Quentin Tarantino: "The Hateful 8"

Der Urgrund des Rassismus

Regisseur Quentin Tarantino bei der Deutschlandpremiere "The Hateful Eight" in Berlin
Regisseur Quentin Tarantino bei der Deutschlandpremiere "The Hateful Eight" in Berlin © imago / pixelpress
Hartwig Tegeler im Gespräch mit Patrick Wellinski · 30.01.2016
US-Filmregisseur Quentin Tarantino bleibt sich treu: Auch in "The Hateful 8" gibt es Gewaltexzesse. Doch der Film sei auch eine sehr komplexe Diskussion über den US-Bürgerkrieg und beschreibe den Urgrund des Rassismus', meint Hartwig Tegeler.
Patrick Wellinski: Gewaltdarstellungen im amerikanischen Kino – das ist immer eine recht heikle Angelegenheit. Blutig und ausufernd, sind sie längst Teil der Unterhaltungskultur Hollywoods geworden. Aber wann sind diese Gewaltbilder gerechtfertigt, wann nicht? Diese Frage stellt man sich zur Zeit wieder einmal bei Quentin Tarantino. Sein neuster Film "The Hateful 8" muss sich wieder fragen lassen, ob die Gewalt nicht verherrlicht wird. Dabei geht es zunächst recht gesittet zu. Der Film ist ein Bürgerkriegswestern mit acht Gestalten in einer verschneiten Hütte in Wyoming.
((Filmausschnitt))
Ein Ausschnitt aus "The Hateful 8". Gewaltporno oder doch tiefsinnige Auseinandersetzung mit dem Ursprung der amerikanischen Gewalt? Das bespreche ich jetzt mit Filmjournalist Hartwig Tegeler. Guten Tag!
Hartwig Tegeler: Hallo!
Wellinski: Es ist doch so bei Tarantino: Man erwartet doch diese Gewalt, das Blut muss fließen. Darauf gründet doch auch sein ganzer Ruhm. Bei "The Hateful 8" ist es dann doch das Übliche, oder?
Tegeler: Am Ende ja, nur, das Ende ist dann die letzte halbe Stunde eines Films, der so um die drei Stunden lang ist. Am Ende, da rumpelt es sich richtig Tarantino-mäßig, es ist ein fulminantes Massaker, was da passiert. Man muss aber sagen, dass es Gewaltmomente gibt in diesem langen Film, die eben nicht so opulent ausgeführt sind und trotzdem eine ziemliche Wirkung haben. Wenn zum Beispiel die Hauptfigur Jennifer Jason Leigh, wenn die zum Beispiel von ihrem Kopfgeldjäger, der sie gefangen hat, absolut willkürlich zusammengeschlagen wird, das sind auf einmal ganz andere Momente, die in diesem Film kommen im Prinzip. Jeder Tarantino-Fan, zu dem ich nicht gehöre, kriegt am Ende die Ladung, die er gerne hätte, das ist wohl richtig.
Wellinski: Wenn wir jetzt mal bei der Gewalt bleiben, wie gesagt, ich habe es schon erwähnt – es ist eine recht amerikanische Angelegenheit. Das darf man nicht vergessen, was für ein problematisches Verhältnis die amerikanische Gesellschaft überhaupt zur Gewalt hat, das wird uns regelmäßig in den Nachrichten gezeigt. Wie haben denn nun die US-amerikanischen Rezensenten auf "The Hateful 8" geguckt?
Bis heute ist Bürgerkrieg eingebrannt im kollektiven Bewusstsein
Tegeler: Da muss ich mal ganz ehrlich sagen, da ist mir etwas passiert, was mir in der Form bisher noch nicht passiert ist bei einem Film, bei einem Western: Ich dachte immer, ich bin ziemlich westernkompetent, und dann schickte mir ein Freund die Rezension von Richard Brody aus dem "New Yorker". Man muss sagen, Tarantinos Film ist ein Bürgerkriegswestern, damit gehört er zum Genre. Es gibt Legionen von Bürgerkriegswestern in der Filmgeschichte, mit anderen Worten, 1861 bis 1865, dieser Civil War. Also richtig so abgehangenes Genre, dachte ich mir, na ja, Tarantino mal wieder mit seiner Liebe zum Kino, zur Filmgeschichte insbesondere. Und dann lese ich diese Rezension, und dann wird es für mich sehr, sehr peinlich, weil ich da überhaupt erst angefangen habe zu begreifen: erstens, dass Tarantinos Film eine sehr, sehr komplexe Diskussion über den US-amerikanischen Bürgerkrieg ist, und dass dieser amerikanische Bürgerkrieg in der kulturellen und historischen Erfahrung der US-Amerikaner und auch in der Jetztzeit eine wirklich noch sehr, sehr wichtige Bedeutung hat. Um es noch mal ganz deutlich zu machen: Wenn wir beide jetzt anfangen würden, über den dänischen Krieg von 1864 zu reden, dann würden Sie zu Recht sagen, womit kommen Sie denn da. Und wir reden bei Tarantino über eine Epoche – 1861 bis 1865, sagte ich schon –, die offensichtlich so tief eingegraben ist als nationales unbewältigtes Trauma, und das sehen natürlich die US-amerikanischen Kritiker aufgrund ihrer Erfahrung anders als wir europäischen Zuschauer es erstmal so selbstverständlich sehen.
Wellinski: Wie verhält sich das aber trotzdem mit unserem Fokus Gewaltdarstellung, was ist das denn für eine Gewalt, die wir da zu sehen bekommen?
Tegeler: Na ja, was macht man als Filmkritiker, wenn man auf einmal erwischt wird bei seinem historischen Unwissen über sein geliebtes Genre. Man fängt an zu lesen. Und ich habe dann mal nachgelesen, was eigentlich die Nachwirkungen des US-amerikanischen Bürgerkriegs in der kollektiven unbewussten Psyche der Amerikaner eben auch sind. Dieser Film spielt ja – das wird ziemlich deutlich am Anfang gesagt – einige Jahre nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg. Wenn wir mal die historische Situation damals sehen, wo ja die Nordstaaten die Südstaaten besiegt haben: Die Südstaaten sagen, jetzt fand die die Invasion der Nordstaaten statt – und die Sklaven wurden befreit, was übrigens auch das Thema von "Django Unchained", dem vorherigen Film von Tarantino, ist.
Das "Schlachthaus USA"
Dann findet in den USA etwas statt ab 1865, aber bis ins 20. Jahrhundert hinein, was schlichtweg eine terroristische Gewalt der Weißen gegenüber den Schwarzen ist. Es werden tausende von Schwarzen gelyncht durch einen weißen Mob, und da entsteht dann ein Rassenhass, dieser neue Rassenhass. Und mit diesem Begriff des Rassenhasses, damit springen wir mit Tarantino natürlich in die Jetztzeit. Ich darf daran erinnern, dass Tarantino selber sehr aktiv gegen die willkürliche Polizeigewalt in den USA heutzutage gegenüber Afroamerikanern ist, sowohl in Interviews als auch in Demonstrationen. Damit macht sich auf einmal natürlich ein Thema auf bei Tarantinos Western, das – ich würde es so formulieren –, das diesem Film in gewisser Weise einen historischen Untergrund gibt. Die US-amerikanischen Rezensenten haben in diesem Zusammenhang – übrigens ein sehr, sehr harter Begriff, aber lassen wir den einfach mal so stehen – von dem Schlachthaus USA geredet, das Quentin Tarantino hier beschreiben würde.
Wellinski: Haus trifft es ja, denn die ganze Handlung spielt ja in einem Haus, sogar in einem Zimmer, wenn man ehrlich ist. Ich muss zu dieser Sklaverei zurückkommen. Mir war das sehr einleuchtend, wenn es um "Django Unchained" ging. Da gibt es auch sehr harte Sachen, und da musste er sich auch noch mal wieder rechtfertigen, Tarantino. Damals sagte er, ich zeige nur das, was war. Wenn er einen Film über die Sklaverei macht, dann muss er auch die Brutalität zeigen, mit der die Amerikaner die Sklaven behandelt haben, aber um ehrlich zu sein, in diesem Film gibt es keinen Sklaven. Selbst Samuel L. Jackson ist theoretisch ein befreiter Mann.
Tegeler: Ja, das ist richtig, aber der Urgrund des Rassismus – heute sind die Afroamerikaner in den USA ja auch keine Sklaven mehr, aber trotzdem gibt es diesen Rassismus –, und der Urgrund des Rassismus, der wird in diesem Film beschrieben. Und in dieser eruptiven Schlachtorgie am Ende, aber Sie kommen natürlich auf einen ganz entscheidenden Punkt: Wenn Tarantino sagt, ich muss das so zeigen, weil es so war, ist das nicht eigentlich eine unfassbar naive Aussage gegenüber der Filmgeschichte – übrigens auch gegenüber seinen eigenen Filmen? Das Problem ist ja immer, was wird aus Gewalt, wenn wir sie in dieser drastischen Form in gewalttätigen Bildern auf der Leinwand sehen. Das ist natürlich eine Diskussion, die Jahrzehnte und Jahrzehnte zurückgeht in die Filmgeschichte.
Wellinski: Dann gehen wir doch mal Jahrzehnte zurück in die Filmgeschichte: Der klassische Hollywood-Erzählfilm, was kann der denn mit dem Thema Gewalt im Optimalfall anstellen?
Gewalt ohne erzählerische Not
Tegeler: Nehmen wir mal aus der spätklassischen Periode des Western-Genres ein Beispiel: Sam Peckinpah, der 1969 den Film "The Wild Bunch" gedreht hat. Da ist dieses berühmte Todesballett drin. Wenn man so will, Tarantino-like ein Showdown, wo gemetzelt, gemordet wird in Zeitlupe und so weiter. Sam Peckinpah, der Erfinder des Todesballetts. Das Problem war nur, dass schon im nächsten Film, wo er das zelebriert hat – lassen wir mal all seine Epigonen beiseite –, das Ganze sich verselbständigt und erlahmt hat. Das heißt, im Kino wird natürlich die Darstellung der Gewalt sehr schnell zu einem Stereotyp, und Sie haben es am Anfang auch erwähnt, das ist ein Standardtopos im US-amerikanischen Kino vom Western bis zum Polizeifilm und so weiter und so fort bis zum Gewaltporno. Da haben wir auch schon einen Fachbegriff für. Das heißt mit anderen Worten, inwieweit ist die Darstellung der Gewalt Teil der Erzählung, inwieweit rechtfertigt sich diese Gewaltdarstellung über die Erzählung, und da bin ich, was Tarantino betrifft, sehr, sehr skeptisch.
Wenn man seine Filme der letzten Jahre sieht, dann bekommt man immer das Gefühl, als ob sich hier etwas vollkommen verselbständigt hat. Ich möchte übrigens noch ganz kurz einmal einen Satz von Richard Brody aus dem vorhin erwähnten US-amerikanischen Artikel über Tarantinos Film zitieren, der sagt, Tarantino mache am Ende Sandkasten-Blutkuchenspiele aus der Geschichte und bleibt am Ende einfach ein immer jugendlicher Filmemacher. Das meint natürlich die Kritik: Wir können lange darüber streiten, ob sich das rechtfertigt, weil die Zeit zu gewalttätig war, weil die Gewalt in den USA – Schlachthaus noch mal gesagt als Begriff – weiterhin da ist. Aber im Kino selber verweht quasi die Wirkung der gewalttätigen Bilder, wenn sie zu drastisch sind. Das empfinde ich am Ende von Tarantinos Filmen genau so.
Wellinski: Sagt Hartwig Tegeler. Wir sprachen über die Gewaltdarstellungen im amerikanischen Kino. Anlass war natürlich Quentin Tarantinos "The Hateful 8", der seit Donnerstag in den deutschen Kinos läuft. Vielen Dank!
Tegeler: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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