Rappen für den Erfolg

Von Bernd Sobolla · 27.12.2011
Regisseur Özgür Yildirim ("Chico") bringt mit "Blutzbrüdaz" einen fiktiven Stoff ins Kino, der sich partiell an die Geschichte des deutschen Rappers Sido anlehnt.
"Klingel. / Was ist? / Ah, ich habe den Schlüssel vergessen, mach mal auf! / Wo warst du denn? / Ey, ist eine lange Geschichte. Ist voll viel Scheiße passiert. Ich erzähl dir das mal in Ruhe. / Und wieso gehst du nicht an dein Handy ran? / Ich konnte nicht ans Handy, das hatte die GESA. / Wer ist GESA? / Ey, jetzt komm schon, Susi, mache jetzt nicht so ne Faxen! Mach einfach auf! / Was für Faxen? Du kannst mich mal. Jedes Mal dieselbe Scheiße, Alter! Penn doch bei Gesa! / Ey man, Gesa ist doch die Gefangenensammelstelle."

Otis, gespielt von Sido, weiß, wie es ist, draußen in der Kälte zu stehen: Er lebt im Berlin der 90er-Jahre, hat keinen Job, ist chronisch pleite und hat ständig Ärger mit seiner Freundin, den Behörden und der Polizei. Gemeinsam mit seinem besten Freund Eddy, alias B-Tight, träumt er davon, Musik zu machen. Genauer gesagt professionell zu rappen.

Talentiert und kreativ sind die beiden, und Fusco, eine Hip-Hop-Legende, will sich sogar ein Demoband von ihnen anhören. Doch so etwas besitzen die beiden gar nicht. Ja, nicht einmal ein Mikrofon können sie sich leisten, um ein Demoband zu produzieren. Also klauen sie sich eines: Gesagt, getan, gerappt – verfolgt. Fast wie in Sidos richtigem Leben.

"Der Film ist eigentlich ein Abbild der Zeit, wo Berliner Hip-Hop in Deutschland größer wurde. Ich meine, deutschen Hip-Hop gibt es jetzt schon seit 95, dass er bekannte wurde und so. ... Also deutsche Hip-Hop ist dann durch die Decke gegangen mit mir und Bushido zu der Zeit. ... Die Zeit wollen wir einfach beschreiben. Wie das kam, wie Plattenfirmen auf Berliner Hip-Hop aufmerksam wurden. Auf diesen dreckigen Ghettostyle und so, den wir ja nun mal hatten."

Die notorischen Verlierer setzen ihre Lebenserfahrung musikalisch um, Fusco, gespielt von Milton Welsh, übernimmt den Verkauf - und die Musik schlägt ein.

"Hier, einmal für euch durch zwei. / Hey! / Gibt 100 extra für jeden von euch. / Wieso das jetzt? / Wir machen jetzt einen anderen Deal: 70 / 30 ... 70 für euch. / Hey! Hey, spendabel, Alter! / Dafür will ich was von Euch! Ich will euch managen. ... Ihr braucht jemanden, der sich um eure Termine kümmert, der eure Gigs klar macht, Logos, Merchandising, all diesen Kram. Ist eine Menge Arbeit."

Regisseur Özgür Yildirim hat heruntergekommene Hinterhöfe und wilde Partys, stilvolle Plattenstudios und umjubelte Konzerte überzeugend in Szene gesetzt. Aber er wollte nach Bushidos "Die Zeiten ändern dich" keine neue Biografieverfilmung machen.

"Der Versuch noch einen zweiten Film über einen zweiten Rapper herauszubringen, der autobiografisch ist, wäre nicht so ideal gewesen. Zum anderen war für mich immer wichtig, frei zu sein. Ich wollte einfach eine rein fiktive Geschichte erzählen."

Und Sido ergänzt.

"Jedes meiner Alben ist autobiografisch. Muss ich noch Bilder dazu machen. Hör dir meine Musik an, dann kennst du meine Biografie, fertig."

Plötzlich interessiert sich ein großer Plattenmogul für die "Blutzbrüdaz" und spannt die Jungs Fusco und seinem Independent-Label aus. Otis und Eddy spielen nun in einer anderen Liga: Die Konzerte werden größer, die Gagen höher, der Promotion-Aufwand explodiert – und parallel dazu der kommerzielle Druck.

"Ich will es schaffen, doch mein Ziel ist noch fern. / Ich weiß, auf dem Weg nach oben ist noch vieles zu lernen. / Ich will endlich jemand sein, frage mich, wie das wohl wäre. / Ich mache die Augen zu und fliege ans Meer. / Und los geht's! / Stop mal, stop mal, stop mal! Jungs, das geht gar nicht. Sagt mal, ihr rappt die doch immer? / Ja. / Singt die doch einfach mal! / Was? / Wir können nicht singen, Alter. / Das kriegen wir schon hin. Vertraut mir, okay! / ... Ich will endlich jemand sein, ich frage mich, wie das wohl wäre. Ich mache die Augen zu und fliege ans Meer. Yeah! / Ist doch scheiße, Alter. / Ne, ne, ne. Das war sensationell."

"Blutzbrüdaz" schildert die Karriere von Rappern, die so oder so ähnlich auch andere Musiker erlebt haben: Wie Erfolg und Abhängigkeit eine unselige Allianz eingehen, wie sich das Individuum auflöst und zu einem auswechselbaren Teil im Apparat eines großen Studios wird. Und wie dabei manchmal auch die Freundschaft auf der Strecke bleibt. Denn als Otis sich weigert auf diesem Weg weiter zu gehen, startet Eddy seine Solokarriere.

"Damit Ihr es alle wisst, die Blutzbrüdaz gibt's nicht mehr. Es hätte schön sein können, doch das ist mir der Mist nicht wert. Und, Eddy, denk mal kurz daran, was wäre, wenn ich nicht wäre! Sag mal, wo kommen deine Hits denn her ..."

Özgür Yildirim ist eine spritzige Komödie gelungen, mit reichlich Situationskomik und vielen schrägen Charakteren. Das Ganze wird getragen von einem starken Ensemble, in dem Sido sich überraschend zurückhaltend präsentiert. Der heimliche Star des Films aber ist der 1996 verstorbene Rio Reiser. Der hatte zwar als Frontmann von "Ton, Steine, Scherben" nichts mit Rap zu tun, aber Sido und Co verneigen sich vor ihm, in dem sie ihm mit Fusco, dem Manager der "Blutzbrüdaz", ein Denkmal schaffen.


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