Rassismus am Theater

Keine Rollen für schwarze Schauspieler?

Der Tänzer und Schauspieler Ahmed Soura und die Sopranistin Bini Lee in dem Stück "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" in der Deutschen Oper in Berlin; September 2012
Der Tänzer und Schauspieler Ahmed Soura und die Sopranistin Bini Lee in dem Stück "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" in der Deutschen Oper in Berlin; September 2012 © picture alliance / ZB
Von Gerd Brendel · 04.10.2014
Muss Gretchen blond sein? Und Faust weiß? In der Theaterszene regt sich Unmut darüber, dass Schwarze so gut wie nie in Hauptrollen besetzt werden. Gegenbeispiele gibt es, aber man muss lange nach ihnen suchen.
Zu Beginn von "Hauptrolle" tanzt und erzählt Ahmed Soura seine Biografie wie die Märchenerzähler seiner Heimat, wenn sie Heldenepen erzählen. Eine beeindruckende Künstlervita zwischen seiner Heimat Burkina Faso und Europa. Schlingensief holte ihn vor vier Jahren für sein letztes Stück nach Deutschland. Seitdem hat er an großen Häusern gespielt: Stuttgart, Deutsche Oper Berlin. Aber immer, immer war er der einzige Schwarze.
"Warum?", fragt er sich in seinem Stück und wo sind die anderen? Die alte Frage: Wer kommt auf der Bühne vor und wer nicht? Sie wird gerade wieder einmal heftig diskutiert in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Es ist ein Streit um Repräsentation sagt Jens Hillje, Chef-Dramaturg und Co-Intendant des Berlin Maxim Gorki Theaters.
"Im Deutschen Theater repräsentiert sich die Stadtgesellschaft und reflektiert sich die Stadtgesellschaft - und im Nationaltheater die Nation, wie sie ist und wie sie zusammengesetzt ist. Und deswegen ist ein Streit um das, was auf einer Theaterbühne stattfindet, immer ein Streit um das Selbstbild der Stadt oder des Landes."
Vor allem, weil Hilljes Theater-Kollegen sehr, sehr lange ein ziemlich veraltetes Bild von ihrer Gesellschaft pflegten:
"Da war das eben doch noch eine Vorstellung - das Gretchen ist tendenziell blond und hat blaue Augen und auch der Siegfried ist blond und hat blaue Augen. Es gab nicht den Mut, entsprechend zu besetzen und die Leute entsprechend zu fördern. Die sind halt zum Film und zum Fernsehen abgewandert."
Lebenswirklichkeit deutscher Städte sieht man selten auf der Bühne
Und so findet sich die nicht-weiße Lebenswirklichkeit deutscher Großstädte eher in Vorabend-Serien privater Fernsehkanäle wieder, als auf den Bühnen des Landes. Theater als Ort, wo sich eine Gesellschaft über sich selbst verständigt? Fehlanzeige.
Nicht-Weiße, wenn sie dann doch vorkommen - in Shakespeares "Othello" oder Jean Genets Anti-Kollonialismus Stück "Neger" - werden ihre Rollen von Weißen in Maske gespielt, wie vor ein paar Wochen in Johan Simons Inszenierung der Genet-Parabel in Wien. Aber die schwarze Theaterschminke hat auch auf deutschen Theaterbühnen ihre Unschuld längst verloren. "Blackfacing" - für die Theaterwissenschaftlerin Azadeh Sharifi ein Beispiel für Rassismus:
"Unsere Gesellschaft ist divers, es gibt unzählige schwarze Theaterschauspieler und -spielerinnen. Und die Frage ist: Warum wird, wenn es eine expliziert schwarze Rolle sein soll, warum wird für diese Rolle nicht eine schwarze Schauspielerin genommen?
Und der zweite Schritt ist: Warum wird eine schwarze Person nur anhand seiner Hautfarbe festgestellt? Das ist ja 'ne Fremdzuschreibung, dass die weiße Mehrheitsgesellschaft denkt, dass schwarze Menschen nur anhand der Hautfarbe markiert werden können."
Wer zur schwarzen Theaterschminke greift, zitiert - ob er will oder nicht - eine Geschichte, die von Karrikatur bis Menschenverachtung reicht. Ein Kapitel daraus erzählt auch Ahmed Soura in seinem "Hauptrollen"-Stück:
Der Teufel war die einzige schwarze Figur in der Bibel
"Auf meinem katholischen Gymnasium in Burkina Faso brachte uns eine Nonne eine Bilderbibel in den Unterricht mit. Darin gab es auch ein Bild vom Teufel. Und der war als einziger von allen Figuren schwarz! Ich fragte sie, wieso? Aber sie konnte mir das nicht erklären. Da hab' ich gesagt: Dann will ich das Buch nicht lesen."
In seinem Stück schlüpft Ahmed Soura in die Hauptrollen, die er auf deutschen Bühnen nicht angeboten bekommt. Sein Faust ist ein Kraft strotzender Playboy, den weniger Erkenntnis-Suche als die Sehnsucht nach ewiger Jugend antreibt und sein Siegfried ein legendärer Held aus Mali, dessen Sage erstaunliche Parallelen zum Nibelungenlied aufweist.
Die Diskussion um Rassismus auf der Bühne entsteht vor allem da, wo nicht-weiße Darsteller auf die Bühne treten und nicht-weiße Zuschauer ein realistisches Bild ihrer Wirklichkeit auf der Bühne einfordern.
Am Berliner Maxim-Gorki Theater stellen sich Jens Hillje und seine Intendantin Shermin Langhoff der Diskussion mit einem bunt zusammengewürfelten Ensemble und ganz eigenen Fassungen urdeutscher Stoffe. In diesem Monat hat Hebbels "Der Untergang der Nibelungen" als Geschichte unter Migranten Premiere. Dass das mit "Nischentheater" überhaupt nichts zu tun hat, beweisen die ausverkauften Vorstellungen im Maxim Gorki.
Wie beantwortet Ahmed Soura, der Tänzer und Schauspieler aus Burkina Faso die Frage, warum er in Deutschland immer als einziger auf der Bühne steht? Mit einem Kopfschütteln und einer Gegenfrage:

"Na, wenn man meine Stücke auf der Bühne sieht, finden Sie nicht, dass Ihnen da bisher was gefehlt hat?"