Raddatz: Papst hat keinen Fehler gemacht

Moderation: Birgit Kolkmann · 16.09.2006
Der Orientalist und Buchautor Hans-Peter Raddatz hält die Kritik an den Äußerungen des Papstes zum Islam für überzogen. Raddatz sprach Benedikt XVI. das Recht zu, "auf kritisierbare Zusammenhänge im Islam einzugehen". Der Islam habe es bislang versäumt, seine eigene Gewaltgeschichte aufzuarbeiten.
Kolkmann: Kreuzfahrermentalität und Feindseligkeit wirft der Präsident der türkischen Religionsbehörde dem Papst nach seinen Äußerungen über den Islam, den Heiligen Krieg und der Verbindung von Gewalt und Religion vor. Dem hatte Benedikt XVI. in Regensburg vor Theologen auch eine deutliche Absage erteilt. Das von ihm gewählte Zitat eines frühchristlichen Kaisers über die Gewalttätigkeit des Propheten Mohammed war aber mindestens unglücklich gewählt, kritisiert auch der Tübinger Theologe Hans Küng. Josef Ratzinger kenne sich im Islam und im Koran nicht gut aus, er setze sich mit anderen Religionen nicht ausreichend auseinander, und so sei ihm ein vermeidbares Missverständnis unterlaufen. Die Proteste gegen den Papst aus der islamischen Welt sind massiv und ähneln der Kampagne im Karikaturenstreit. Wir sind jetzt verbunden mit dem Orientalisten und Publizisten Hans-Peter Raddatz. Einen schönen guten Morgen in Deutschlandradio Kultur.

Raddatz: Guten Morgen, Frau Kolkmann.

Kolkmann: Herr Raddatz, in der Türkei wird sogar eine Absage des Papstbesuchs im November gefordert. Kann dieser neue Streit gefährlich eskalieren und viele Menschen radikalisieren?

Raddatz: Ich glaube, nicht in dem Maße, wie es im Falle des Karikaturenstreits passiert ist. Allerdings muss man aufpassen und versuchen, hier die beginnenden Streitigkeiten zu begrenzen und das kann eigentlich nur dadurch passieren, indem man die Äußerungen des Papstes im gesamten Kontext sieht.

Kolkmann: Hat der Papst nun einen Fehler gemacht, als er einseitig auf die Gewalt im Islam, nicht aber auf die der Kreuzzüge und Missionierung der katholischen Kirche in den Kolonien einging?

Raddatz: Keineswegs, der Papst muss das Recht haben, auf kritisierbare Zusammenhänge im Islam einzugehen, ohne immer gleichzeitig reflexhaft auch auf die Geschichte des Christentums hinzuweisen, dies insbesondere deswegen, weil der Islam seinerseits es bisher versäumt hat, seine eigene Gewaltgeschichte aufzuarbeiten. Aber ich muss noch einmal darauf hinweisen, es muss darüber hinaus möglich sein, im Rahmen einer Vorlesung in einer deutschen Universität, wissenschaftlich, beziehungsweise historisch belegte Tatsachen noch einmal zusammenzustellen und zu interpretieren.

Der größere Kontext, den ich eben angesprochen habe, besteht ja darin, dass diese kritische Anmerkung des Papstes an der Gewalt des Islam im Zusammenhang mit der Pflicht des Islam zum Dschihad, zum Heiligen Krieg, angebracht wurde. So dass es also keineswegs zulässig ist, jetzt hier sozusagen in die Freiheit der Wissenschaft hineinzuregieren, indem der türkische Religionsführer hier seine ganz klar überzogene Kritik einbringt. Darüber hinaus dürfen wir natürlich auch nicht vergessen, Frau Kolkmann, dass die Religion in der Türkei vom Staat kontrolliert wird. Das heißt, sie ist ein offizielles Instrument der Politik und insofern auch gar nicht vergleichbar mit dem, was der Papst darstellt.

Kolkmann: Der Papst hat sich zugleich auch für den Dialog der Religionen ausgesprochen. Es gibt ja auch - ich zitierte die Kritik von Hans Küng an ihm. War das nur ein Postulat, oder meint er es wirklich ernst damit?

Raddatz: Also die Kritik von Herrn Küng ist ohnehin ebenfalls unangebracht, weil er nicht die Person ist, die kongenial den Papst nun hier kritisieren könnte. Er kann es nicht auf Augenhöhe, weil er bekanntermaßen die Lehrerlaubnis entzogen bekommen hat, aus ganz bestimmten Gründen, nämlich aus den Kampf gegen grundsätzliche christliche Grundlagen. Also wenn Küng kritisiert, dann nehmen wir hier den falschen Gesprächspartner. Es müsste jemand sein, der kongenial, aus der Kirche selbst, als anerkannter Theologe spricht. Das kann Küng nicht.

Kolkmann: Sie selbst wurden ja auch schon oft Ziel sehr harscher Kritik von Islamisten; im vergangenen Jahr erhielten Sie deswegen sogar Personenschutz. Wie sieht das im Augenblick aus? Wie gefährlich leben Sie in den Zeiten, wo diese Auseinandersetzungen harscher werden?

Raddatz: Auch hier, liebe Frau Kolkmann, muss ich eine kleine Korrektur anbringen. Was ich publiziere, ist nicht Kritik in dem Sinne, sondern ich stelle lediglich das muslimische Selbstverständnis dar. Ich stelle es einem Leserpublikum vor. Und vielen von uns hier erscheint es als Kritik, weil es so selten passiert, dass die islamischen Grundlagen dargestellt werden, sondern, was wir bisher immer gepflegt haben, ist eine Wunschversion dessen, was der Islam darstellen soll. Dass daraus dann früher oder später auch Gefahren entstehen, liegt in der Natur der Sache. Ich bin bei weitem nicht der einzige, dem das passiert.

Es kommt dann darauf an, und das ist bisher nicht passiert, einen Modus Vivendi zu finden, mit dem wir dann einigermaßen ausgeglichen mit diesen Gegensätzen umgehen. Das bedeutet also insgesamt, dass wir den Muslimen bei uns klarmachen müssen, auf welche Grundlagen der Rechtsstaat nicht verzichten kann. Das ist vor allem das Gewaltmonopol und Frauenrechte natürlich und die Religionsfreiheit. Und wir haben bisher hier vorzugsweise Islamvertreter in den Vordergrund gerückt, die alles andere sind als frei von Verdacht, Verbindungen zu islamistischen und auch gewaltorientierten Organisationen im Ausland zu unterhalten. Und das ist etwas, was ich natürlich nicht nur kritisiere, sondern angreife, und wo ich erfreulicherweise inzwischen einige Resonanz auch von der Politik bekomme.

Kolkmann: Vielen Dank. Das war Hans-Peter Raddatz, der Orientalist und Publizist, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.