Radikaler Provokateur

Von Claudia Wheeler · 29.08.2013
Der österreichische Künstler Hermann Nitsch hat das Orgien-Mysterien-Theater erfunden. Es ist eine Mischung aus Konzert, Performance, Theater und religiösen Ritualen, mit der er sich bis heute beschäftigt. Der Mitbegründer des Wiener Aktionismus wird jetzt 75.
Ein gehäutetes Lamm wird mit dem Kopf nach unten und mit gespaltenem Schädel an die Wand genagelt, die Eingeweide auf einem Tisch und weißen Tüchern ausgebreitet, und immer wieder mit Blut und heißem Wasser übergossen. "Blutorgel", so nennen Hermann Nitsch, Otto Muehl und Adolf Frohner diese Performance, mit der sie 1962 den Wiener Aktionismus gründeten. Die Künstler wollten provozieren, Tabus brechen und stellten die Kunstwelt radikal auf den Kopf.

Bettina Schmitz: "Es war eine sehr repressive Zeit dort, es war immer noch geprägt von diesem Auseinandersetzungen um den Anschluss und die ganze Nazivergangenheit die gar nicht angesprochen wurde und auf der anderen Seite waren da viele Künstler die dort zusammenkamen, die existenziell was anderes wollten."

Bettina Schmitz hat 2006 eine Hermann-Nitsch-Retrospektive in Berlin kuratiert.

"Es waren ja auch Exzentriker diese Aktionisten, und das war in dieser Gesellschaft die natürlich vollkommen grau war, die gar nicht diskutiert hat, wo es Normen gab, die man gar nicht hinterfragen durfte, da kam diese Gruppe an und Hermann Nitsch natürlich auch und haben einfach was völlig anderes gemacht. Haben mit ihrem Körper gearbeitet, haben ihren Körper zum Teil verletzt, haben Verletzungen aufgezeigt und das war absolute Provokation."

Früher kriminalisiert - heute etabliert
Hermann Nitsch hatte schnell seine Ausdrucksform gefunden, an der er bis heute unermüdlich arbeitet: Das Orgien-Mysterien-Theater – eine von ihm erfundene Mischung aus Konzert, Performance, Theater und religiösen Ritualen, wo Tiere geschlachtet, Menschen ans Kreuz gefesselt werden und literweise Blut fließt. Aus einer anfangs 30-minütigen Aktion ist eine Performance geworden, die schon mal sechs Tage dauern kann.

Wurde Hermann Nitsch in Österreich in den 1960er-Jahren mehrfach ins Gefängnis gesteckt, so ist er inzwischen im Establishment angekommen: Sein Orgien-Mysterien-Theater wird weltweit aufgeführt, im niederösterreichischen Mistelbach und in Neapel gibt es jeweils ein Hermann Nitsch Museum und 2005 bekam er sogar den Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst. Trotzdem polarisiert Hermann Nitsch – damals wie heute.

Bettina Schmitz: "Eben dieses in Eingeweide sich suhlen, da geht Nitsch immer noch sehr viel weiter als das, was manche Künstler heute mit anderen provokanten oder pseudoprovokanten Gesten versuchen. Das muss man sich mal vorstellen: Das riecht, das hat eine gewisse Ausdünstung, das ist warm. Das sind alles so Dinge, die wir eigentlich aus unseren ganzen Lebenszusammenhängen ausgegrenzt haben, bei uns ist doch alles in feine Häppchen unterteilt. Und deshalb, finde ich, ist Nitsch immer noch letztlich provokant."

Auch mit 75 ist Hermann Nitsch noch aktiv. Für das nächste Jahr plant er ein weiteres Sechs-Tage-Spektakel seines Orgien-Mysterien-Theaters.

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