Qasim Amin

Der erste Feminist Ägyptens

Von Anne-Françoise Weber · 01.12.2013
Die Debatte um Frauenrechte in Ägypten begann bereits im 19. Jahrhundert. Vorreiter war der Jurist Qasim Amin, der mit seinen Thesen auf viel Kritik stieß. Er wurde vor 150 Jahren geboren.
"Wie kann eine Frau beschrieben werden? Ebenso wie ein Mann ist sie ein menschliches Wesen. Ihr Körper und seine Funktionen, ihre Gefühle und ihre Fähigkeit zu denken sind die gleichen wie beim Mann. Sie hat alle wichtigen menschlichen Züge und unterscheidet sich nur im Geschlecht."
Mit solchen Sätzen schockierte der ägyptische Jurist Qasim Amin 1899 seine Zeitgenossen. In seinem Buch "Die Befreiung der Frau" plädierte er dafür, Mädchen zumindest eine Grundschulbildung zu ermöglichen. Er wandte sich auch gegen die in Mittel- und Oberschicht übliche Abschottung der Frauen in eigenen Gemächern und gegen ihren Gesichtsschleier.
"Wir sind sehr weit gegangen bei der Verschleierung unserer Frauen und verbieten ihnen, sich Männern unverschleiert zu zeigen. So verwandeln wir Frauen in Gegenstände oder Waren, die wir besitzen."
Qasim Amin gehörte zu einer Reformbewegung, angeregt von dem islamischen Geistlichen Muhammad Abduh. Er und seine Mitstreiter versuchten, die ägyptische Gesellschaft zu modernisieren und orientierten sich dabei stark am Westen – auch wenn sie die britische Herrschaft über das Land ablehnten.
Amin selbst, als Sohn eines türkischen Militärs und einer Ägypterin am 1. Dezember 1863 geboren, hatte zunächst in Kairo und dann in Frankreich Jura studiert. Er arbeitete als Richter an einem der höchsten Gerichte in Kairo. Für die ökonomische Entwicklung des Landes schienen ihm gebildete Frauen unentbehrlich:
"Kaum eine ägyptische Familie trägt nicht große Kosten, um einige bedürftige Frauen zu unterstützen, die nicht arbeiten oder sich selbst versorgen können. Dieses Phänomen trägt dazu bei, dass Familien ihre Finanzplanung nicht nach vernünftigen ökonomischen Grundsätzen gestalten."
Amins Idealvorstellung: die Frau als ebenbürtige Partnerin ihres Ehemannes, als in Erziehungs- und Bildungsfragen kompetente Mutter, oder - schlimmstenfalls - als Alleinstehende, die für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommt und keinem Verwandten zur Last fällt. Er setzte sich auch gegen Polygamie ein. Politische Rechte wollte er Frauen allerdings nicht zugestehen.
Und dennoch ging Qasim Amin vielen Ägyptern zu weit. Sein Buch "Die Befreiung der Frau" schlug ein wie eine Bombe und wurde zum Gesprächsstoff in Straßen, Männercafés, Frauengemächern und Ehebetten. Über 30 Gegenschriften wurden verfasst.
"Wir Ägypter müssen so bleiben. Jedes Volk hat seine eigene Zivilisation, und es gehört sich für uns nicht, dass wir die Ausländer wie Affen blind nachahmen. Der Schleier ist im Orient ein Schutz, also bewahrt ihn bei Euren Töchtern und Euren Frauen, und sorgt für ihre richtige Bildung."
So argumentierte Mustafa Kamel, ein prominenter Kontrahent Amins, ebenfalls Jurist und einer der Vordenker der ägyptischen Nationalbewegung. Viele Kritiker waren überzeugt, dass Amin im Auftrag der britischen Kolonialherren schrieb - was dieser zurückwies. Er ließ sich durch die Angriffe nicht einschüchtern, sondern legte noch nach: 1900 erschien sein Buch "Die neue Frau", in dem er sich noch stärker an westlichen Fortschrittsmodellen orientierte und mit den eigenen Herrschern streng ins Gericht ging.
"Eine ägyptische Frau ist in den Augen der Sharia ein freier Mensch mit spezifischen Rechten und Pflichten. In den Augen ihres Familienvorstands ist sie aber keine freie Frau, er beraubt sie ihrer Rechte. Diese Situation folgt aus dem politischen Despotismus, dem wir unterliegen."
Acht Jahre nach der Veröffentlichung der "Neuen Frau" starb Qasim Amin, erst 44 Jahre alt. Wenige Monate nach seinem Tod wurde die Kairoer Universität eröffnet, deren Gründung er vorangetrieben hatte.
Auch andere Männer und Frauen haben sich zu Amins Zeit für die Verbesserung der Situation ägyptischer Frauen eingesetzt. Doch wegen der großen Debatte um seine Bücher gilt Qasim Amin vielen als der erste Feminist des Landes.
Seit der Absetzung des Präsidenten Hosni Mubarak 2011 ist die Diskussion um den Platz von Frauen in der ägyptischen Gesellschaft wieder stärker entbrannt, und auch der Name Qasim Amin wird bei Demonstrationen für Frauenrechte gerufen. Die 82-jährige Nawal Sadaawi, Ägyptens bekannteste Feministin, sieht Amins Vorstellungen allerdings kritisch:
"Er sprach davon, dass Frauen Schulbildung erhalten sollten, um gute Mütter zu sein, und gute Ehefrauen. Das war sehr beschränkt."