Rassismus und Intoleranz

Man wird doch noch mal sagen dürfen, ...

Von Lena Gorelik · 17.03.2014
Es ist reaktionäres und menschenfeindliches Gerede, das mit dem Satz "Das wird man ja noch sagen dürfen" eingeleitet wird. Mittlerweile sind es aber auch Intellektuelle, die zu ihm greifen - und sie bekommen beunruhigend viel Zustimmung, warnt die Autorin Lena Gorelik.
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man fast darüber lachen. Wenn schon nicht lachen, so könnte doch zumindest das Gefühl der Langeweile aufkommen, ein Gähnen: Das hatten wir doch schon, letztes Jahr, und vorletztes auch. Ein anderes Thema zwar, aber der Tonfall war derselbe, und vor allen Dingen auch die Semantik.
Sätze, die sich wiederholen, auch wenn sie sich immer wieder gegen andere Gruppen von Menschen richten. Mal sind die Ausländer an der Reihe, mal die Muslime, mal die Sinti und Roma. Dann plötzlich doch tatsächlich wieder die Homosexuellen. Obwohl man meinte, zumindest dieses Thema sei im Deutschland des Jahres 2014 nicht mehr aktuell, hier, wo sonst so bereitwillig die Diskriminierung der Homosexuellen in Russland oder in arabischen Ländern angeprangert wird.
Ein Klassiker verlogener Selbstverteidigung
Kaum ist das Erschrecken abgeklungen, kommen schon die nächsten ins Visier: Jetzt sind es jene Lebenspartner, die sich durch künstliche Befruchtung helfen lassen, und jene Kinder, die auf diese Weise gezeugt worden sind. Kinder! Und immer wieder gefolgt vom stereotypen Nachsatz: "Man wird doch mal sagen dürfen!"
Ein Klassiker verlogener Selbstverteidigung, der aufkommende Empörung zur Seite wischen will - harmlos tuend und halbherzig entschuldigend, am besten den Spieß umdrehend, dass einem kritischen Geist wohl der Mund verboten werden solle.
Einer Büchner-Preisträgerin wie Sybille Lewitscharoff beispielsweise, einer viel gelobten Autorin, die in einer Rede künstliche Befruchtung als "absolut widerwärtig", Leihmutterschaft als eine "wahrhaft vom Teufel ersonnene Art, an ein Kind zu gelangen" und auf diese Weise entstandene Kinder als "Halbwesen" bezeichnet hatte.
Was anders ist, ist offenbar nicht akzeptabel
Oder einer wie der Bestsellerautor Matthias Matussek, der sich gleich auf die Opferbank begibt, indem er behauptet, sich gerne dafür steinigen zu lassen, dass er keine Lust habe, sich von Gleichstellungsfunktionären plattmachen zu lassen. Er ist in guter Gesellschaft mit Thilo Sarrazin, der sogar ein Buch eigens zu diesem Thema verfasst hat - zum neuen Tugendterror, der ihm sodann, fast wie bestellt, werbewirksam entgegenschlägt.
Dieses auftrumpfende "Man-wird-doch-mal-sagen-dürfen" legt sich nicht wirklich kritisch mit dem Zeitgeist, mit dem Mainstream an, sondern profiliert sich an Vorurteilen, an Randgruppen, an denjenigen, die aus anderen Ländern kommen, anders aussehen, anders beten, anders leben, ihre Kinder anders zeugen, andere sexuelle Neigungen haben als wir. Denn was anders ist, ist hierzulande nicht akzeptabel.
Da wundert es nicht, dass der Europarat rügt, Deutschland gehe nicht vehement genug gegen Rassismus und Intoleranz vor. Neu sind die Debatten nicht, deren Semantik auch nicht. Neu sind jedoch die Angegriffenen und neu die Angreifer. Es sind nicht allein Stammtischler, die neuerdings diese Reden schwingen, nicht Anhänger rechter Parteien: es sind Deutschlands führende Intellektuelle.
Erschreckende Menge an Zustimmung
Es sind Menschen, deren Beruf und Berufung das Wort ist, das gesprochene, das geschriebene, die sich für jedes einzelne Wort bewusst entscheiden, ganz bewusst wie Sybille Lewitscharoff auf den Jargon des Nationalsozialismus zurückgreifen, die reaktionäres, menschenfeindliches Reden salonfähig zu machen versuchen.
Noch erschreckender als dies ist höchstens die Menge an Zustimmung, die sie erhalten, noch erschreckender ist, dass sie wissen und vorausberechnet haben, aus welchen Motiven sie diesen Beifall erhalten werden. Man wird doch noch mal sagen dürfen, dass man diesen Satz nicht mehr hören will.
Lena Gorelik, wurde 1981 in Russland im damaligen Leningrad geboren und kam 1992 zusammen mit ihrer russisch-jüdischen Familie nach Deutschland. Ihre Romane "Meine weißen Nächte", "Hochzeit in Jerusalem" und "Verliebt in Sankt Petersburg" wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihr "Sie können aber gut deutsch", "Lenas Tagebuch" (Herausgeberin) und "Die Listensammlerin".
Lena Gorelik
Lena Gorelik© Gerald von Foris/Graf Verlag