Rapper Mohammad Abu Hajar

Gegen das Abstumpfen und das Vergessen

Mohammad Abu Hajar
Der Syrer Mohammad Abu Hajar, Frontmann der Rap-Band Mazzaj © Enrico Incerti
Von Anna Corves · 28.03.2017
In Syrien rappte Mohammad Abu Hajar gegen das Assad-Regime und wurde dafür eingesperrt und gefoltert. Seit mehr als zwei Jahren lebt er in Berlin und erhebt weiterhin seine Stimme gegen die Verbrechen in seiner Heimat.
Mohammad Abu Hajar, alias MC Abu Hajar beugt rhythmisch seinen schmalen Oberkörper vor und zurück. Die rechte Hand hält das Mikrofon, mit der linken unterstreicht er zornig seine Worte in der Luft. Der 30-Jährige rappt über seine Heimat Syrien, über Nationalismus, Rebellion, Folter und Zerstörung. Nicht in einem Club oder auf einer Konzertbühne – Mohammad und Bandkollege Ahmed treten heute in einer Bibliothek auf.
In der Ankündigung des Abends ist wieder mal die Rede von "Geflüchteten" – was Mohammad wurmt:
"Der Ort, an dem wir spielen – der ist mir egal. Aber das Label ´Flüchtlinge` …. das ekelt mich. Ich weiß, das ist nicht so gemeint, die Leute organisieren Projekte für Flüchtlinge, weil sie was Gutes machen wollen. Das Problem ist die Haltung: Wir werden nicht als Teil der Berliner Musikszene gesehen, sondern als etwas Spezielles – und das nicht in künstlerischer Hinsicht, sondern eher wie Zoo-Tiere."

Seine Botschaft ist politisch

Er will, dass die Botschaft seiner Texte gehört wird. Die ist politisch, schon immer. Davon erzählt er an einem anderen Ort: in den schlichten Büroräumen von "adopt a revolution" in Berlin-Neukölln. Mohammad sitzt am Schreibtisch, seine weißen Kopfhörer wie immer um den Hals. Die NGO "adopt a revolution" organisiert Solidaritätsveranstaltungen für Syrien. Vor allem aber halten Mohammad und seine Mitstreiter engen Kontakt ins Kriegsland:
"Wir unterstützen die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die mit der Revolution entstanden sind – Medien, die frei berichten, Leute, die die Menschenrechte verteidigen. Wir sind Partner, wir unterstützen uns gegenseitig. Denn sie liefern uns Informationen, helfen uns, die Lage zu verstehen."
Sich politisch einzumischen, das kennt er von klein auf: In seiner Familie, im syrischen Tartus, waren viele Verwandte Regimekritiker, saßen im Gefängnis. Auch der junge Mohammad kommt schon vor dem Krieg zum ersten Mal in Konflikt mit der Obrigkeit:
"Ich hatte eine Freundin. Ihre Eltern lehnten die Beziehung ab: wir gehörten unterschiedlichen Religionsgruppen an, die Familie war sehr konservativ. Das endete damit, dass ihr Vater und ihr Onkel uns einsperrten – und folterten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch Vertrauen in unser System, wir sind zur Polizei gegangen, wollten das Verbrechen anzeigen. Der Polizist antwortete: Ihr könnt froh sein, dass sie euch nicht umgebracht haben, das Recht dazu hätten sie gehabt."
Für Mohammad ist es ein Schock, dass das Gesetz tatsächlich so genannte "Ehrenmorde" erlaubt – und die Initialzündung, Texte zu schreiben, in denen er ein demokratisches, säkulares Syrien beschwört. Zwei Jahre später, er studiert mittlerweile, verhört ihn deswegen der Geheimdienst zum ersten Mal. Als der Arabische Frühling sein Heimatland erreicht, schließt sich Mohammad den Protesten an. Und veröffentlicht wieder einen Song.
"Zwei Tage später gehe ich mit Freunden die Straße entlang. Drei bewaffnete Männer umzingeln uns, bringen uns zum Geheimdienst. Dort ist man erst nett zu uns, redet mit uns. Dann kippt die Stimmung plötzlich. Sie werden total aggressiv, bedrohen uns, drohen, unsere Verwandten zu vergewaltigen. Dann werden wir in eine Zelle gesteckt, ohne Licht, ohne Toilette, so stank es da auch."

Gefoltert und erniedrigt

Er wird in verschiedene Gefängnisse verlegt, gefoltert, erniedrigt. Nach drei Monaten lassen ihn die Häscher frei. Als sie kurz darauf wieder vor der Tür stehen, springt Mohammad vom Balkon und rennt. Er flieht erst nach Jordanien.
"Aber ich dachte: Ok, wenn es jetzt zwei Jahre dauert, bis wir Assad überwinden und anfangen können, Syrien wieder aufzubauen, kann ich die Zeit zum Studieren nutzen. Also bin ich nach Italien, habe einen Master in politischer Ökonomie gemacht. Ich habe nie daran gedacht, nicht zurückzugehen. Ich dachte, es sei nur eine Frage der Zeit."
Er lächelt bitter. Seit 2014 lebt er, als politischer Flüchtling anerkannt, in Berlin.
"Mit jedem neuen Tag, spätestens seit der Schlacht um Aleppo, bei der die Welt einfach zugeschaut hat, verstehst du: Du wirst nicht zurückkehren. Assad wird an der Macht bleiben. Die einzige Art, wie ich das aushalte, ist: Musik zu machen."
Selbst Musik zu machen fällt Mohammad Abu Hajar gerade schwer:
"Wenn du politische Musik machst, musst du stark auftreten. Da stehen Leute vor Dir, die darauf warten, von dir Kraft zu bekommen. Aber gerade muss ich mich diese Kraft aus meinem tiefsten Inneren holen."
Ein paar Tage später schreibt er eine Nachricht – wie eine Kampfansage an sich selbst:
"Solange es auch nur eine Person in Syrien gibt, die noch die Fahne der Revolution hochhält – ist es meine Pflicht, diese Stimme weiterzutragen."

Weitere Informationen zur Band finden Sie auf der Homepage.
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