Publizist: "Deutschland unterstützt Völkermörder"

Moderation: Susanne Führer · 06.04.2011
Internationale Kriegsverbrecher wie der inzwischen inhaftierte Ruander Ignace Murwanashyaka, der eine Fraktion im Krieg im Ost-Kongo von Mannheim aus lenkte, wurden oder werden nach Ansicht von Markus Frenzel hierzulande gedeckt. Deutschland verfolge damit zum Teil geostrategische Interessen.
Susanne Führer: Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat, Kriegsverbrecher werden hier weder geduldet noch hofiert – würde man meinen. Der Journalist Markus Frenzel hat nun ein Buch geschrieben, in dem er ein ganz anderes Bild zeichnet. Es heißt "Leichen im Keller: Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt". Willkommen im "Radiofeuilleton", Herr Frenzel!

Markus Frenzel: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Sie beschäftigen sich ja mittlerweile seit mehreren Jahren mit diesen Fällen, auf einige kommen wir gleich noch zu sprechen. Ich würde gern noch mal so an den Anfang zurückgehen: Ging es Ihnen nicht so, wie es mir ging bei weiten Strecken Ihres Buches, dass man so spontan denkt, das kann doch gar nicht sein?

Frenzel: Mir ging es genauso wie Ihnen! Ich hätte auch nie gedacht, dass das wahr sein könnte. Nur nach drei Jahren kam ich zu dem Punkt, dass ich heute sagen muss: Deutschland unterstützt Völkermörder, Kriegsverbrecher, Folterknechte.

Führer: Einen wollen wir mal herausgreifen, das ist der Ruander Ignace Murwanashyaka, dem widmen Sie Ihr erstes Kapitel. Der ist 1989 nach Deutschland gekommen als Student, seit 2009 sitzt er nun im Gefängnis. Was hat der sich zuschulden kommen lassen, Herr Frenzel?

Frenzel: Er hat am Ende, 2009, kurz bevor er eben dann festgenommen wurde, war er einer der Anführer eines der übelsten Kriege auf diesem Planeten. Er hat aus Mannheim eine Fraktion im Krieg im Osten des Kongo gelenkt. Er war der Chef der Hutu, die dort für die widerlichsten Verbrechen verantwortlich sind, und er hat diese Verbrechen aus Mannheim heraus sogar befehligt.

Führer: Was für Verbrechen?

Frenzel: Das sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen – es geht da um zehntausendfache Vergewaltigungen, es geht um tausendfachen Mord, Hunderttausende von Menschen sind auf der Flucht.

Führer: Wie hat er das gemacht von Deutschland aus?

Frenzel: Das ist typisch Globalisierung, nur hat man eben vielleicht in diesen Bereichen es sich bislang noch nicht so wirklich vorstellen können. Er hatte ein Handy, er hatte eine Internetadresse von gmx, Telefon ganz normal. Er hat dann per SMS, per E-Mails dann wirklich seinen Soldaten im Kongo die Befehle gegeben. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat dann auch Funksprüche später abgefangen, Funker haben dann ausgesagt vor den Leuten vom UN-Sicherheitsrat und die haben dann ganz klar gesagt, er hat sogar einen Vernichtungsbefehl von Mannheim aus gegeben. Er hat nämlich gesagt: Richtet eine humanitäre Katastrophe unter der Bevölkerung an. Eine Art Kommissarbefehl aus Deutschland heraus, und seine Soldaten haben das direkt dann umgesetzt.

Führer: Ich hab mich trotzdem gefragt, wie ist das möglich, wie kann jemand, der die ganze Zeit in Deutschland lebt, seinen Truppen oder seinen Milizen gegenüber so eine Autorität bewahren? Er schickt eine SMS in den Busch, und die tun das, was er 6000 Kilometer entfernt entschieden hat.

Frenzel: Da haben mit Sicherheit sehr, sehr Zufälle auch eine Rolle gespielt. Er war unbelastet, was den Völkermord '94 in Ruanda anbelangt, er hat eine saubere Weste, weil er ja in Deutschland war, das heißt, er wurde international eben nicht für den Völkermord gesucht. Die Hutu waren sehr stark belastet, weil sie eben diesen Völkermord zu verantworten hatten, dementsprechend hat man saubere Leute gesucht, um sich auch international präsentieren zu können. Er war rhetorisch sehr, sehr gut, er war international gut vernetzt, er hat diese Leute auf internationalen Konferenzen vertreten, in Rom und so weiter, er war wirklich Sprachrohr der Hutu dann auch gewesen. Gleichzeitig sind die militärischen Strukturen immer mehr gescheitert im Kongo, also diese Hutu-Armee wurde immer schwächer. Dann wollte der Staatschef des Kongo, Laurent-Désiré Kabila, der anfangs mit diesen Hutu-Rebellen verbündet war, der wollte eine gewisse schlagkräftige Struktur erhalten und hat eben dann ja auf ihn gesetzt. Im Windschatten des großen Laurent-Désiré Kabila ist dann eben auch Murwanashyaka in Afrika dann aufgestiegen zu einem der beherrschenden Strippenzieher dort – nur dass das hier in Deutschland eben keiner mitbekommen hat.

Führer: Ich glaube, wenn ich es richtig entsinne, dann hat Interpol im Jahr 2008 einen internationalen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, trotzdem haben die deutschen Behörden nichts unternommen. Warum nicht?

Frenzel: Das habe ich auch erst verstanden im Laufe der Recherchen. Es gibt keine wirkliche Polizeistruktur Interpol, das ist eine Art Dienstleister. Die sitzen in Lyon, jeder kann Leute, die er eben verhaftet haben will auf der Welt, dort einreichen per Haftbefehl, und in dem Fall war eben Ruanda hinter diesem Haftbefehl gestanden, und die deutschen Behörden haben es wohl auch nicht sonderlich dringlich empfunden, den ruandischen Behörden da entgegenzukommen. Dann war auch immer die große Frage, ist Ruanda ein Rechtsstaat, was er mit Sicherheit noch nicht ist, könnte man also ausliefern. Das kam dazu, was den Interpol-Haftbefehl anbelangt, und dann hat man selber wahrscheinlich auch sich das nicht wirklich vorstellen können, dass er tatsächlich da der Verantwortliche hinter diesen grausamen Verbrechen ist.

Führer: Gut, insofern ist es verständlich, wenn der Haftbefehl von Ruanda kam, was ja nun selbst wieder Partei ist in diesem Konflikt zwischen Hutu und Tutsi, dass die deutschen Behörden sich da nicht jetzt so bemüht haben. Er ist dann aber letzten Endes ja dann ...

Frenzel: Eine Sache vielleicht dazu, zu diesem Interpol-Haftbefehl: Das ist nachvollziehbar, dass man auch nicht ausliefert an Ruanda. Nur 2006 hat der Generalbundesanwalt ja schon selber gegen ihn recherchiert, die haben ermittelt gegen ihn, und haben nach ein paar Monaten aufgegeben. Sie haben – das habe ich schriftlich –, da hat es dann geheißen: Wir hatten keinen hinreichenden Tatverdacht gefunden. Nur sind diese Ermittlungen extrem schlampig geführt worden. Kein einziger Generalbundesanwalt war jemals in Afrika gewesen bis zu diesem Zeitpunkt. Sie hatten noch nicht mal die einfachsten Internetrecherchen gemacht. Ich hatte später von einem Bundestagsabgeordneten erfahren, wie recherchiert wurde. Die Staatsanwälte aus Karlsruhe haben sich an die deutsche Botschaft in Kinshasa gewendet, haben dort nachgefragt, ob denn irgendwelches Material gegen Murwanashyaka vorliege. Die deutschen Diplomaten in Kinshasa haben eine oberflächliche Google-Recherche gemacht im Internet, haben dieses kleine Dossier nach Karlsruhe geschickt, und die Karlsruher waren extrem erfreut und sagten: Tolles Material! Das heißt, die haben noch nicht mal selber im Internet rechechiert.

Führer: Im Jahr 2009 ist Murwanashyaka dann schließlich verhaftet worden – wie kam es dann dazu?

Frenzel: Das letzte Jahr, in dem er noch auf freiem Fuß in Deutschland war, hat sich extremer Druck aufgebaut – internationaler Druck, Druck von Menschenrechtsorganisationen –, da konnten die deutschen Behörden nicht mehr wirklich überhaupt nichts machen. Dann war es so, dass der UN-Sicherheitsrat eine umfangreiche Analyse eben zu dem Konflikt gerade fertiggestellt hatte im November 2009. In diesem Bericht des UN-Sicherheitsrates sind massive Vorwürfe gegen Deutschland aufgetreten. Die hatten Bankformulare, die hatten Überweisungsformulare aus Deutschland, wo man erkennen konnte, dass eben die Kongo-Rebellen aus Deutschland heraus Geld an ihre Soldaten im Kongo überweisen. Das heißt, da lagen so viele Beweise vor, dass dieser Herr aus Deutschland heraus wirklich der Kopf einer der gefährlichsten Rebellenmilizen in Afrika ist, dass die deutschen Behörden dann auch nicht mehr untätig bleiben konnten. Und jetzt im Mai wird es eben zum Prozess kommen, der erste Prozess dieser Art in Deutschland.

Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Markus Frenzel. Unser Thema ist Deutschlands Unterstützung für internationale Kriegsverbrecher. Herr Frenzel, nun könnte man in diesem Fall, von Ignace Murwanashyaka ja sagen, gut, das ist vielleicht ein Einzelfall, da hatte die deutsche Justiz nicht so ein Interesse, möglicherweise auch nicht die Mittel, nach Afrika zu fahren, oder auch nicht das Interesse. Aber wenn wir mal noch auf andere Fälle blicken in Ihrem Buch: Ein Kapitel widmen Sie Usbekistan und dessen Innenminister Zakirjon Almatov, der auch als Schlächter von Taschkent bekannt ist – und ich kürze es etwas ab, der hatte eigentlich ein Einreiseverbot in die EU, durfte trotzdem nach Deutschland kommen und sich in einem Krankenhaus behandeln lassen, er war schwer krebskrank. Da kann man sagen, gut, auch für Kriegsverbrecher gelten humanitäre Gründe, aber was mich doch noch viel mehr empört hat, war, als Sie ausführen, dass – Usbekistan ist nun weiß Gott keine Demokratie – Militär aus Usbekistan regelmäßig von der Bundeswehr ausgebildet wird.

Frenzel: Ja, das reiht sich ein. Die Bundeswehr bildet über den ganzen Planeten auch für die übelsten Regime Soldaten aus. Mit Usbekistan gibt es eine sehr breite Kooperation überhaupt im Sicherheitsapparat – den Fall, den Sie jetzt gerade auch angesprochen haben, also mit dem Innenminister, der nach Deutschland kam. Er hatte ein paar Monate davor eins der übelsten Massaker der letzten fünf Jahre zu verantworten gehabt. Es gab deswegen gegen ihn ein EU-Einreiseverbot, trotzdem haben ihn die Deutschen rein gelassen. Und das war nur der Auftakt gewesen. Es gab auch ein Waffenembargo gegen Usbekistan und so weiter, und das Waffenembargo, da haben die Deutschen über mehrere Jahre massiven Druck auf ihre Partnerländer in der EU gemacht, dass eben dieses Waffenembargo auch aufgehoben wurde. Das heißt, man hat sich wirklich in den Dienst dieser Diktatur gestellt.

Führer: Und warum?

Frenzel: Weil wir einen Krieg in Afghanistan führen, dort unsere Soldaten hinbringen müssen und die deutsche Bundeswehrlogistik das nur schafft, indem sie einen Zwischenstopp in Usbekistan macht. Und ohne diesen Brückenkopf der Bundeswehr könnten die deutschen Soldaten nicht ausreichend gesichert werden, dorthin zu kommen, der Nachschub könnte nicht gesichert werden und auch quasi die Ausstiegsoptionen. In einem Notfall könnte man über Usbekistan auch wieder raus.

Führer: Welche anderen diktatorischen Regime lassen denn noch ihre Militärs in Deutschland ausbilden?

Frenzel: Den heftigsten Fall finde ich Guinea. Guinea ist schon wenige Jahre nach der Staatsgründung 1958 zu einer Militärdiktatur geworden. Seit 1965, also ab diesem Zeitpunkt auch dann, hat die Bundeswehr für Guinea Soldaten ausgebildet.

Führer: Und welche Interessen hat Deutschland in Guinea?

Frenzel: Offiziell wird immer wieder behauptet, man möchte die Demokratie fördern. Nur 150 Offiziere für eine Militärdiktatur und nie hat sich irgendwas getan und das Militär ist nie demokratisch geworden, schlimmer noch, es hat sogar am Schluss dann ein Massaker eben gegeben, an dem eben gerade auch in Deutschland ausgebildete Soldaten dabei waren – also dieses Argument finde ich nicht sonderlich schlüssig. Es gibt dann – aber das dauert lange, bis man diese Begründung dann auch hört –, dass man natürlich sagt, die Offiziere, die aus solchen Ländern nach Deutschland kommen, werden später in ihren eigenen Ländern sehr wichtige Positionen einnehmen, dementsprechend hat man über diese Leute, die man in Deutschland ausbildet, eben dann auch einen gewissen Zugriff auf Machtstrukturen in diesen Ländern. Das heißt, geostrategische Interessen könnte man damit eben bedienen dann auch. Guinea selbst hat auch noch große Bauxit-Vorkommen, das ist wichtig für die Aluminiumindustrie, und ein Auto produzierendes Land wie Deutschland ist darauf eben auch angewiesen.

Führer: Geostrategische Interessen werden ja auch von anderen Ländern verfolgt. Wie ist denn das, nimmt Deutschland da mit dieser Unterstützung dieser nicht demokratischen Regime – ich meine, als Husni Mubarak gestürzt ist in Ägypten, haben wir alle anders geguckt als vorher – nimmt Deutschland da eine Sonderrolle ein oder sind wir da in bester Gesellschaft - mit Frankreich, Großbritannien, USA und so weiter und so weiter?

Frenzel: Finde ich spannend, dass Sie genau diese drei Länder nennen. Das ist nämlich auch irgendwo dann der Punkt gewesen, wo ich mir sagte, wir zeigen eben immer gerade auf Frankreich, England und die USA und sagen immer, ja, die haben ja ganz widerliche Beziehungen. Das stimmt auch in großen Teilen, nur haben wir die eben auch. Und der Fall von Murwanashyaka ist weltweit einzigartig, alsodass ein Vernichtungskrieg über 6000 Kilometer aus Deutschland heraus geführt wird, so was gab es noch nicht.

Führer: Markus Frenzel. Sein Buch "Leichen im Keller: Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt" ist gerade bei DTV Premium erschienen. Ich danke für den Besuch, Herr Frenzel!

Frenzel: Vielen Dank Ihnen!