Radiogeschichte(n)

Wellenreiter (3/4)

Moderation: Dorothea Westphal und Kolja Mensing · 19.01.2014
Seit es das Radio gibt, übt das Medium auch eine große Anziehungskraft auf Schriftsteller aus. Viele von ihnen schrieben spezielle Texte für das Radio oder lasen ihre Texte im Rundfunk. Zum 20. Gründungsjubiläum des Deutschlandradio baten wir Autoren, uns ihre Erinnerungen und Erfahrungen mit dem Radio zu schildern.
Die Autoren hatten dabei vollkommen freie Hand. So sind völlig unterschiedliche Texte entstanden, vom Gedicht über persönliche Erinnerungen bis hin zur Short Story – und das alles exklusiv für Deutschlandradio Kultur!
In dieser Ausgabe des Wellenreiters sind zu hören:

Jan Brandt: "Bad Karma"
Marjana Gaponenko: "Hallo, Dora"
Vea Kaiser: "Sa'moi hams im Radio g'sagt"
Sibylle Lewitscharoff: "Radio"
Antje Rávic Strubel: "Warum haben Menschen das Radio erfunden? Und nicht Fische?"
Monika Rinck: "Versende Dich"

Wir haben die beiden Redakteure der Sendung, Dorothea Westphal und Kolja Mensing, zu den Texten und ihren persönlichen Radioerlebnissen befragt:
Wie sind Sie auf die Reihe gekommen?
Dorothea Westphal: Es gibt ja eine traditionelle Verbindung von Schriftstellern zum Radio. Besonders in den 50er und 60er-Jahren haben viele Autoren für das Radio geschrieben. Damals hatte das Radio eine mäzenatische Funktion, was ein bisschen immer noch so ist. Und so lag es nahe und war reizvoll, Schriftsteller zu bitten, Texte zum Thema Radio zu schreiben, das heißt zu ihrer ganz persönlichen Verbindung zu diesem Medium.
Wir hatten in der Literaturredaktion die Idee, das 10. Jubiläum von Deutschlandradio, das damals noch Deutschlandradio Berlin hieß, auf diese Weise zu begleiten. Das war vor zehn Jahren. So sind die ersten beiden Sendungen entstanden, die bereits an den vergangenen beiden Sonntagen gesendet wurden. Und da das Projekt bei den Autoren auf große Begeisterung stieß und so schöne Texte dabei entstanden sind, haben wir jetzt zum 20. Jubiläum von Deutschlandradio Kultur mit zwei weiteren Sendungen daran angeknüpft.
Warum haben Sie gerade diese Schriftsteller ausgewählt?
Dorothea Westphal: Marjana Gaponenko kenne ich vor allem durch meine Juryarbeit für den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Damit werden jedes Jahr Autorinnen und Autoren ausgezeichnet, die in deutscher Sprache schreiben, die aber mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen sind. Mir war bereits ihr erster Roman wegen der überbordenden Phantasie und dem ungewöhnlichen Umgang mit Sprache aufgefallen, ihr zweiter Roman "Wer ist Martha?", der sich auf sehr besondere Weise mit dem Thema Krankheit und Sterben befasst, hat dann den Preis im letzten Jahr bekommen, und so lag es für mich nahe, sie zu fragen.
Dorothea Westphal ist Literaturredakteurin bei Deutschlandradio Kultur
Dorothea Westphal© Deutschlandradio - Bettina Straub
Antje Rávic Strubel schätze ich schon lange als Autorin. Sie ist auch als Kritikerin für das Radio tätig, kennt also das Medium, und so wollte ich gern wissen, was ihr dazu einfällt.
Das gilt auch für Monika Rinck, die sich thematisch bereits mit dem Radio befasst hat. Und bei ihr hat mich noch besonders gereizt, da sie vor allem als Lyrikerin arbeitet, wie ein Gedicht zu dem Thema aussehen könnte, was sie also lyrisch daraus machen würde.
Kolja Mensing: Das ist natürlich eine tolle Chance, wenn man einfach mal mit Schriftstellern oder Schriftstellerin zusammenarbeiten darf, ohne dass man eine aktuelle Buchveröffentlichung gebunden ist. Wir arbeiten uns ja sonst überwiegend an den Frühjahrs- und Herbstprogrammen der Verlage ab – und hier hatten wir einfach mal freie Wahl.
Von Sibylle Lewitscharoff zum Beispiel wusste ich aus einem Gespräch, das wir einmal hier im Programm geführt haben, dass sie schon immer sehr viel Radio gehört hat, da habe ich sie natürlich gleich angeschrieben.
Vea Kaiser, eine junge österreichische Schriftstellerin, hatte ich kennen gelernt, weil sie vor drei Jahren unter den Finalisten des Open Mike hier in Berlin war, und sie schreibt Texte, die ich sehr elegant und zugleich wahnsinnig lustig finde. Sie hat dann über das Küchenradio ihrer Großmutter geschrieben, ein sehr schöner Erinnerungstext. Am Rande bemerkt: Mir war gar nicht klar, dass man in Österreich nicht "das Radio", sondern "der Radio" sagt. Klingt super! Vielleicht gewöhne ich mir das auch an.
Wie sind Sie an die Autoren herangetreten? Warum diese Textauswahl?
Dorothea Westphal: Es gab auch noch einige andere Anfragen an Autoren, die ebenfalls gerne mitgemacht hätten, aber aufgrund anderer Verpflichtungen keine Zeit hatten wie beispielsweise Feridun Zaimoglu, der noch an seinem neuen Roman arbeitete, der demnächst erscheinen wird. Ansonsten haben wir uns überlegt, wen wir fragen wollen, um eine möglichst große Vielfalt zu erreichen und uns dann telefonisch oder per E-Mail an die jeweiligen Autorinnen und Autoren gewandt.
Was die Gestaltung der Texte anging, gab es keine Vorgabe. Inhaltlich aber schon: Das Radio sollte im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus hatten die Autoren völlige Freiheit – ob sie nun Geschichten dazu erfinden wollten oder ob es persönliche Erinnerungen sein sollten, war ihnen überlassen. Und das hat sich ausgezahlt. Denn so sind sehr unterschiedliche Texte entstanden – eine Vielfalt, die uns sehr gefreut und auch überrascht hat. Genauso wie die Tatsache, dass alle die Idee toll fanden und, sofern sie Zeit hatten, auch sofort zusagten.
Ich hatte den Eindruck, dass den meisten zum Radio gleich etwas einfiel. So kamen interessante Dinge dabei heraus: Gustav Seibt, der an der ersten Sendung beteiligt war, die ich vor 10 Jahren betreut habe, hatte beispielsweise einen Großvater, der eine Fabrik besaß, die Radioapparate herstellte.
Kolja Mensing: Die Autoren hatte vollkommen freie Hand. Sehr interessante Gespräche hatte ich vorab mit Jan Brandt. Jan ist etwa so alt wie ich – Jahrgang 1974, ich bin 1971 geboren – und wir haben festgestellt, dass wir als Kinder beide vom Eurosignal fasziniert waren. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern: Wenn man früher auf einer UKW-Skala ganz nach links drehte, also auf etwa 87 komma nochwas Megahertz einstellte, hörte man so merkwürdige Geräusche, einen Piepton, der sich scheinbar zufällig zu verändern schien.
Literaturredakteur Kolja Mensing
Kolja Mensing© Arno Burgi / dpa
Damals hieß es immer: Polizeifunk! Fast richtig, wie mir Jan Brandt jetzt erklärte: Dieser Ton, das war das sogenannte Eurosignal, ein drahtloser Personenruf, der seit Mitte der siebziger Jahre in Deutschland eingesetzt wurde, um per Funk Nachrichten zu verschicken. Logisch, Handys gab es ja damals noch nicht, also hatte man sich dieses Verfahren ausgedacht, mit dem einfach Signale an einen ziemlich aufwendigen Empfänger verschickt werden konnte. Die Polizei hat das offenbar auch benutzt.
Wie auch immer: Das Eurosignal gibt es nicht mehr, ist Ende der neunziger Jahre abgeschaltet worden – und darüber wollte Jan Brandt eigentlich schreiben. Dann gab es da aber irgendein Rechercheproblem. Und dann hat er eine ganz andere Radiogeschichte geschrieben, in der es unter anderem um den Anschlag während des Marathonlaufs in Boston im vergangenen Jahr geht.
Wie sind Ihre eigenen Erinnerungen als Radiohörer?
Dorothea Westphal: Ich bin ein Radiokind. Bei uns zu Hause gab es lange keinen Fernseher, aber dafür eine große Musiktruhe mit einem integrierten Plattenspieler. Meine Eltern haben sich ganze Romane, sogar mehrbändige, wie "Josef und seine Brüder" von Thomas Mann von dem legendären Gerd Westphal vorlesen lassen. Diese Lesungen waren bei uns zu Hause ein fester Sendetermin. Wir Kinder sind mit der legendären Kindersendung "Onkel Tobias" im Rias aufgewachsen – immer sonntags um 10 Uhr. Das Hören von Literatur haben wir in der Familie weiter gepflegt. Noch immer hören wir zu Weihnachten die Weihnachtsszene aus Theodor Fontanes "Vor dem Sturm" – inzwischen allerdings auf CD.
Kolja Mensing: Ich komme aus einem echten Radiohaushalt. Mein Vater hat eigentlich schon immer unglaublich viel Radio gehört, und als ich ein Kind war spielte immer in irgendeinem Zimmer bei uns zu Hause ein Radioapparat. Er hat allerdings vor allem die politische Berichterstattung verfolgt, "Informationen am Morgen", "am Mittag", "am Abend" vom Deutschlandfunk natürlich, und dann das "Echo des Tages" vom WDR. Wir wohnten in Niedersachsen, da konnte man den WDR eigentlich gar nicht empfangen, es gab ja noch kein Internet oder Kabelrundfunk, und mein Vater hatte sich da extra ein riesige Antenne auf's Dach gebaut.
Egal, ich fand diese Sendung damals halb langweilig, halb beunruhigend: Ich bin ja in den siebziger und achtziger Jahren aufgewachsen, damals waren die Nachrichten ja voll mit apokalyptischen Themen, Aufrüstung und Overkill, Waldsterben, Dioxin-Katastrophen, bisschen viel war das manchmal.
Heute erwisch ich mich dann selbst dabei, das ich mir schon morgens beim Zähneputzen von den Kollegen der "Ortszeit" und meinem Badezimmer-Radio den aktuellen Bürgerkrieg irgendwo in der Welt erklären lasse.
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