Raubbau in Südamerika

Goldrausch in Kolumbien

Goldwaage mit Gold in der kolumbianischen Provinz Cauca
Goldwaage mit Gold in der kolumbianischen Provinz Cauca, wo rund 80 Prozent der Bevölkerung in der Goldindustrie arbeitet. © imago/Xinhua
Von Nicolas Martin · 16.09.2015
Kolumbien hat eine der höchsten Wachstumsraten in ganz Lateinamerika. Auch dank des Rohstoffreichtums. Besonders begehrt sind die Goldvorkommen, von denen neben dem Staat auch Konzerne, Guerillagruppen und ehemalige Paramilitärs etwas abhaben wollen. Die Konflikte sind im vollen Gange.
500 Meter unter der Erde – Jesús Loiza kontrolliert die Sicherheit einer Gold-Mine. Wasser läuft in kleinen Rinnsalen durch die schmalen und an den meisten Stellen nur ein Meter hohen Minen-Gänge. Es ist heiß und die Luft ist feucht. Rund 30 Männer arbeiten in der Mine. Sprengen das Gestein, verpacken es in 50 Kilo-Säcke und schleppen das Material bis zum Eingang.
"Gott hat uns mit diesem Gold gesegnet. Das gibt uns und unseren Kindern die Möglichkeit zu einer besseren Zukunft."
Jesus Loiza hat lange Zeit selber täglich sechs bis achtmal einen 50-Kilogramm-Sack den halbstündigen Weg vom Boden der Mine bis zum Ausgang geschleppt. Auf dem Rücken – meist gebückt. Heute ist der Mitte 30-jährige Kolumbianer Teilhaber der Mine – gemeinsam mit elf anderen. Momentan arbeiten die Männer direkt am Material: Das heißt, jeder Sack beinhaltet unterschiedliche Mengen Gold. So springen umgerechnet bis zu 2000 Euro im Monat für jeden einzelnen raus.
Viel Geld, denn der monatliche Mindestlohn in Kolumbien liegt bei 400 Euro. Dafür gibt es aber eben auch häufig monatelang finanzielle Dürrephasen – nämlich dann, wenn die Minenarbeiter nach dem goldhaltigem Material suchen und sich erst mal in die Tiefe graben. Für die Minen-Arbeiter, die Mineros, ist das Leben eine Lotterie.
"Der Bergbau hat bei uns Tradition. Wir alle hier in der Gemeinde arbeiten im Bergbau – hängen von ihm ab. Alles hier wird vom Gold bestimmt. Mich hat es bisher reich beschenkt. Ich habe eine Eigentumswohnung und einen kleinen Laden unten drin – alles dank des Bergbaus."
Jesus Loiza stammt aus Segovia. Die Gemeinde liegt in der kolumbianischen Provinz Antioquia und hat rund 50.000 Einwohner. Davon arbeiten knapp 12.000 direkt in den Minen. Der Rest wäscht das Gold, reinigt es oder ist in anderer Form am Gewinn beteiligt. Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten bestimmt das Edelmetall das Schicksal des Dorfes. Tunnel ziehen sich wie Labyrinthe unterhalb der Stadt entlang.
Schon während der Kolonialzeit suchten die Spanier von Kolumbien aus das sogenannte Eldorado – das Land aus Gold. Seit der Finanz-, Immobilien-, und Eurokrise investieren Anleger wieder in beständige Werte wie Gold. Die Preise schnellten von 2009 bis 2012 nach oben, die Förderung explodierte. Und so ist die alte Legende trotz eines rückgängigen Goldpreises noch immer aktuell. In mehr als 20 der insgesamt 32 Provinzen Kolumbiens wird das Edelmetall gefördert.
"Der Bergbau in Kolumbien ist einer der wichtigsten Sektoren unserer Entwicklung. Das ist unser Hebel für den wirtschaftlich und sozialen Aufschwung."
Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat den Bergbau zu einer Lokomotive der Entwicklung ernannt. Nach Öl und Kohle spielt auch Gold eine wichtige Rolle. Rund 66 Tonnen davon hat Kolumbien nach den aktuellsten Zahlen von 2012 exportiert. Vier Jahre zuvor war es noch die Hälfte. Damit lag das Land beim Export der lateinamerikanischen Länder zwar noch immer hinter Peru, aber auf Rang zwei mit Brasilien. Nicht bei allen stößt er mit dieser Strategie auf Unterstützung.
"Der Bergbau ist keine Lokomotive, sondern eine Planierwalze"
"Wenn wir bei der Metapher unseres Präsidenten Santos bleiben, dann halte ich dagegen: Der Bergbau ist keine Lokomotive, sondern eine Planierwalze, die alles auf ihrem Weg zerstört. Kolumbien verliert nicht nur in ökologischer und in demografischer Sicht, sondern auch wirtschaftlich. Es ist nicht gut, wenn wir uns auf den Minensektor verlassen und dabei die Industrie und die Landwirtschaft völlig vergessen."
Iván Cepeda Castro sitzt in Bogota für den Polo Democratico Alternativo – eine linken Sammlungsbewegung im kolumbianischen Senat. Castro ist Menschenrechtsanwalt und gilt als einer der größten Kritiker des Bergbaus.
Zu Besuch in Segovia bei einer der rund 80 Goldwäschereien. In sogenannten "Cocos" – rotierenden, autoreifengroßen Stahlbehältern – wird das Gesteinsmaterial aus den Minen zermalmt. Als Schredderhilfe dienen kleine Stahlkugeln, die das Material ohrenbetäubend zerkleinern.
Danach kommt das Gesteinspulver in Becken mit Wasser. Dort kommen Quecksilber und Zyanid zum Einsatz. Die Stoffe verbinden sich mit den Gold-Krümeln und machen sie so sichtbar.
"2001 und 2002 waren wir hier die Gemeinde mit der größten Quecksilberbelastung weltweit. Die Luftbelastung war riesig – die lag zehnmal über den vorgeschriebenen Normen."
Wilman Cadavid ist für Bergbau und Umwelt im Gemeinderat von Segovia zuständig. Der große, schlaksige Kolumbianer erklärt, dass die Goldwäscher von Segovia das Problem erkannt hätten und langsam auf umweltfreundlichere Methoden umsattelten. Laut einer von mehreren Studien kolumbianischer und internationaler Universitäten ist die Provinz Antioquia bis heute die Gegend mit der höchsten Pro-Kopf-Quecksilberkontamination weltweit. In dieser Region liegt auch Segovia. Die Einwohner berichten von Leitungswasser, das starke Bauchschmerzen und Übelkeit verursacht. Außerdem seien die Flüsse und damit auch die Fische mit Quecksilber verseucht.
Das noch viel größere Problem bereiteten die vielen bewaffneten Akteure, die selbst illegale Minen betrieben und Geld erpressten, sagt Wilman Cadavid vom Gemeinderat.
"Die Händler, die Minenbesitzer, ja eigentlich alle müssen bezahlen. Die wissen, wenn sie nicht zahlen, müssen sie ihren Platz räumen oder werden ermordet. Das ist unsere Realität hier. Die Leute müssen manchmal gleich an mehrere Gruppen Geld abdrücken. Aber das ist nicht nur hier so, sondern in ganz Kolumbien."
Abgesperrte illegale Mine in der kolumbianischen Provinz Cauca
Eine abgesperrte Goldmine in der kolumbianischen Provinz Cauca im Mai 2014. In der illegalen Mine kamen bei einem Unfall mindestens drei Menschen ums Leben. © picture alliance / dpa / Foto: Christian Escobar Mora
Die linke Guerilla, ehemalige Paramilitärs und kriminelle Banden – sie alle haben das Goldgeschäft für sich erkannt. So kam das Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass die Anbaufläche von Kokain stagniert, während illegale Goldminen wie Pilze aus dem Boden sprießen. Gold ist das neue Kokain. Der kolumbianische Staat hat deshalb den illegalen Minen den Kampf angesagt, fliegt mit Flugzeugen Angriffe in abgelegen Gebieten, zerstört Bagger und anderes technisches Equipment.Neben den illegalen Minen der bewaffneten Gruppen, geraten auch die informellen Minen der Kleinschürfer unter Druck.
Für den Staat verschwimmen die Grenzen. So musste Wilman Cadavid aus Anordnung schon viele kleine Minen rund um Segovia schließen, obwohl deren Besitzer dort schon seit vielen Jahrzehnten Gold abgebaut haben. Und nicht zu den Akteuren des bewaffneten Konfliktes gehören.
"Es gibt einen großen Unterschied, ob man Täter oder Opfer der bewaffneten Gruppen dieses Konflikts ist. Aber die Tatsache, dass noch immer auf nationaler Ebene behauptet wird, dass die kleinen Bergarbeiter den bewaffneten Konflikt finanzieren, zeigt einfach, dass sie dort keine Ahnung von der Realität hier unten haben."
Der kolumbianische Staat setzt bei seiner Wachstumsagenda vor allem auf große internationale Rohstoff-Konzerne. In Segovia und Umgebung heißt der große Konzern Gran Colombia Gold und stammt aus Kanada. Er besitzt den Großteil der Förderzertifikate, die er wiederum an die kleinen Bergbaubetriebe verpachtet. Nur deshalb können Jesús Loiza und andere kleine Betrieben überhaupt noch weiter fördern. Denn selbst eine staatliche Lizenz zu beantragen ist zeitaufwendig, extrem kostspielig und häufig aussichtslos.
Das Dorf mit dem Goldschatz
Rund 500 Kilometer von Segovia entfernt sticht Jimmy Torres seinen Spaten in die dunkle, fruchtbare Erde. Der Anfang 40-jährige Bauer steht auf einem abschüssigen Feld in knapp 2200 Meter Höhe.
Aus einer Aluminiumdose nimmt er Bohnensamen und verteilt sie in vorgefertigte Löcher. Von seinem Feld aus sieht man bis tief ins Tal auf die Stadt Cajamarca.
Nur 20.000 Einwohner zählt die kleine Gemeinde. Trotzdem ist Cajamarca in der kolumbianischen Presse bekannt. Jimmy Torres zeigt auf einen Wasserfall, der einem Berg in ungefähr fünf Kilometer Luftlinie entspringt. Der Berg hat den Namen "La Colosa" und unter ihm befindet sich ein Goldschatz. Der südafrikanische Konzern Anglogold Ashanti möchte dort die größte offene Goldmine Kolumbiens errichten.
"Sie wollen dort vorne ein drei Kilometer langes und anderthalb Kilometer tiefes Loch graben. Wenn ich mir vorstelle, dass die Quellen, die Wälder, die Vögel hier am Berg gegenüber dann nicht mehr da sein werden. Dann schmerzt das sehr. Das ist wie, wenn ich mir einen Arm abschneide, das tut sehr weh, weil der Berg ein Teil von uns ist."
Seit sieben Jahren ist das Gold-Projekt in der Explorationsphase. Im Jahr 2018 will Anglogold Ashanti mit der Förderung beginnen – wenn der Staat ihm die noch fehlende Umweltlizenz ausstellt. Dafür müssen sie nachweisen, dass der Goldabbau ungefährlich ist. Jimmy Torres ist einer der Bauernführer aus der Region. Gemeinsam mit anderen organisiert er Infoveranstaltungen und Demonstrationen.
Die Goldmine von Cajamarca ist ein Politikum. Viele in der Region haben Angst davor, dass die Chemikalien der Goldförderung die üppigen Wasserreserven der Region in Gefahr bringen.
Staat und Konzerne gegen die Bürger
In einem Volksentscheid hat sich die Gemeinde Piedras, die neben der geplanten Mine liegt, bereits gegen das Projekt ausgesprochen. Anglogold Ashanti darf nach dem Willen der Einwohner nun keine Anlagen für die Goldförderung in der Gemeinde installieren.
"Wir haben erreicht, dass die ´Colosa` ein nationales Thema geworden ist. Wir haben das Thema bis zur interamerikanischen Kommission für Menschenrechte getragen mit der Botschaft: Achtung, dieses Projekt gefährdet die Ernährungssicherheit Kolumbiens, dieses Projekt gefährdet unser Wasser, weil es Mitten im Herzen der Wasserversorgung des Landes stattfindet."
Auch in anderen Städten Kolumbiens gehen die Bürger gegen große Minenprojekte auf die Straße. Dass sich nun auch noch Cajamarca gegen den Bau der Mine stellt, will Carlos Perez verhindern. Der Pressebeauftragte von Anglogold Ahsanti rechnet vor, welche Einnahmen dem Staat und der Region ohne den Goldschatz entgehen könnten.
"Mehr als 30 Prozent unseres Umsatzes bekommt der Staat in Steuern und Schürfgebühren. Abgesehen davon bleiben noch mal 30 Prozent im Land und zwar wegen der laufenden Kosten – also die Gehälter und unsere Einkäufe. Und dann sind da noch die Rücklagen für den Rückbau der Mine. Wir gehen also davon aus, dass mindestens 60 Prozent des Gewinns in Kolumbien bleibt."
350 Millionen Dollar hat sein Arbeitgeber bereits in das Projekt gesteckt. Bis 2018 soll es eine Milliarde werden und danach geht es erst richtig los. Allein die Konstruktion der Mine soll nochmals 2,7 Milliarden Dollar verschlingen. Und auch der Staat spielt mit. So hat sich der Präsident relativ offen gegen die Volksentscheide auf Gemeindeebene ausgesprochen. Der Boden gehöre allen – deshalb könnten sich nicht einige wenige Kolumbianer gegen die wichtigen Projekte stellen. Er mahnte aber zugleich auch die Rohstoffkonzerne, die Gemeinden mehr in die Planung der Großprojekte zu integrieren.
Der Konflikt von Cajamarca zeigt, wie unterschiedlich die Interessen im Land verteilt sind. Der Staat und die großen Rohstoffkonzerne wollen von den enormen Schätzen des Landes profitieren und das möglichst schnell. Die Bürger sind verunsichert, fürchten sich vor den ökologischen Folgen des Goldabbaus, hoffen aber auch auf die wirtschaftlichen Vorteile andererseits. Für den Bergbaukritiker Ivan Cepeda Castro ist der Fall von Cajamarca richtungsweisend.
"Das könnte die größte offene Mine in ganz Lateinamerika werden. Aus ökologischen Aspekten wäre das eine Katastrophe. Falls dieses Projekt tatsächlich realisiert wird, bedeutet das einen direkten Schaden für viele Tausend – ja ich würde schätzen 45.000 Menschen ab dem ersten Moment der Förderung."
Eine Alternative
Weitere 350 Kilometer südlich von Cajarmarca – ein Trupp Männer zwischen 20 und 30 Jahren schiebt einen kleinen Eisenwagen in die Tiefen einer Gold-Mine. Auf den umliegenden Feldern im Tal erstrecken sich Kaffeesträucher.
"Hier in der Zone haben wir Naturschutzgebiete festgelegt. Wir haben Felder, die wir aufforsten und wir haben wichtige Länder gekauft. Beispielsweise da, wo das Wasser entspringt, wo die Quellen liegen. Wir wissen, das wir mit dem Abbau von Gold die Umwelt beeinträchtigen und mit dem Schutz einzelner Bereiche wollen wir dem entgegenwirken."
José Perez ist circa 1,65 Meter groß, körperlich kräftig und hat eine Baseball-Kappe ins Gesicht gezogen. Perez verwaltet sieben Goldminen und drei Goldwäschereien einer Kooperative mit knapp 70 Arbeitern in Pacarni – einem kleinen Dorf im südlichen Kolumbien.
Die Kooperative ist anders als die meisten kleinen Minen formalisiert, besitzt also alle notwendigen Lizenzen. Anders ist auch der Anspruch: In Pacarni wird auf saubere Techniken gesetzt. So kommt beim Waschen des Goldes nur sehr wenig Quecksilber zum Einsatz. Der Rest landet in einem geschlossenen Kreislauf und gelangt nicht in die Umwelt. Dafür hat die Kooperative das Label "Fairmined" bekommen. Die "Allianz für verantwortungsvollen Bergbau" vergibt kleinen Betrieben weltweit nach Prüfung ein Nachhaltigkeits-Siegel. Die Kooperative in Parcarni ist bisher die Erste und Einzige in Kolumbien, die mit diesem Siegel Gold auf den amerikanischen und europäischen Markt verkauft.
"Obwohl wir nur im sehr kleinen Maßstab produzieren und einfache Leute sind – Bauern eben – haben wir eine Möglichkeit gefunden Gold, zu fördern und uns unsere Technik auch noch konstant zu verbessern. Und jetzt geht unser Gold sogar noch ins Ausland: Das macht uns sehr stolz."
Die Kooperative gibt ihr Gold an die "Allianz für verantwortungsvollen Bergbau" weiter und ist am Verkaufserlös beteiligt. Pro Gramm bekommt die Kooperative von Pacarni mehr Geld als über die bisher gängigen Handelswege. Die Mehreinnahmen sollen in besseres Equipment fließen, so wollen José Perez und die Kooperative in zwei Jahren völlig auf Quecksilber verzichten. Der Erfolg der Gemeinde in Pacarni steht und fällt allerdings mit der Entwicklung des Marktes von nachhaltigem Gold – und mit der Bereitschaft von europäischen und US-amerikanischen Konsumenten, etwas mehr für konfliktfreies und umweltverträgliches Gold zu bezahlen.
Doch das Gold aus Pacarni macht nur einen winzigen Teil der jährlichen Fördermenge Kolumbiens aus. Der Abbau des Edelmetalls wird deshalb wohl noch länger für soziale und ökologische Spannungen sorgen.
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