und Bewusstseinswandel. Über Konsumentenautonomie und -macht wird unter Politikern und Wirtschaftsexperten viel diskutiert – ob es sie wirklich gibt und was sie ausrichten kann. Ob man damit die Welt verbessern kann. Bei Gütern, die man nicht braucht, lässt sie sich am leichtesten durchsetzen. Der amerikanischen Archäologe Oscar White Muscarella, ehemals Kurator am Metropolitan Museum in New York, schon lange erbitterter Gegner von Raubgrabungen, oft harsch, aber präzise in seinen Äußerungen bringt deren Verantwortung auf den Punkt:
"In the 20th century we became much more knowledgeable the obvious: That when you collect you were responsible for plundering. If I take opium and I pay am man for opium I am paying for the gangs in Mexico, for the murders in Mexico, for the slavery of people and the killing of people."
Übersetzer: Im 20. Jahrhundert haben wir das Offensichtliche endlich verstanden: Wenn wir Antiken sammeln, sind wir für Raubgrabungen verantwortlich. Wenn ich Opium nehme und dafür einen Dealer bezahle, dann zahle ich auch die Gangs in Mexiko, ich zahle die Mörder dort und für die Versklavung und Ermordung von Menschen.