Putin "ist charmant, wenn er will"

Hubert Seipel im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 27.02.2012
Es habe ihn interessiert, zu erfahren, wie der russische Ministerpräsident Wladimir Putin "tickt", erzählt der TV-Journalist Hubert Seipel. Gespannt sei er, ob sein für die ARD produziertes Porträt tatsächlich auch im russischen Gazprom-Sender NTV - wie versprochen - unzensiert gesendet werden wird.

Anmerkung der Redaktion: Im November 2023 wurde bekannt, dass der freie Autor Hubert Seipel in den vergangenen Jahren Geld vom russischen Unternehmer Alexey Mordashov erhalten haben soll. In diesem Zusammenhang steht die journalistische Unabhhängigkeit des Autors infrage.

Klaus Pokatzky: Wladimir Putin gilt nicht unbedingt als ein großer Freund von Pressefreiheit und Freund von selbstbewussten Journalisten. Der russische Fernsehjournalist Nikolai Svanidze hat über Putin gesagt, er neigt zu Verschwörungstheorien und hält jeden Journalisten für käuflich. Der deutsche Journalist Hubert Seipel hat Dutzende von Dokumentationen gedreht, vom Kosovokrieg bis zur VW-Affäre. Er hat den Grimmepreis und den Deutschen Fernsehpreis gewonnen. Vor drei Jahren hat er Putin bei einem Film über den Gaskonzern Gazprom kennengelernt und sich dann um Interviews mit Putin bemüht. Erst einmal wurden alle Interviewanfragen vom Kreml-Apparat abgeblockt und dann gelang es doch! Hubert Seipel, willkommen im Studio in Hamburg!

Hubert Seipel: Grüße Sie!

Pokatzky: Wie haben sie das denn geschafft, dass sich Putin dann doch erst mal zu einem einstündigen Vorgespräch mit Ihnen getroffen hat, bei dem Sie ihm das Projekt vorstellen konnten?

Seipel: Das war natürlich mein Charme, was könnten Sie sich anderes vorstellen? – Aber natürlich nicht! Sondern ich habe jemanden getroffen, der wiederum Putin kannte, und dem habe ich mein Projekt, meine Idee vorgetragen. Und der hat gesagt, okay, ich sage dem das jetzt mal, mal sehen, vielleicht kommt was, vielleicht kommt nichts. Dann, am Schluss, das war letztes Jahr im April etwa, hatte ich wiederum die Nase ziemlich voll, weil es ging nicht vorwärts, ging nicht rückwärts und das war jetzt nun schon doch zwei Jahre her letztendlich, dass ich es abgesagt hatte und dem Menschen, der diesen Zugang hatte, gesagt habe, das wird nie was, also danke, vielen Dank für den Versuch, das ist es!

Und daraufhin tatsächlich war innerhalb von 24 Stunden, wenn ich mich halbwegs richtig erinnere, ein Anruf da, ob ich da nach Moskau kommen könnte. Und 48 Stunden später war ich da, bei Putin. Und wir haben eine Stunde geredet, wie Sie gesagt haben, darüber, wie das nun stattfinden sollte, ob es Bedingungen gibt und was die Bedingungen sind.

Pokatzky: Und was sind die Bedingungen gewesen?

Seipel: Ich hatte mir das natürlich auch ein bisschen ausgedacht, ich hatte mir so ein Blatt Papier gemacht, wo ich draufgeschrieben hatte, erstens mal keine Begrenzung von den Themen, zweitens, was mir sehr, sehr wichtig war, mehrere Interviews, nicht nur so eines, wo du hingesetzt wirst, wo alles passt und funktioniert und wo du dann 45 Minuten, wenn es hoch kommt, hast, wo du da die Sachen abfragen kannst. Das war mir wichtig, mehrere Interviews und lange Interviews. Und der letzte Punkt: Putin würde diese Interviews nicht vorher sehen, also, wie das so auf Neudeutsch heißt, autorisieren wird nicht sein, und er wird auch den Film nicht sehen, vorher.

Wir haben dann allerdings eine Bedingung tatsächlich gemacht, die kam mir wiederum entgegen: Putin wollte nicht, dass ich irgendwie versuche zu recherchieren, ob er fünf Geliebte hat oder sieben Kinder mehr, was mich persönlich überhaupt nicht interessiert. Denn erstens mal ist er gewählt worden als Politiker und nicht als fruchtbarer Familienvater.

Pokatzky: Also, das allerprivateste Leben, das ist dann außen vor geblieben. Die "taz" hat geschrieben über den Film: "Putin erweist sich immer wieder als unterhaltsamer Unsympath." Wie sympathisch ist er Ihnen denn geworden?

Seipel: Ja, das ist immer so eine Zweischneidigkeit bei solchen Geschichten. Wenn Sie in die Nähe gehen – Sie müssen in die Nähe gehen, sonst erfahren Sie nichts, schlicht und ergreifend –, dann werden Sie befangen, dann werden Sie auch gefangen vom Charme, und der ist charmant, wenn er will, der ist zugewandt, der ist aufmerksam, der ist schnell. Das macht einen durchaus sympathisch. Sie müssen das nur wissen, dass das nicht Ihnen gilt, dass das Ihre Funktion betrifft. Und daraus müssen Sie sich wieder entfernen. Trotzdem kann es sein, dass ein Rest Sympathie bleibt, und bei mir muss ich sagen, der war mir menschlich erst mal nicht unsympathisch.

Pokatzky: Welche Bilder, welche Szene geht Ihnen so leicht nicht mehr aus dem Kopf, was sind so die absoluten Highlights, auf die Sie richtig stolz sind?

Seipel: Was mich interessiert hat, ist ja, wie – salopp gesagt – tickt der? Und da gab es ... Bei einem Interview haben wir über diese Kindheit gesprochen, das, was er erlebt hat in Petersburg, damals Leningrad. Im Hinterhof, wo er aufwächst, seine beiden Brüder, die älter waren, die hat er nie gesehen, die sind gestorben, einer in den 30er- und einer während der Belagerung der Deutschen dort in den 40er-Jahren. Und wie geht jemand damit um, was ist so sein Alltag? Und da hat er eben geschildert, wie sie da in dieser Kommunalwohnung in einem Zimmer, 24 Quadratmeter groß, mit den Eltern, also drei Leute, lebten und er immer – das kann man auch schwer aushalten auf die Dauer –, er immer in den Hof gegangen ist und da sich mit den anderen getroffen hat, den Kindern, und die üblichen Geschichten, Gang-Geschichten gemacht hat.

Und da hat er diesen Satz gesagt: Bei uns gab es eigentlich keine Emotionalität, die man mitgeteilt hat, zu Hause. Da hat jeder für sich selber gelebt und man hat nicht über Probleme oder über irgendwas geredet, man war irgendwie ziemlich abgeschottet. Das war der eine Punkt, der mich eigentlich schon durchaus fasziniert hat. Die zweite Geschichte: Wir haben ja dieses Bild von Putin, diesem Macho im Kopf, der, mit freiem Oberkörper natürlich, gut für die Fernsehkameras, Judo macht oder sonst irgendwas. Er hat das dann so erklärt: Er hat gesagt, er sei ein ziemlich schmächtiger Hänfling gewesen und, als er so neun, zehn, elf war, sind die anderen größer, stärker geworden. Und da hat er geguckt, was kann ich denn machen, eine Art von Kampfsport, damit ich – das ist ein wunderschöner Satz – meinen Platz im Rudel behaupten kann.

Fand ich eigentlich eine gute Beschreibung für das, was er auch tut politisch: Nie einen Punkt der Schwäche zu zeigen, sondern immer mit dieser Stärke, mit dieser Macho-Attitüde im Grunde genommen aufzutrumpfen.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur der Fernsehjournalist Hubert Seipel über seinen Film "Ich, Putin". Wie tickt der, Hubert Seipel? Der "Spiegel" hat das so beantwortet in einem Artikel über den Film: "Putin, das ist bei Seipel ein Straßenjunge, clever und zur Not brutal, der zwar an die Spitze vorgestoßen ist, aber nicht zur Elite passt." Ist das auch Ihr Putin-Bild?

Seipel: Teilweise, es ist nicht ganz so. Die Frage der Elite erklärt sich schon ein bisschen: Woher kommt er denn eigentlich und welche Kommunikationsform hat er denn? Er gehört mit Sicherheit nicht zu dieser eher bildungsbürgerlichen Elite, die es ja auch in Russland gibt und auch gab. Er gehört auf der anderen Seite nicht zu dieser neureichen Milliardärselite, obwohl, ich nehme mal an, er durchaus genügend Geld hat. Was er ist, er ist eine Art Einzelgänger und er ist relativ simpel noch, was so seine normalen Verhaltensmuster angeht. Und da er ein reiner Machtpolitiker auch durchaus ist – nicht auch, sondern er ist ein reiner Machtpolitiker –, hat er diese Abgrenzung, die immer nur auf Macht basiert, sehr, sehr mit der Muttermilch eingesogen. Das heißt, nehmen wir mal die Freunde: Entweder hat man im Sandkasten Freunde oder in der Schule oder an der Uni und dann hört es langsam auf in der Regel. Sie gewinnen mit 50 wirklich selten Freunde. Und bei Putin war das so ein bisschen ähnlich: Als der Ende der 90er an die Macht gekommen ist – Jelzin hat ihn ja dazu gemacht, weil er zur rechten Zeit am rechten Platz war – ...

Pokatzky: ... den alten in Deutschland teilweise arbeitenden, jedenfalls über einige Jahre hinweg arbeitenden, Geheimdienstmann vom KGB ...

Seipel: ... ja, der hat auch über die KGB-Vergangenheit sehr deutlich gesprochen. Also, ich habe ihn gefragt, warum KGB, was war denn der Grund, warum man so als 16-, 17-Jähriger schon zum KGB, da sagt der, das ist eine Elite-Organisation, das ist Aufstieg!

Pokatzky: Haben Sie da Deutsch mit ihm gesprochen?

Seipel: Ja, ich habe immer auf Deutsch gefragt ...

Pokatzky: ... alle drei Interviews auf Deutsch gefragt?

Seipel: ... alle drei, und er hat auf Russisch geantwortet und ich habe eine Simultanübersetzung im Ohr gehabt.

Pokatzky: Wie hat er sich denn in diesen drei langen Interviews oder auch in den Wochen, die Sie ihn begleiten konnten, inszeniert?

Seipel: Ach, das ist natürlich durchaus so, dass die Kraft-Abteilung durchaus im Vordergrund stand ...

Pokatzky: ... die Kraft-Abteilung ...

Seipel: ... ja, das ist die Abteilung Judo ...

Pokatzky: ... Bodybuilding, Eishockey ...

Seipel: ... nein, Bodybuilding nicht, Eishockey ... Und da war das faszinierend, weil, wir haben ja gefilmt beispielsweise in einer Vorstadthalle. Die ist schäbig, da ist kein Mensch gewesen außer ihm und einem Trainer und diese Bodyguards. Und da hat der stundenlang ... Der ist nicht so toll im Eishockeyspielen, der will natürlich sicher auf den Kufen stehen, weil der vielleicht 2014 die Olympischen Winterspiele in Sotschi eröffnen will, aber nach anderthalb Stunden Eishockeytraining ist man als 59-, 60-Jähriger – und ich weiß, wovon ich rede –, glaube ich, ziemlich platt. Man sieht nicht strahlend aus, sondern man sieht so aus wie ein 60-Jähriger, der sich jetzt ausgepumpt hat, und da ist nichts mehr von strahlendem Adonis. Und das sind diese Brechungen, die man natürlich filmen kann, wo die Inszenierung nicht so klappt, sondern wo sie genau umgekehrt funktioniert.

Pokatzky: Ist er Ihnen mal richtig auf die Nerven gegangen, wo Sie gedacht haben, oh Gott, worauf habe ich mich eingelassen, was mache ich hier?

Seipel: Ja! Ja, das fängt mit Kleinigkeiten an natürlich. Er hat die Tendenz von bedeutenden Menschen, wenn Sie eine Frage stellen, Ihnen erst mal 20 Minuten lang die Welt zu erklären, um dann zu sagen, und warum ich Ihnen das im Übrigen alles sage ... Und dann kommt er und gibt uns eine Antwort, wo man natürlich noch mal nachfragen muss. Also, das ist eine Attitüde, die relativ schwierig ist.

Pokatzky: Am Freitag läuft Ihr Film beim russischen Gazprom-Sender NTV, unzensiert, wie dem Norddeutschen Rundfunk, also dem Produktionssender, zugesichert wurde. Warum hat sich Putin darauf eingelassen?

Seipel: Gute Frage! Ich war ziemlich erstaunt, als ich das hörte. Ich meine, ich finde das toll, wenn es tatsächlich so läuft, und wenn es nicht läuft, haben wir gleich wieder eine Geschichte.

Pokatzky: Ja, aber kann es nicht sein, dass Sie da jetzt auch auf eine ganz infame Art und Weise instrumentalisiert wurden? Vor dem Hintergrund der vielen Demonstrationen jetzt in Moskau und Sankt Petersburg hat Putin ja auch gesagt, die Wahl wird sowieso auf dem Land entschieden. Und da kommt dieser unterhaltsame Unsympath ja vielleicht auch recht glaubwürdig rüber, und Sie als Ausländer, wenn Sie einen Film über ihn drehen, sind vielleicht auch für die Russen, die das im Fernsehen sehen, viel glaubwürdiger, als wenn das so einer seiner willfährigen russischen Fernsehjournalisten machen würde. Hat er Sie instrumentalisiert?

Seipel: Er hat mich mit Sicherheit instrumentalisiert, so wie ich ihn instrumentalisiert habe. Wir instrumentalisieren immer gegenseitig, wir Journalisten und Politiker. Der Punkt ist aber ein anderer: Wenn dieser Film gezeigt wird, dort, dann muss man es auch den Leuten schon überlassen und, die sich das Ding bewusst angucken werden. Denn ich meine, normalerweise guckt man sich ja nicht unbedingt ein Putin-Porträt an, wenn man Russe ist, wenn man erwartet, das ist ein Propaganda-Stück. Wenn die Botschaft rüberkommt, die in diesem Film steckt, dann bin ich total glücklich!

Pokatzky: Das sagt Hubert Seipel über seinen Film "Ich, Putin". Er läuft heute in de ARD ab 22:45 Uhr und eine längere Fassung an verschiedenen Tagen in dieser Woche beziehungsweise am kommenden Wochenende läuft im RBB, im NDR, im MDR, jeweils in den dritten Programmen. Vielen Dank und tschüss nach Hamburg!

Seipel: Danke, tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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