Psychologie des Stalkings

"Ich finde dich!"

Das gestellte Foto zeigt eine maskierte Person, die mit einem Fernglas durch die Lamellen einer Jalousie hindurch eine Frau beobachtet.
Nicht nur die Polizei befasst sich mit dem Thema Stalking - auch die Forschung tut es. © picture alliance / dpa / Hans Wiedl
Von Azadê Peşmen · 13.10.2016
Vom zurückgewiesenen Verehrer bis zum attackierenden Verfolger - welches Profil haben Stalker? Gibt es einheitliche Verhaltensmuster? Und sind alle Stalker auch psychisch krank? Das sind Fragen, mit denen sich die Forschung neuerdings befasst.
Von jemandem verfolgt werden. Auf Schritt und Tritt. Ständig kontaktiert werden, obwohl man das nicht möchte. Jede Bewegung wird wahrgenommen, nichts bleibt ungesehen. Nachstellen heißt das juristisch, Stalking umgangssprachlich. Die größte Gruppe der Stalker sind Ex-Partner. Sie können mit der Zurückweisung nicht umgehen und akzeptieren diese nicht. Aber was führt bei diesen Menschen zum Stalking-Verhalten? Laut der Psychologin Justine Glaz-Ocik vom Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt, sehen sich Stalker immer in einer Beziehung mit dem Opfer, auch wenn die Partnerschaft bereits beendet wurde. Allerdings gehören nicht alle Täter zu der Gruppe der sogenannten "krankhaften Stalker", weiß die Psychologin Justine Glaz-Ocik vom Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt:
"Sicherlich, es gibt psychische Störungen, die wir immer wieder feststellen, bestimmte persönliche Akzente, wie die narzisstische Akzentuierung, dass heißt, Stalker sind sehr leicht kränkbar oder wir haben auch in einigen Fällen eine paranoide Psychose. Wir können annehmen, dass Personen, die zu Stalking-Verhalten neigen, bereits in ihrer Kindheit oder Jugend nicht gelernt haben, mit Zurückweisungen zurechtzukommen, dass sie in dem Zusammenhang vielleicht auch das verletzte Selbstwertgefühl, dass sie ihr Leiden dadurch kompensieren, dass sie sich auf diese Person fixieren."

Angst vor dem Kontrollverlust

Diese Fixierung wird von vielen Tätern selbst nicht als Stalking wahrgenommen, die Grenze des Nahbereichs einer anderen Person wird nicht gesehen und wiederholt überschritten. Gerade Ex-Partner haben ein Problem, sich mit dem Ende einer Beziehung abzufinden, die Trennung wird als großer Kontrollverlust empfunden und das Stalking dementsprechend als eine Möglichkeit diese Kontrolle wieder zu erlangen. Die "zurückgewiesenen Stalker" beschäftigen sich den ganzen Tag mit der Person, der sie nachstellen, das Opfer wird zum Lebensinhalt. Andere Täter, die sogenannten beziehungssuchenden Stalker idealisieren das Opfer, glorifizieren es und bauen sich eine Fantasie auf. Dieses Luftschloss kann aber auch schnell platzen, zum Beispiel wenn das Opfer zu verstehen gibt, keinen Kontakt mehr zu wollen oder
"Möglicherweise gar die Person aus lauter Hilflosigkeit und Wut über den auf Opferseite erlebten Kontrollverlust vielleicht auch beleidigen und harsch zurückweisen und plötzlich kann dieser Wunsch nach Beziehung vonseiten des Stalkers/der Stalkerin positiv empfundenen Gefühle umschlagen in negative Gefühle, in Wut, in eine starke Verletzung."
Diese Wut führt dazu, dass Stalker ihrem Opfer nur noch mehr nachstellen. Es geht dann nicht mehr darum, die bereits beendete Beziehung zu retten, sondern darum sich an der ehemaligen Partnerin zu rächen. Sie versuchen ihre eigene Ohnmacht durch das Stalking in Macht umzuwandeln. Für viele von ihnen ist das Internet der Ort, an dem Sie das Gefühl haben, diese Kontrolle wieder zu erlangen und versuchen, mit der ehemaligen Partnerin in Kontakt zu treten. Durch das Cyberstalking können sich Täter ebenfalls in den Nahbereich ihres Opfers begeben.
"Ich kann surfen, ich kann mir Bilder anschauen, immer wieder zu unterschiedlichen Tageszeiten von der Person. Kann möglicherweise auf Profilen verfolgen, was die Person gerade beschäftigt, was sie macht und das reichert meine Fantasie an. Zudem habe ich online auch die Möglichkeit wann auch immer ich möchte mit der Person in Kontakt zu treten."

Wenn der Wunsch nach Nähe in Gewalt umschlägt

Bei einigen Tätern, den "attackierenden Stalkern" geht das Stalking in Gewalttaten, häufig in sexualisierte Gewalttaten über. Diejenigen, bei denen der psychologische Terror in körperliche Gewalt umschlägt, suchen sich jedoch selten Hilfe. Oft sind es die zurückgewiesenen Stalker, die sich an Beratungsstellen wenden. Eine davon ist Stop Stalking, in Berlin. Wolf Müller-Ortiz arbeitet seit dem Gründungsjahr 2008 dort. Die Stalker, die sich an die Beratungsstelle wenden, befinden sich meist in einem früheren Stadium, weil sie selbst darunter leiden.
"Es gibt aber das, was wir so die Feld-,Wald- und Wiesenstalker nennen, die vielen Menschen, die einfach mit dem Ende einer Beziehung nicht zurechtkommen, die leicht kränkbar sind, die klammern. Und die sind durchaus welche, die auch sich helfen lassen wollen, die von sich aus den Kontakt suchen."
In der psychosozialen Beratung von Stop Stalking verpflichtet sich deshalb der Stalker dazu, dem Opfer nicht mehr nachzustellen und – falls es doch passiert - in der Beratung davon zu erzählen. Je nach vorhandenem Problembewusstsein beim Täter bagatellisieren einige ihr Verhalten, andere schämen sich dafür. Die Beratungsstelle suchen aber auch viele ratsuchende Frauen auf, der Anteil liegt bei 40 Prozent.
"Frauen stalken nicht unbedingt kürzer oder harmloser als Männer, vielleicht weniger unter Einsatz von körperlicher Gewalt oder schweren Gewaltdelikten, aber es ist erstaunlich, denn die wissenschaftlichen Untersuchungen gehen eher davon aus, dass drei Viertel Männer seien und nur ein Viertel Frauen und wir glauben daran, dass es daran liegen könnte, dass Frauen eher so ein niedrigschwelliges Angebot wahrnehmen, dass sie leichter einen Zugang finden über ihre Probleme zu sprechen."
Ziel der Täterarbeit ist, egal ob es sich um Männer oder Frauen handelt, das Stalking zu überwinden. Wann ist der sogenannte "Stalking-Druck" hoch und wie können sie sich anders beschäftigen? Das sind zentrale Fragen, die Tätern dabei helfen sollen, das eigene Stalking-Verhalten einzustellen, denn Stalker seien in erster Linie Wiederholungstäter, meint die Psychologin Justine Glaz-Ocik. Die meisten Menschen verarbeiten Trennung und Zurückweisungen, indem sie sich auf andere Dinge in ihrem Leben konzentrieren, sich ablenken und neue Ziele setzen. Dass einige das nicht schaffen, ist kein neues Phänomen, meint Justine Glaz-Ocik. Seit dem es Beziehungen gebe, gebe es auch Menschen, die verletzt auf Zurückweisung und Trennung reagieren.
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