Prozess gegen ukrainischen Regisseur Senzow

Die volle Härte des russischen Staatsanwalts

Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow im Dezember 2014
Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow im Dezember 2014 © imago / ITAR-TASS
Von Gesine Dornblüth · 19.08.2015
Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow hat sich gegen die russische Besetzung der Krim engagiert. Nun steht der 39-Jährige wegen Terrors vor einem russischen Gericht. Der Staatsanwalt fordert nun mehr als 20 Jahre Haft. Aus Europa kommt Kritik, Senzows prominente russische Kollegen aber schweigen.
Anspannung im Gericht im südrussischen Rostow am Don. Ein Uniformierter droht den Journalisten: Das Gericht habe erfahren, dass einige Reporter planten, die Verhandlung zu stören. Sie würden sofort zur Verantwortung gezogen.
Der Ton am russischen Militärgericht scheint noch härter als an anderen russischen Gerichten. Und auch der Staatsanwalt zeigt volle Härte. Er fordert noch höhere Haftstrafen, als von Beobachtern erwartet: 23 Jahre für den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow, zwölf Jahre für den Mitangeklagten, den Anarchisten Alexander Koltschenko. Verteidigerin Svetlana Sidorkina in ihrem Schlussplädoyer:
"Die Männer auf der Anklagebank sind Opfer der russisch-ukrainischen Beziehungen. Dieser Prozess hat politischen Charakter. Wenn das Gericht dem Antrag des verehrten Staatsanwaltes folgt, wird dieser Prozess als Schandfleck in die Geschichte der russischen Justiz eingehen."
Oleg Senzow soll, so die Anklage, Brandanschläge auf der Krim organisiert und geplant haben, als die Halbinsel bereits von Russland besetzt war: auf Büros russischer Organisationen sowie auf ein Lenindenkmal. Dabei gab es keine Opfer, lediglich Sachschäden. Koltschenko hat seine Beteiligung gestanden. Die Verteidigung ist aber der Meinung, dass es für Senzows Mitwirken keinerlei Beweise gibt. Die Anklage stützt sich vor allem auf einen Belastungszeugen. Der hat seine Aussage aber vor Gericht widerrufen und gesagt, er sei unter Druck gesetzt, gefoltert worden. Deswegen habe er Senzow belastet.
Auch Senzow sagt, er sei gefoltert worden
Die Anklage wirft dem Regisseur außerdem vor, mit Waffen gehandelt und eine Terrorzelle auf der Krim gegründet haben. Den anfangs erhobenen Vorwurf, er sei Mitglied des ukrainischen Rechten Sektors, ließ der Staatsanwalt fallen. Gleichwohl habe sich Senzow, so der Staatsanwalt, die "Ideologie des Rechten Sektors angeeignet". Der Rechte Sektor ist in Russland als extremistische Organisation verboten.
Der Generalkonsul der Ukraine, Vitalij Moskalenko, hat den gesamten Prozess in Rostow am Don verfolgt. Er meinte nach dem Abschluss der Plädoyers:
"Der Prozess ist eine Farce. Die objektiven Beweise der Verteidigung werden ignoriert, die absurden Erklärungen des Staatsanwaltes einfach so angenommen."
Auch Senzow selbst hat ausgesagt, gefoltert worden zu sein. Auch das wurde vom Gericht ignoriert.
Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow und der Mitangeklagte Alexander Koltschenko in einem Gitterkäfig vor Gericht in Russland im August 2015
Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow und der Mitangeklagte Alexander Koltschenko vor Gericht in Russland im August 2015© Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Für Senzow haben sich zahlreiche europäische Filmschaffende eingesetzt. Auch in Russland äußern sich einige Filmemacher solidarisch mit dem Kollegen. Zum Beispiel das Art Dok Fest, ein kleines unabhängiges Filmfestival in Moskau. Die prominenten Filmemacher aber schweigen. Nikita Michalkow, Präsident des Moskauer Internationalen Filmfestivals, hatte vor einem Jahr angekündigt, er wolle sich bei Präsident Putin für Senzow einsetzen. Inzwischen hat er mitgeteilt, ihm seien juristische Argumente vorgelegt worden, gegen die er nicht ankönne. Die Moskauer Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Zoja Svetova hat deshalb einen offenen Brief an Michalkow geschrieben. Ohne Reaktion.
"Regisseure wie Pavel Lungin, Andrej Zvjaginzew, Nikita Michalkow wissen doch um die Stalinistischen Repressionen. Was heute passiert, erinnert stark daran. Für einen klugen, gebildeten Menschen kann kein Zweifel bestehen, dass der Prozess gegen Oleg Senzow fabriziert ist.Diese Leute haben Angst, dass sie keine Filme mehr machen können. Das ist eine Schande für die russische Filmwelt."
Senzow erkennt das Gericht nicht an
Von dem russischen Regisseur Andrej Zvjaginzew ist die Journalistin Svetova besonders enttäuscht. Sein Film "Leviathan" sorgte in diesem Jahr international für Furore. In dem Film geht es um Unrecht. Er zeigt die ganze Absurdität der russischen Justiz. Die Journalistin Svetova zweifelt nun an der Aufrichtigkeit des Filmemachers.
"Die Handlung spielt zum großen Teil vor Gericht, die Szene dort ist großartig. Aber Zvjaginzew war offenbar selbst nie in einem russischen Gericht. Ich frage mich, ist das echtes Kino oder nicht?"
Der 39-jährige Oleg Senzow verfolgte die Schlussplädoyers gelassen, teils mit geschlossenen Augen und verschränkten Armen – wie gewohnt in einem weißen
T-Shirt mit einem traditionellen ukrainischen Blumenmuster und der Aufschrift "Ruhm der Ukraine". Senzow erkennt das Gericht in Rostow nicht an. Heute sagte er, ein Gericht von Besatzern könne per se nicht gerecht sein. Er rechnet mit einer langen Haftstrafe. Das Schlusswort nutzte Senzow, um noch einmal auf den so wichtigen Zeugen hinzuweisen, der ihn zunächst belastet, seine Aussage aber dann im Gerichtssaal zurückgezogen hatte.
"Ich freue mich für ihn, dass er weiterleben kann, ohne sich als Feigling zu fühlen. Die größte Sünde auf der Erde ist die Feigheit. Das hat der große russische Schriftsteller Michail Bulgakow in dem Roman Meister und Margarita geschrieben."
Das Urteil gegen Oleg Senzow und Alexander Koltschenko ist für den kommenden Dienstag angekündigt.
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