"Psychologische Betreuung von Soldaten im Auslandseinsatz ausreichend"

Peter Zimmermann im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 02.07.2009
Die psychologische Betreuung von Soldaten im Auslandseinsatz durch die Bundeswehr sei hinlänglich, sagte der Leitende Arzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Bundeswehrkrankenhauses Berlin, Peter Zimmermann, anlässlich der Trauerfeier für die drei in Afghanistan gefallenen Soldaten.
Birgit Kolkmann: Heute findet im hessischen Bad Salzungen die zentrale Trauerfeier für die vergangenen Dienstag in Kundus gefallenen drei Bundeswehrsoldaten statt. Immer mehr Soldaten werden in Auslandseinsätzen in Gefechte verwickelt, vor allem in Afghanistan und immer öfter mit tödlichen Konsequenzen. Tödliche Gefahr im Einsatz, der Rückhalt der Bevölkerung für die Auslandseinsätze, speziell in Afghanistan, schwindet deshalb immer mehr. Waren vor sieben Jahren noch über 60 Prozent der befragten Bürger dafür, sind jetzt ebenso viele dagegen. Für die Soldaten haben aber auch die psychischen Belastungen und Erkrankungen nach traumatischen Erlebnissen erheblich zugenommen. Oberfeldarzt Peter Zimmermann beschäftigt sich seit Langem mit diesen Problemen. Er leitet die psychiatrische und psychotherapeutische Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses in Berlin. Ich fragte ihn: Wie stark ist die psychische Belastung der Soldaten in den letzten Jahren gestiegen?

Peter Zimmermann: Insgesamt kann man sicher sagen, dass die psychische Belastung durch anstrengender, durch belastender werdende Auslandseinsätze auch gestiegen ist. Was wir sehen können, was wir sagen können, ist, dass wir einen Anstieg der Soldaten in unseren Bundeswehrkrankenhäusern haben, die sich wegen dieser Störungen behandeln lassen. Der Anstieg ist deutlich, der war vor drei Jahren noch bei 80 Soldaten, dann bei 140 und im letzten Jahr bei 250 Soldaten. Noch unklar ist die Frage, ob dieser Anstieg auf eine erhöhte Akzeptanz dieses Erkrankungsbildes in der Bevölkerung beziehungsweise auch insbesondere in der Bundeswehr zurückzuführen ist, oder ob es tatsächlich mit einem Anstieg auch der Absolutzahlen zusammenhängt. Wahrscheinlich ist es von beidem etwas.

Kolkmann: Ist es denn schwierig in einem leistungsorientierten System wie der Bundeswehr, in dem ja jeder funktionieren muss, solche psychischen Störungen einzugestehen?

Zimmermann: Das kann dem einen oder anderen Betroffenen tatsächlich schwerfallen. Das ist so ein Phänomen, was wir in vielen hierarchischen Systemen finden, das betrifft nicht nur die Bundeswehr, das betrifft auch die Polizei oder die Feuerwehr. Da sind doch immer noch recht vorherrschende Männerbilder mit den entsprechenden Idealen. Das kann es schon schwieriger machen für den einen oder anderen Betroffenen, sich zu öffnen, weil er dann Konsequenzen befürchtet. Allerdings muss ich dazu sagen, dass meine Erfahrungen aus den letzten Jahren die ist, dass gerade viele Vorgesetzte diesem Thema deutlich offener gegenüberstehen als noch früher, denn das ist ja nun bekanntermaßen ein Erkrankungsbild, was jeden treffen kann, auch den Ressourcenstarken, auch den eigentlich psychisch Gesunden. Und letztendlich weiß jeder, es kann auch ihn treffen. Und das, denke ich, hat dazu beigetragen, dass also eigentlich eine Menge Akzeptanz und auch Fürsorge für diese Soldaten bereitsteht und auch eine Menge Therapieangebot, was aber noch lange nicht heißt, dass der Betreffende das dann auch wahrnimmt.

Kolkmann: Wie äußern sich die Probleme, mit denen die Soldaten aus den Auslandseinsätzen zurückkommen?

Zimmermann: Die können vielfältig sein. Die posttraumatische Belastungsstörung, von der ja heutzutage viel gesprochen wird, ist im Grunde nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben eine ganze Reihe an anderen möglichen Störungen. Es gibt Partnerschaftskrisen, die nach Auslandseinsätzen auftreten, es gibt Angststörungen, depressive Störungen. Es gibt auch eine ganze Reihe an körperlicher Symptomatik, die infolge einer psychischen Belastung auftreten kann. Letztendlich dann auch Suchterkrankungen, die in der Regel als Selbstheilungsversuch zur Beruhigung beginnen. Das heißt, man muss als Psychiater, aber auch als Allgemeinarzt, der mit psychisch Erkrankten oder mit auslandsbelasteten Soldaten zu tun hat, man muss ein offenes Ohr haben und in viele Richtungen denken.

Kolkmann: Das heißt, Sie müssen das Betreuungspersonal auch entsprechend ausbilden. Wie wichtig ist es denn, dass die Betreuung sehr schnell nach extremen Erlebnissen, also schon im Ausland einsetzt?

Zimmermann: Je früher eine Betreuung einsetzt, umso besser ist es. Es gibt auch heutzutage gut untersuchte Frühinterventionsstrategien, das heißt also Gesprächsansätze, die den Betroffenen sehr früh vermittelt, was das sein kann, was er da entwickelt, und was man dagegen tun kann. Das ist letztendlich ein guter Ansatz, hilft auch, den einen oder anderen ungünstigen Krankheitsverlauf gegebenenfalls abzumildern oder zu verhindern. Aber man muss auch dazu sagen, auch wenn jemand jahrelang sich mit seinen Symptomen bereits rumschleppt und leidet, ist immer noch eine sehr, sehr wirksame Behandlung möglich. Es ist also nicht so, dass zwingend ohne eine frühzeitige Intervention gar nichts mehr möglich ist, das dachte man früher, heute weiß man, dass also durchaus auch nach mehreren Jahren, wenn derjenige dann motiviert ist, eine gute Behandlung möglich ist.

Kolkmann: Wie hat sich die Bundeswehr in den letzten Jahren mit den zunehmenden Auslandseinsätzen und den damit einhergehenden Problemen umgestellt, was die Betreuung angeht?

Zimmermann: Die Behandlungskonzepte sind deutlich ausgeweitet, auch die Betreuungskonzepte sind deutlich ausgeweitet. Man legt jetzt in den Einsatz vorbereitenden Lehrgängen deutlich mehr Wert auf psychische Vorbereitung als früher, da gibt’s also Vorträge für alle Soldaten, was da passieren kann. Es werden auch oft Entspannungstechniken schon mal vor dem Einsatz vermittelt. Es gibt eine ganze Reihe an Betreuungsmöglichkeiten während des Einsatzes und nach dem Einsatz – zuallererst die psychosozialen Netzwerke, das so sind Verbünde von multiprofessionellen Teams an jedem Standort, an die sich die Betroffenen wenden können. Es gibt die Familienbetreuungszentren, die sich sehr rührig vor allem auch um die Familien kümmern, damit der Rückhalt im Heimatland da ist. Es gibt im Auslandseinsatz immer einen Psychologen, immer einen Pfarrer – also von den beiden Hauptkonfessionalitäten. Es gibt immer einen Nervenarzt, der vor Ort dann auch die medizinische Seite verkörpert. Also im Grunde, das verfügbare Personal ist deutlich mehr und inzwischen, was die Betreuung direkt im Einsatzgebiet angeht, nach meiner Erfahrung ausreichend, durchaus ausreichend, und auch den anderen Nationen vergleichbar.

Kolkmann: Sie beschäftigen sich ja als Psychiater und Psychotherapeut seit Langem auch mit diesen Störungen bei den Soldaten. Müsste es politisch da noch mehr Anstrengung und mehr Unterstützung für Ihre Arbeit geben, auch an den Bundeswehrkrankenhäusern?

Zimmermann: Also im Augenblick fühle ich persönlich – ich kann das nur ganz persönlich sagen – fühle ich mich persönlich sowohl von ministerieller als auch politischer Ebene gut wahrgenommen und unterstützt. Wünschenswert wäre es sicher auch, dass die Gesellschaft noch mehr akzeptiert, dass es sich hier nicht um verrückte, sondern eben um normale Mitglieder der Gesellschaft handelt, die halt belastet sind. Da kann sicher die Medienwelt gut beitragen. Und was sicher notwendig ist, wenn es jetzt zu weiteren schwerwiegenden Kampfhandlungen kommt, ist damit zu rechnen, dass die Zahlen in Zukunft ansteigen, und wir werden dann sicher unsere Kapazitäten ausbauen müssen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir auch da weiterhin von Politik und Ministerium unterstützt werden.

Kolkmann: Oberfeldarzt Peter Zimmermann. Er ist der Leiter der psychiatrischen und psychotherapeutischen Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Zimmermann: Herzlich gerne.