Rabenmütter sind kein Problem, abwesende Väter schon

Dieter Thomä im Gespräch mit Ulrike Timm · 02.09.2013
Ist Papa unmännlich, wenn er pünktlich das Büro verlässt? Wie sich Beruf und Familie vereinbaren lassen, das ist eine Fragestellung, die auch bei den Vätern angekommen ist, sagt der Philosoph Dieter Thomä. Die Männer hätten heute die Chance, Erfüllung in unterschiedlichen Lebensfeldern zu finden.
Ulrike Timm: Haben Sie schon mal das Wort vom "Rabenvater" gehört? Das gibt es nicht. Denn anders als Mütter, über deren Bindung zum Kind mit und ohne Berufstätigkeit ausufernd und bisweilen auch ideologisch diskutiert wird, ist der Vater noch ein nicht halb so gut erforschtes Wesen.

Was bisweilen auch Erstaunliches zutage fördert, wenn sich dann doch mal jemand ausführlich mit Vätern beschäftigt. So wollen australische Wissenschaftler herausgefunden haben, dass Jungs, deren Väter kaum Zeit mit ihnen verbringen, häufiger verhaltensauffällig werden als Mädchen – denen macht der abwesende Vater offenbar nichts.

Wir wollen nun keine Studien auseinanderfriemeln, aber über die Bedeutung vom Vater fürs Kind sprechen, mit dem Philosophen und Buchautor Dieter Thomä, der sich damit ausgiebig befasst hat, zum Beispiel in seinem Buch "Väter. Eine moderne Heldengeschichte". Schönen guten Tag, Herr Thomä!

Dieter Thomä: Hallo!

Timm: Herr Thomä, "Vielarbeiter haben aggressive Söhne" – solche Studien landen dann immer in solchen Schlagzeilen wie dieser. Aber dass sich jemand überhaupt systematisch mit den Vätern beschäftigt und nicht mit den Müttern, ist das schon so was wie ein Perspektivwechsel?

Thomä: Sie müssen sich das ein bisschen vorstellen wir ein Dominospiel in Zeitlupe. Also ein Stein nach dem anderen fällt um, und dabei kommt man dann von einem Thema zum anderen. Was ich damit meine, ist, dass wir ja seit einigen Jahrzehnten so eine ziemliche Neubestimmung im Geschlechterverhältnis erleben, und dann kamen all diese Themen so nacheinander.

Als meine Kinder klein waren, das ist jetzt schon lange her, da ging es um die Frage, ist der Vater auf dem Spielplatz ein Weichei? Da ging es um die Männerbilder. Und dann wurden alle möglichen Vatertypen erfunden und es ging um die Macht zwischen Mann und Frau. Also das ist dann der nächste Dominostein. Und dann ging es, das war dann der nächste Dominostein, um die Frage, wie ist es jetzt bei der Rabenmutter, Fragezeichen? Also wie ist es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei der Frau. Und jetzt kommt der nächste Dominostein, und gleich zwei, nämlich, wie ist es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie beim Mann. Und, das ist jetzt der Dominostein, den Sie angesprochen haben, aha, wie ist es jetzt eigentlich mit dem Vater und dem Kind. Nicht nur dem Vater, der in den Spiegel schaut und sich fragt, ist er ein Weichei oder ein Rabenvater, sondern was hat der eigentlich konkret für Wirkungen aufs Kind.

""Irgendwie mehr Durcheinander, wenn Väter abwesend sind""

Timm: Das heißt, der Junge ist jetzt schlicht und einfach mal dran. Was macht denn das mit Jungs, wenn die Väter wenig präsent sind? Sei es, dass sie nicht da sind, dass die Mutter alleinerziehend ist, sei es, dass die Väter so viel arbeiten, dass die Jungs gar nicht merken, dass sie welche haben?

Thomä: Also erst mal, um doch einen Punkt aus diesen ganzen Studien da rauszugreifen, scheint mir wichtig zu sein, dass die Väter bisher, weil sie ja auch sich ein bisschen schwer tun, so mit vielen Bällen zu jonglieren, so eine Art An- und Ausschalter im Kopf immer betätigt haben. Also: Ich bin immer entweder am Arbeiten oder ich bin zu Hause, dann bin ich müde. Und dann kommen auch noch die Kinder, und da habe ich jetzt echt ein Problem damit, mich mit denen zu beschäftigen. Dass es dann irgendwie mehr Durcheinander gibt, wenn diese Väter abwesend sind als wenn zum Beispiel Mütter berufstätig sind, leuchtet mir ein, sowohl wissenschaftlich wie auch persönlich, weil die Frauen irgendwie ja eher von der Seite kommen, dass sie sowieso immer viel mit Kindern gemacht haben. Und dann sind sie auch daran gewöhnt, irgendwie zu sagen: Okay, ich arbeite, aber ich kümmere mich auch noch um die Kinder. Bei den Vätern ist es so, sozusagen ganz oder gar nicht.

Timm: Interessante Kurzversion. Also, die berufstätige Mutter macht beides, und der berufstätige Vater sagt, Büro ist doch ein bisschen leichter als Bauklötze.

Thomä: Na ja, denken Sie an die berühmte Frauenemanzipation in der DDR – interessanterweise haben sich da die Frauen auch mehr um den Haushalt gekümmert, obwohl beide berufstätig waren in der Regel. Aber Sie wollten ja noch auf was anderes raus, nämlich auf diese Väter, die dann fehlen, und was die eigentlich für Wirkungen haben, wenn jetzt die dann doch mal mit ihren Jungs oder auch mit ihren Töchtern befassen. Und ich denke, dass es schon stimmt, dass wir insgesamt – das höre ich auch wahnsinnig viel von Lehrern und von Eltern, die ihre Kinder in die Schule schicken –, dass wir sehr stark mit einer weiblichen Erziehungswelt zu tun haben, und dass die Jungs da so ein bisschen in die Röhre gucken. Also, wenn sie dann mit ihren persönlichen Anliegen einen Adressaten suchen, jemanden, an dem sie hochgucken können.

Timm: Und was fehlt den Jungs dann, wenn sie, sagen wir mal, im Kindergarten von einer Erzieherin betreut werden, in der Grundschule von der Lehrerin und dann in der weiterführenden Schule auch eher von Lehrerinnen als von Lehrern – was fehlt dann?

Thomä: Na ja, es ist so, dass jeder Mensch verschieden ist, dass wir uns aber auch nicht vertun sollten damit, wie tief eingeschliffen Rollenbilder sind, die jeder von uns in sich drin hat. Und ich als Mann hab dann halt ein Rollenbild in mir drin, obwohl ich mich irgendwie mit meiner Frau immer relativ gleich alles – mir alles gleich geteilt hab – dass ich wilder bin. Dass ich mal mehr Quatsch mache als meine Frau mit den Kindern das gemacht hat. Und dass ich vielleicht auch mit meinem Sohn so eine Art von Kräftemessen gemacht habe, als das meine Frau gemacht hat, weil sich das eher nahelegt zwischen Vater und Sohn. Und das fehlt dann, solche Dinge. Ich glaube, es geht um eine bestimmte Körperlichkeit, aber es geht auch um so eine Art Groß-Klein-Vorbild, was man natürlich auch sucht.

Timm: Meint Dieter Thomä. Wir sprechen mit ihm über die Bedeutung von Vätern beim Aufwachsen von Kindern, besonders beim Aufwachsen von Söhnen. Und ich hab mir gleich lebhaft vorgestellt: Wenn Sie ein Buch geschrieben hätten statt "Väter. Eine moderne Heldengeschichte" "Mütter – eine Heldengeschichte", dann wäre das ein Ladenhüter geworden, oder?

Thomä: Hei-jei-jei, gute Idee! Sollte ich vielleicht noch machen. Aber wenn Sie sagen, es wird ein Ladenhüter, ja, ich meine, dann denkt man …

Timm: Liegt eigentlich nahe. Die Heldenmütter, das wird immer hingenommen.

Thomä: Das wird immer hingenommen, und diese – vielleicht kann man die Väter auch ein bisschen mehr kitzeln damit, dass sie als Helden bezeichnet werden. Man kann die Männer auch ein bisschen kitzeln damit, weil die ja so wahnsinnig gerne Helden sein wollen.

Timm: Das heißt aber auch, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsste viel stärker auch als Männerproblem gesehen werden als bisher.

Thomä: Sehen Sie, diese Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ja tatsächlich bisher irgendwie – ein bisschen in Bewegung gekommen. Da sind wir wieder bei dem Dominostein. Der ist dann mit großem Getöse umgefallen bei diesen Vätermonaten, die dann alle genommen haben, und dann hat man genau hingeschaut und es stellt sich heraus, dass die gerade mal sozusagen das Minimum nehmen, diese Väter, und dann wieder froh sind, wenn sie ins Büro können. Und diese Grundsatzfrage, wie weit landet das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie jetzt wirklich bei den Männern, die – die wird sich jetzt stellen in den nächsten Jahren, und dann wird was Wichtiges passieren, nämlich eben dieser Punkt, dass man irgendwie als Vater dieses Jonglieren mit diesen verschiedenen Bällen nicht nur als Pflichtprogramm oder Krampf oder Stress sieht, sondern irgendwie auch als eine Möglichkeit, sich auf verschiedene Weise zu erfüllen. Und davon würden die Kinder profitieren.

""Okay, ich bin noch ein richtiger Mann, wenn ich nicht 60 Stunden in der Woche arbeite""

Timm: Für Sie als Philosoph und als Autor war das vielleicht auch nicht so schwierig, als Vater präsent zu sein, in Ihrem eigenen Leben. Aber was müsste sich denn politisch, gesellschaftlich ändern, damit Väter die ihnen gemäße Rolle tatsächlich übernehmen können. Denn für einen Manager oder vielleicht auch für einen Facharbeiter ist das so einfach ja nicht?

Thomä: Ich habe eine schlechte Nachricht. Ich kann Ihnen dazu keine originelle Antwort geben.

Timm: Müssen Sie auch nicht! Ehrlich reicht.

Thomä: Und zwar deshalb nicht, weil ja die Antwort alle kennen und es einfach eine Frage der Umsetzung ist. Also es geht auf der einen Seite rein bürokratisch um die ganze Frage der Teilzeitarbeit, der Karrierewege beim Mann. Und es geht nicht bürokratisch, sondern psychologisch darum, inwieweit man als Mann sich praktisch innerlich damit identifiziert, dass man sagt: Okay, ich bin noch ein richtiger Mann, wenn ich nicht 60 Stunden in der Woche arbeite. Also es gibt diese Innenseite und die Außenseite des Problems, das ist aber alle bekannt.

Timm: An einem Dominostein möchte ich noch mal stupsen, der ja auch ein bisschen überrascht hat, nach dieser australischen Studie, dass es den Jungs schadet, wenn der Vater abwesend ist, aber den Mädchen macht das erstaunlicherweise nichts. Liegt das an der Studie oder hat das einen Grund?

Thomä: Da habe ich jetzt keine originelle Antwort, sondern da würde ich, glaube ich, ein bisschen im Nebel stochern, wenn ich jetzt richtig antworten würde. Man muss mal die Kirche im Dorf und die Daten in Australien lassen. Also, was heißt es genau, wofür steht es jetzt genau? Also ich glaube, es ist klar, dass in diesem Mann-Frau-, Vater-Mutter-Spiel etwas passiert, wo Kinder in die Welt hineinwachsen. Und dann ist die Frage, welche Farbe besetzt die Mutter, welche Farbe besetzt der Vater? Faktisch ist es so, dass da auch wieder jeder verschieden ist, aber dass in diesen ganz frühen Monaten, also wenn die Kinder ganz klein sind, logischerweise bisher immer so die Mutter ein bisschen dafür steht, dass sie das Kind schützt und dass das Kind zur Mutter zurück kann, wenn es draußen sich eine blutige Nase geholt hat, und dass es mit dem Vater dann nach draußen zieht.

Das ist ein Klischee, aber es ist auch ein bisschen Alltag in vielen Fällen. Und dadurch steht der Vater für diese Farbe, okay, ich ziehe jetzt mit dir raus, und dann gucken wir mal, was du kannst. Also dieses Können ist insofern dann auch für den Jungen mit dem Vater verbunden, und dazu gehört dann eben auch, in der Schule etwas zu können. So weit würde ich sagen, okay, man kann sich das ein bisschen zusammenreimen, wie das so läuft.

Timm: Wir lassen die Daten in Australien, sind aber trotzdem für präsente Väter. Ich danke dem Philosophen und Autor Dieter Thomä für den Besuch im Studio. Er hat unter anderem geschrieben "Väter. Eine moderne Heldengeschichte".

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