Quotenstreit um Mendelssohn beigelegt

Von Agnes Steinbauer · 26.04.2013
Nach heftigen Diskussionen hat sich der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg geeinigt - der Platz vor dem Jüdischen Museum soll "Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz" heißen. Zu Ehren des jüdischen Philosophen und weil der Bezirk eine Frauenquote für Straßen und Plätze beschlossen hatte.
"Sehr geehrte Frau Vorsteher, sehr geehrte Damen und Herren ich werde die Zahlen langsam vorlesen …"

Von insgesamt 375 Straßen in Friedrichshain-Kreuzberg sind nur zwölf nach Frauen benannt. Trotzdem bekommt der Mann Moses Mendelssohn nun eine Adresse im Bezirk - allerdings nicht ohne seine Frau.

Am Mittwochabend beschloss die Bezirksverordnetenversammlung einstimmig, dass der Platz gegenüber dem Jüdischen Museum bald "Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz" heißen soll. Wolfgang Lenk, grüner Bezirkspolitiker ist erleichtert. Er hält das …
"... für eine geniale Idee, für einen ausgesprochen klugen Kompromiss. Es sind durch die Benennung des Platzes nach dem Paar zwei Dimensionen berücksichtigt. Das eine ist die gewichtige Dimension der jüdischen Aufklärung, aber die andere Dimension ist diese demokratisierte Paarbeziehung."
Quotenbeschluss von 2005
Die im 18. Jahrhundert ungewöhnlich emanzipierte Ehe Mendelssohns mit der gebildeten Hamburger Kaufmannstochter Fromet ist legendär. Heute scheint sie ein Ausweg aus dem Quotenschlamassel zu sein, der das Bezirksparlament seit über einem Jahr beschäftigte. Die Vorgeschichte: Das in Kreuzberg beheimatete Jüdische Museum wünschte sich den Namen "Moses Mendelsohn" für den nahe gelegenen Platz, auf dem gerade die "Akademie des Jüdischen Museums Berlin" entsteht; eine Idee, die prinzipiell begrüßt wurde, wäre da nicht der Quotenbeschluss von 2005 gewesen.

Der Gendergerechtigkeit willen hatte man sich damals darauf geeinigt, Straßen und Plätze bis zur Parität nur nach Frauen zu benennen. Damit wurde Moses Mendelssohn für Kreuzberger Grüne, Linke, Piraten und SPD - mit Ausnahme der CDU-Quotengegner - zum "Problemmann". Jana Borkamp, grüne Fraktionssprecherin verteidigt den Quotenbeschluss, sieht aber auch das Dilemma:

"Das eine Interesse ist, den Beschluss einzuhalten, weil wenn man Beschlüsse nicht einhält, dann braucht man sie eigentlich nicht haben ... da ist das schon sehr relevant, dieser Frauenbeschluss und auf der anderen Seite natürlich der Wunsch mit dem Jüdischen Museum zu einem Kompromiss zu kommen ..."

Der Platz, auf dem noch die letzten Bauarbeiten am neuen Bildungszentrum zu hören sind, wäre ein idealer Ort für den Aufklärer und jüdischen Reformer Mendelssohn gewesen, so die Programmdirektorin des Jüdischen Museums, Cilly Kugelmann:

"Moses Mendelssohn gilt in der jüdischen Geschichtsschreibung, als jemand, der Grenzen überschreitet. Er hat die hebräische Bibel ins Deutsche übersetzt, damit seine Kinder Deutsch lernen und nicht mehr Judendeutsch sprechen oder beide Sprachen sprechen und er steht in gewisser Weise fürs 18., 19. Jahrhundert für jemand der grenzüberschreitend und kulturintegrierend tätig war ...

Wir haben gesagt, dass wir uns einen Namen wünschen, der für etwas steht, was wir auch mit dieser Akademie erreichen wollen: Ein Nachdenken über die neue Bundesrepublik und über Integrationsfähigkeit dieser neuen Bundesrepublik - im Hinblick auf seine muslimischen, jüdischen Bürger und Menschen, die von allen Ecken der Welt kommen ..."

Seit 200 Jahren überfällig
Die Entscheidung "Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz" ist für Cilly Kugelmann ein "vertretbarer Kompromiss". Der Direktor des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, hatte in einem Brief an die Bezirksverordneten Versammlung appelliert, nicht den "fatalen" Fehler zu machen, eine für das deutsch-jüdische Geistesleben so wichtige Persönlichkeit der Quote zu opfern. Noch deutlicher wurde Götz Aly, Historiker, Buchautor und Mitglied im Stiftungsrat des Jüdischen Museums:

"Man kann den Eindruck gewinnen, dass Moses Mendelssohn für Berlin zu schade ist."
In der "Berliner Zeitung" machte sich Aly über grüne Spießer und Spießerinnen lustig und nannte den von der SPD mitgetragenen Kompromiss "putzig": Ebenso könne man den neuen Berliner Flughafen "Ruth-und-Brigitte-Sebacher-und Willy Brandt-Flughafen-Berlin-Brandenburg nennen, witzelte er.

Seit 200 Jahren, so Aly, sei ein Platz in Berlin für den großen jüdischen Gelehrten überfällig. Das monatelange Gezerre um Mendelssohn kommentierte er so:

"Da wird in einem Atemzug über einen der bedeutendsten Theologen und Philosophen der deutschen Aufklärung gesprochen, einen der bedeutendsten Juden, den die Stadt hat und im nächsten Satz über das Problem: Unisextoiletten in Kreuzberger Kneipen. Das Ist lächerlich, wer das tut, hat seine politische Verantwortung - auch seine Verantwortung vor der Geschichte - nicht erkannt. Es ist dogmatisch, ideologisch verengt und dieser Weise dann auch anti-demokratisch."

In den vergangenen Wochen hatten sich die Lokalpolitiker einiges einfallen lassen. Die Piraten wollten den Platz geschlechtsneutral "Haskala" nennen - nach der jüdischen Bildungsbewegung, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkam, und als deren Vordenker Moses Mendelssohn gilt. Bei Cilly Kugelmann stieß diese Idee - auf eine gewisse Ratlosigkeit:

"Das hat was sehr Komisches ... Sie können es auch Platz des himmlischen Friedens in Berlin nennen."
Auch Regina Jonas, die von den Nazis ermordete weltweit erste Rabbinerin und Favoritin der Grünen für den Platz, schied für das jüdische Museum aus:

"Eine Frau, die eine Tür in die feministische jüdische Theologie aufstößt, ist eine wichtige Person, aber als Zeichen, für das, was wir hier vorhaben, nicht so geeignet, weil wir unsere Mission, das Judentum bekannt zu machen, nicht nur im Theologischen verorten wollen ..."

"Fromet-und Moses-Mendelssohn-Platz" eine salomonische Entscheidung? Für die Grünen ist es vor allem eines:

"Ein aus der Not geborener glücklicher Kompromiss ..."
Der Historiker Götz Aly währen der Buchmesse in Leipzig 2013
Der Historiker Götz Aly währen der Buchmesse in Leipzig 2013© Deutschlandradio - Bettina Straub
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