Ralf Südhoff: Kampf gegen Klimawandel hilft auch gegen Hunger

Ralf Südhoff im Gespräch mit Gabi Wuttke · 09.12.2009
Nach Ansicht von Ralf Südhoff ist es relativ einfach, die Folgen des Klimawandels für Menschen in den Entwicklungsländern einzudämmen. "Mit einem Ansatz und mit sehr wenig Geld" könne man etwas gegen den Hunger und für die Umwelt tun, sagt der Leiter des UN World Food Programm Deutschland und Österreich.
Gabi Wuttke: Die Zahl der Naturkatastrophen hat sich in 30 Jahren vervierfacht – ein erschreckender Satz, nicht nur am frühen Morgen. Ein Satz, den auch die Delegierten auf dem Weltklimagipfel zu hören bekommen von den Vertretern des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Chef des WFP für Österreich und Deutschland ist Ralf Südhoff und jetzt im Studio. Guten Morgen!

Ralf Südhoff: Guten Morgen.

Wuttke: Wir wissen seit dem letzten Bericht des Weltklimarats, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. In welchen Fällen kann man von Naturkatastrophen also gar nicht mehr sprechen?

Südhoff: Das stimmt. Im Grunde reden wir auch nur noch von Wetterdesastern, alsodass man sagt, dass Dürren, Fluten massiv zugenommen haben. Die Anzahl der Wetterdesaster hat sich in der Tat allein seit den 90er-Jahren verdoppelt und in den letzten 30 Jahren vervierfacht, mit massiven Folgen für die Menschen vor Ort, vor allem auch für ihre Ernährung, weil Ernten zerstört werden, weil immer längere Dürren sind und immer weniger Regen fällt in vielen Regionen.

Wuttke: Sie wissen, was es heißt, dicke Bretter bohren zu müssen. Glauben Sie, wenn wir jetzt von menschengemachten Katastrophen sprechen würden, dass zum Beispiel auch Ihre Organisation international mehr Gehör finden würde, weil das einfach ein Begriff ist, der uns näher ist und ja die Wirklichkeit sehr viel besser trifft?

Südhoff: Ich glaube, es beleuchtet vor allem, dass es um ein Problem geht, was von Menschen gemacht ist. Das heißt aber ja auch auf der anderen Seite, dass es von Menschen gelöst werden kann. Grundsätzlich, glaube ich, werden wir den Kampf gegen den Klimawandel dann gewinnen, wenn wir begreifen, dass es sich nicht nur um ein riesiges Problem handelt, sondern dass es auch sehr umfassende Lösungen dadurch dafür geben kann.

Wenn wir nämlich den Kampf gegen den Klimawandel wirklich angehen, können wir damit sowohl etwas für die Umwelt tun, sowohl etwas für die Entwicklung in den Ländern des Südens und für den Kampf gegen den Hunger, denn ganz oft muss man quasi nur eine Maßnahme, nur ein Programm, ein Projekt machen, um alle drei Probleme gleichzeitig zu lösen, mit einem Ansatz und mit sehr wenig Geld.

Wuttke: Fluten einerseits, Dürre andererseits. In welchem Land zeigt sich denn derzeit am schlimmsten, wie Klimawandel und Hunger zusammenhängen?

Südhoff: Ich war zum Beispiel gerade in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Erde, was große Erfolge hatte im Kampf gegen den Hunger in den letzten Jahrzehnten gleichzeitig. Noch vor nicht allzu langer Zeit waren 70 Prozent der Äthiopier unterernährt, heute sind es noch gut 40 Prozent. Solche Erfolge werden durch den schon eingesetzten Klimawandel massiv gefährdet. Die Dürren haben massiv zugenommen in Äthiopien, sie kommen immer häufiger und der Regen wird immer unberechenbarer. Das setzt eine Abwärtsspirale in Gang, wenn man nichts tut.

Ich stand zum Beispiel an Berghängen, die früher sehr, sehr fruchtbar waren. Die dürren dann aus, der Boden, und das führt dazu, dass der Regen, der noch fällt, gar nicht mehr einsickert, er schießt ins Tal, er wird an diesem Berghang nichts mehr nutzen, um dort anbauen zu können, und wird weiter im Tal zur Flutwelle. Das ist eine ganz schlimme Eigendynamik, die aber gleichzeitig mit ganz einfachen Mitteln bekämpft werden kann, indem man kleine Dämme baut, indem man die Menschen unterstützt, sogenannte Ponds zu bauen, wo sich das Wasser wieder sammelt, und sie werden in der Lage sein, mit dem wenigen Regen, der noch da ist, sich doch selbst zu ernähren. Ich stand auf diesen Feldern, die plötzlich wieder blühen, mit einfachsten Mitteln.

Wuttke: Es geht ja mehr als das Gerücht, dass die Bundesregierung nach Kopenhagen gefahren ist mit der Weisung aus dem Bundesentwicklungshilfeministerium, dass bei den Verhandlungen um das Geld das eine mit dem anderen kompensiert werden soll, sprich dass es letztlich aus dem Entwicklungshilfetopf Gelder geben wird, die dann den großen ganzen Rahmen ein wenig schmälern. Kann das, was Sie gerade gesagt haben, dann funktionieren, wenn die Entwicklungshilfe in Deutschland nicht ausgebaut wird?

Südhoff: Ich glaube, die Diskussion zielt vor allem auf die Frage, ob die Erhöhung der Entwicklungshilfe in den nächsten Jahren, die ja klar versprochen ist und auch von der Bundesregierung zumindest bis 2015 zugesagt wurde, ob die aus den Klimageldern kommen darf, die eingesetzt werden sollen für den Kampf gegen den Klimawandel. Dort wird es höchst wahrscheinlich deutlich mehr Geld auf jeden Fall geben durch den sogenannten Emissionshandel, wo unter anderem Unternehmen ja dafür zahlen, dass sie Klimaverschmutzungsrechte nutzen dürfen. Diese Gelder kommen hinzu und die Frage ist dann, ob man sie auf die Entwicklungshilfe anrechnen darf oder nicht. In der Tat müssen wir natürlich ganz viel tun, vor allem in den Entwicklungsländern selbst. Dort können wir das Problem nämlich lösen und dort ist es auch sehr günstig und sehr einfach.

Wuttke: Sie sagen, eigentlich würden einfachste Mittel ausreichen, um schlimme Folgen des Klimawandels in irgendeiner Form wieder in eine Balance zu bringen, zum Vorteil für die Menschen. Es klingt alles eigentlich furchtbar einfach.

Südhoff: Es ist, glaube ich, eine Frage des politischen Willens, sowohl auf unserer Seite als auch dort. Ich glaube, für viele hat es etwas Erschlagendes, dieses Gefühl, die Zahl der Hungernden steigt ja massiv, wie wir auch immer wieder sehr öffentlich sagen, die Armut nimmt in vielen Ländern zu, und nun auch noch Klima und Umwelt - kann man sich in Zeiten auch noch einer Finanzkrise um all das kümmern?

Deswegen ist es, glaube ich, so wichtig zu verstehen, dass die Lösung für viele von diesen Problemen die gleiche ist. Wenn wir Bauern befähigen, ihre Felder wieder zu bestellen, wenn wir ihnen einfachste Hilfen geben, solche kleinen Dämme zu bauen, Teiche, wo sich der Regen wieder sammelt, ihre Felder wieder zu begrünen, kann man mit einfachsten Mitteln Millionen von Menschen ein Auskommen dort verschaffen und sie tun gleichzeitig etwas gegen den Klimawandel, weil dort wieder Bäume wachsen, weil es sich dort wieder begrünt. Alleine 2007 konnten wir mit einfachsten Mitteln 13 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern unterstützen. Das kostet nicht viel Geld, es rettet unser Klima und es gibt diesen ein Auskommen. Man kann also wirklich sehr viel tun.

Wuttke: Verantwortung der Industriestaaten, das, worüber wir jetzt gesprochen haben. Aber wir sollten auch nicht außer Acht lassen, dass viele arme Staaten große Teile ihrer Agrarflächen (Hunger) ausländischen Konzernen mehr oder weniger schenken. Warum?

Südhoff: Es gibt einen Trend seit der ausgebrochenen Welternährungskrise, dass zum Beispiel arabische Staaten ihre Ernährung sichern wollen, indem sie in anderen Ländern große Flächen pachten für bis zu 100 Jahre und sich das Recht sichern, die dort angebauten Nahrungsmittel dann zu importieren. Das muss nichts Schlechtes sein. Ausländische Investitionen können ja auch helfen.

Aber in der Tat sind die Rahmenbedingungen, dass diese Investitionen dann auch der Bevölkerung vor Ort nützen müssen, dass die Kleinbauern nicht vertrieben werden dürfen, dass ein erheblicher Teil der Nahrungsmittel auch im Land bleiben muss, insbesondere dort, wo gehungert wird, da gibt es auf jeden Fall eine Verantwortung, die besser wahrgenommen werden muss, und auch insgesamt sind die Entwicklungsländer mit in der Pflicht. Auch sie müssen etwas tun gegen den Klimawandel und dessen Folgen für die Hungernden.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Berliner Chef des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, Ralf Südhoff. Vielen Dank!

Südhoff: Sehr gerne.