Rabins Ermordung

Fanatische Flüche und tödliche Schüsse

Foto des 1995 ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin auf einer Trauerfeier in Tel Aviv
Foto des 1995 ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin auf einer Trauerfeier in Tel Aviv © dpa / picture alliance / epa AFP
Von Patrick Wellinski · 08.09.2015
Bei den Filmfestspielen Venedig hatte "Rabin, the Last Day" Premiere. Amos Gitai schildert minutiös den Mord an Israels Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin am 4. November 1995. Für unseren Kritiker Patrick Wellinski ist der Film ein Kandidat für den Goldenen Löwen.
Es ist der Abend des 4. November 1995. In Tel Aviv haben sich Menschenmassen zu einer großen Friedenskundgebung versammelt. Der damalige israelische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin hält vor der Menge eine bewegende Rede.
Später am Abend fallen drei Schüsse. Rabin bricht zusammen, wird ins Krankenhaus gebracht und stirbt wenig später an den Folgen des Anschlags. Mit diesen dokumentarischen Bildern beginnt der israelische Regisseur Amos Gitai seinen Film "Rabin, the Last Day". Es ist der Versuch einer detailgenauen Rekonstruktion der Ereignisse. Nach dem Anschlag folgen die Ermittlungen der Schamgar-Kommission, die den Mord untersucht. In langen kammerspielartigen Szenen werden die verfassten Protokolle der Befragungen mit Schauspielern nachgestellt; das gilt auch für die Vernehmung des Attentäters und die Reaktionen der Öffentlichkeit.
Amos Gitai: "Alles in meinem Film basiert auf Fakten. Die Interviews basieren auf Protokollen, auch jede Spielfilmszene basiert auf Fakten, der Angriff auf die Siedlung, die fanatischen Flüche und Morddrohung einiger Rabbiner – alles, was ich da zeige, ist so passiert."
Ruhig, nüchtern und mit viel Geduld montiert Gitai seine Chronik der tragischen Ereignisse. Doch anders als die Schamgar-Kommission, die nur den direkten Tathergang untersuchen sollte, stellt Gitai die Frage nach dem Warum. Wieso musste es soweit kommen? Darin erinnert "Rabin, the Last Day" an Oliver Stones "JFK". Auch der versuchte damals die Umstände der Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy filmisch zu begreifen. In Venedig hat sich Gitai von diesem Vergleich distanziert:
"Oliver Stone hat mit seinem Film über Präsident Kennedy eine Verschwörungstheorie erschaffen. Ich für meinen Teil glaube nicht, dass es beim Tod von Jitzchak Rabin eine Verschwörung gab. Die Einzigen, die das bis heute noch behaupten, sind die rechten Nationalisten in Israel. Es war aber keine Verschwörung, es war absehbar."

Demonstranten zeigten ihn in Nazi-Uniform
Regisseur Amos Gitai in Venedig
Regisseur Amos Gitai in Venedig© dpa / picture alliance / Claudio Onorati
Genau das arbeitet Gitai in seinem Film sehr gründlich heraus. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Rabins Friedensbemühungen mit den Palästinensern den rechten Rand der israelischen Gesellschaft radikalisiert haben. Am deutlichsten sieht man das in den Aufnahmen einer Demonstration von Benjamin Netanjahus Likud-Partei einen Monat vor dem Anschlag. Da wird Rabin mit Nazi-Uniform gezeigt. Die Menge schreit: "Tötet Rabin!" Dass die Kommission all das nicht in ihren Bericht aufnehmen konnte, ist für Gitai bis heute unbegreiflich und eine Schande:
"Es gab eine extreme Stimmung, die sich gegen einen demokratisch gewählten Staatsführer gerichtet hat. Es gab Gruppen, die ihn und seine Politik destabilisieren wollten – und da das nicht möglich war, haben sie ihn umgebracht."
Der Film endet in der Gegenwart. Sie ist grimm und pessimistisch. Es regnet. Ein ehemaliges Kommissionsmitglied geht an Wahlplakaten der diesjährigen israelischen Parlamentswahlen vorbei. Es sind nur die von Netanjahu zu sehen. Rabins Politik, das wird deutlich, ist im heutigen Israel ferner denn je. Und Amos Gitais Film ist durch diese Intensität und Ehrlichkeit der erste Löwen-Favorit der diesjährigen Filmfestspiele.
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