Publizistin Anita Haviv-Horiner

"Ich bin eine Israelin mit Wenn und Aber"

Anita Haviv-Horiner in der Sendung "Im Gespräch" im Deutschlandradio Kultur
Anita Haviv-Horiner in der Sendung "Im Gespräch" im Deutschlandradio Kultur © Matthias Horn
Anita Haviv-Horiner im Gespräch mit Susanne Führer · 17.05.2016
Anita Haviv-Horiner verließ im Alter von 19 Jahren ihre Geburtsstadt Wien, um nach Israel einzuwandern. Mit uns spricht sie über ihr Leben zwischen den Stühlen und erklärt, was eine "Kaffeehausjüdin" ist.
Anita Haviv-Horiner nennt sich selbst eine "Israelin mit Wenn und Aber", aber auch eine "Wiener Kaffeehaus-Jüdin". Ihre Wurzeln liegen in Österreich und Ungarn, ihr Zuhause ist Israel, ihre Profession der deutsch-israelische Dialog.
Wie sie zwischen den Welten wandelt, warum sie zwar das Wiener Kaffeehaus liebt, in Österreich aber nicht mehr leben will und wie sie Deutsche und Israelis ins Gespräch bringt, darüber sprach die israelische Publizistin Anita Haviv-Horiner mit Susanne Führer.

In Wien als Tochter von Überlebenden des Holocaust geboren, wanderte sie mit 19 Jahren nach Israel aus, lernte die fremde Sprache, wurde Mutter zweier Kinder. Ist Israel ihre Heimat geworden?
"Israel ist definitiv mein Zuhause." Denn die Politik der Regierung Menachem Begins störte sie, als sie ankam, die von Benjamin Netanjahu heute stört sie noch mehr, das Klima ist hart, die Lebenshaltungskosten sind hoch, die Kinder mussten zur Armee. Darum: "Ich bin eine Israelin mit Wenn und Aber."

"Ich weiß, was es heißt, als Jude in Europa zu leben. Das will ich nie wieder."

Aus der Spannung zwischen ihrer Herkunft und ihrer selbst gewählten Heimat hat sie einen Beruf gemacht, unter anderem organisiert sie Israel-Aufenthalte für die Bundeszentrale für politische Bildung:
"Wenn Deutsche und Israelis sich begegnen, beschäftigen sie sich im Grunde genommen mit sich selbst. Die Shoah zieht sich wie ein roter Faden durch die Gespräche" und der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, die Kritik vieler Deutscher an der israelischen Siedlungspolitik. Ihre Rolle dabei: "Ich will versuchen, Grau ins Schwarzweiß zu bringen, was Besseres kann man nicht erreichen."
Dabei glaubt sie eigentlich an die Kraft des Kompromisses, nämlich "dass man im Grunde genommen alle Probleme in einem Wiener Kaffeehaus bereinigen kann".
Doch was sich in Österreich derzeit politisch tut, bestärkt sie in ihrem Entschluss, in Israel zu bleiben, auch wenn das für sie immer noch ein Platz zwischen den Stühlen ist: "Ich weiß, was es heißt, als Jude in Europa zu leben. Das will ich nie wieder."

"Es gibt neben dem Überleben auch ein Leben"

Anita Haviv-Horiner ist Tochter von Holocaust-Überlebenden. Ihr Vater war in Auschwitz, wo seine Eltern ermordet wurden, die Mutter im Ghetto in Budapest. In Wien lernten sich die Eltern kennen, Haviv-Horiner besuchte dort die französische Schule.
"Ich hatte eigentlich ein sehr bequemes jüdisches Leben in Wien", sagt sie. Vom Holocaust erfuhrt sie von der Großmutter, die in Budapest lebte: "Sie erzählte mir immer wieder von der Geschichte, (…) mein Vater sprach nie davon – nie, nie, nie."
Das Erbe, Nachkomme von Holocaust-Überlebenden zu sein, kann sie annehmen und positiv für sich leben.
"Ich glaube, dass ich gelernt habe, sehr auf die Resilienz meiner Eltern und nicht nur meiner Eltern, sondern der von Holocaust-Überlebenden grundsätzlich zu fokussieren, (…) ihre Widerstandskraft, sich Phönixe aus der Asche zu erheben und uns sozusagen eine gute Zukunft zu geben. Unsere Eltern haben so hart gearbeitet, obwohl sie wirklich weder eine Ausbildung hatten in vielen Fällen, physisch kaputt waren, seelisch kaputt waren, aber sie haben wirklich gegen jede Wahrscheinlichkeit alles getan, um uns, den Kindern, eine Zukunft zu geben."
Es sei kein Zufall, dass Angehörige der zweiten Generation der Shoa-Überlebenden in therapeutischen Berufen arbeiteten. "Ich sehe mich auch ein bisschen als wandelnde Gedenkkerze", so Haviv-Horiner. Doch ihr sei es wichtig, nicht in Selbstmitleid zu zerfließen:
"Es gibt neben dem Überleben auch ein Leben. Und es ist unsere Verantwortung, unsere eigene Identität herauszuarbeiten, herauszuformen."
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