Protzen gegen den Minderwertigkeitskomplex

Arndt Graf im Gespräch mit Jürgen König · 18.06.2010
Die größenteils mit Ölgeld gebaute Stadt Putrajaya hat acht Milliarden Dollar gekostet. Als Symbol ziele die Stadt vor allem auf den Minderwertigkeitskomplex vieler Malaien, sagt Arndt Graf vom Südostasien-Institut der Universität Frankfurt.
Jürgen König: Putrajaya - "The Promised City", "Die versprochene Stadt" – was aus dem Versprechen wurde, soll uns jetzt Arndt Graf näher erläutern, Professor am Südostasien-Institut der Universität Frankfurt. Herr Graf, ich grüße Sie!

Arndt Graf: Guten Morgen, guten Tag!

König: Putrajaya, "die künstliche Metropole", hieß es eben – Sie kennen Putrajaya, eine Stadt, in der vor allem Regierungsbeamte und Angestellte leben. Was ist das für ein Gefühl, dort zu sein?

Graf: Ja, es ist ein bisschen eine Mischung zwischen einem wilhelminischen Baustil und Science Fiction. Die Stadt ist natürlich dazu gedacht, den Besucher zu beeindrucken, und zu diesem Zweck gibt es jede Menge Prachtbauten, überdimensioniert. Auf 'nem Hügel zum Beispiel ist die große Halle des Volkes, die 3000 Zuschauer fasst, die Ministerien sind ebenfalls überdimensioniert, es gibt von den Perspektiven her schier endlose Weiten, die man da durchblicken kann.

Gleichzeitig sind die Symbole der malayischen Naturliebe da, Seen, Grünanlagen. Man soll das Gefühl bekommen, Malaysia ist ein sehr reicher Staat, sehr gepflegt, der wirklich was hermacht. Das ist das Gefühl, das durch diesen Anblick von Putrajaya hergestellt werden soll.

König: Auch ökologisch sollte die Stadt zum Vorbild werden. Welche Verkehrssysteme zum Beispiel hat man entwickelt, welche infrastrukturellen Überlegungen wurden da umgesetzt?

Graf: Also, bestechendes Zeichen von Putrajaya ist die Absicht, dass die Ministerien, die dort hinziehen, in Zukunft papierlos arbeiten sollen. Das ist so ähnlich wie das Silicon Valley die malaysische Elektronikindustrie vereinen soll. Und der gesamte Regierungssitz sollte papierlos sein.

König: Sollte, er ist es aber nicht?

Graf: Er ist es natürlich nicht, ja. Weiteres Element in dieser Strategie war, dass Putrajaya zwischen der Hauptstadt Kuala Lumpur und dem neuen, ebenfalls sehr prächtigen internationalen Flughafen von Kuala Lumpur ziemlich genau in der Mitte liegt, sodass der superschnelle Zug, der den Flughafen mit der Innenstadt verbindet, 28 Minuten, eben dann nach 14 Minuten in Putrajaya hält, was für einen Regierungssitz sehr angenehm ist, weil man dann gleich am internationalen Flughafen ist und im ganzen Land sein kann.

König: Ja. Können Sie ermessen, ob sich die Regierungsarbeit verändert hat durch den Bau dieser Stadt?

Graf: Also, der Bau dieses Verwaltungssitzes symbolisiert natürlich den großen Machtanspruch des Zentrums. Früher war das ein verwinkelter, eher langsam arbeitender Verwaltungsapparat, war bekannt dafür. In der Zeit Mahathirs und eben auch seitdem, seitdem er zurückgetreten ist, hat's etliche Reformen gegeben im Verwaltungsapparat, die tatsächlich zum Teil schnellere Ergebnisse zeigen als hierzulande in Deutschland, wenn es um Steuererklärungen geht zum Beispiel, ruck, zuck ist die beantwortet und bearbeitet. Das ist tatsächlich, also, wird symbolisiert durch die Stadt, aber da hat es tatsächlich ganz beeindruckende Veränderungen gegeben.

König: Ist denn das auch eine Stadt mit einer eigenen Identität, einer eigenen Kultur? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen, nach dem, wie Sie es beschrieben haben.

Graf: Also, die Kultur ist die Kultur des Auftrumpfens und Protzens im Grunde, ich weiß aber nicht, ob Sie es als Kultur ansehen wollen. Also, so was hat es ja in Deutschland auch gegeben, wenn wir uns erinnern, in der Zeit des Wilhelminismus, Deutschland industrialisiert sich rasant, es gibt, sehr schnell kommen Leute zu Geld, wollen damit protzen, wollen damit angeben, und im Grunde in so einer ähnlichen Phase war Malaysia unter Mahathir auch. Und, also diese Großprojekte, die Sie genannt haben, sind eben Teil dieses Protzens, dieses Protzgehabes.

König: Das klingt so, als ob Putrajaya eine sehr teure Stadt ist?

Graf: Ja, auf alle Fälle. Also wenn Sie da in die Moschee gehen, es ist alles Marmor, der Regierungssitz Marmor, es glitzert alles gülden, das ist natürlich aus Messing, aber man hat den Eindruck, da ist also nicht gespart worden, zumindest an der Fassade und an der obersten Schicht.

König: Was kostet da eine Wohnung in Putrajaya?

Graf: Es kostet, also es ist für obere Verwaltungsbedienstete erschwinglich, aber für die unteren eben nicht. Die Stadt selbst hat ja acht Milliarden Dollar gekostet, eine gewaltige Summe für ein Land, und das Geld ist natürlich nicht alles nur hergeschenkt, sondern ein Teil soll eben wieder reinkommen über die Mieten an den Rändern des Verwaltungssitzes.

König: Ja. Acht Milliarden Dollar – wo kam das Geld her?

Graf: Das Geld kam zum großen Teil aus den Erlösen, die der Staat Malaysia gewonnen hat durch die boomende Elektronikindustrie, aber auch von der Ölindustrie.

König: Also nicht auf Kredit gebaut?

Graf: Nein. Also Malaysia ist, auch die Zwillingstürme in Kuala Lumpur, die sind zum großen Teil finanziert aus Ölgeld. Also, Malaysia ist reich, Malaysia ist ein sehr wohlhabendes Land geworden, zum einen aufgrund der natürlichen Ressourcen, aber zum anderen auch, weil die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte zufällig den richtigen Weg gewählt hat und eben auf Industrialisierung gesetzt hat im Wege der Hightech-Industrien, als Zuliefererland für die Hightech-Industrien, Elektronikindustrie und so weiter.

Das hat vor allen Dingen Malaysia reich gemacht, und der Staat, der Staat ist sehr wohlhabend. Der öffentliche Sektor kann sehr viel Geld ausgeben.

König: Wir haben jetzt vor uns das Bild einer Hochtechnologie-Stadt Putrajaya. Wir haben zuvor gehört, dass immer noch viele Bundesländer Malaysias weit entfernt sind von modernen technischen Standards. Wird das nicht im Land als großer, als auch konfliktträchtiger Gegensatz empfunden?

Graf: Das ist richtig, aber wenn Sie sich überlegen, dass Malaysia seit den 70-er Jahren Jahr für Jahr zwischen einem Viertel und einem Drittel des Staatshaushaltes in Bildung investiert hat, dann können Sie sich vorstellen, was es für gewaltige Veränderungen gegeben hat, selbst in das kleinste Dorf hinein.

Wenn Sie durch die malaysische Halbinsel reisen – klar, da gibt es natürlich noch vernachlässigte Regionen hinterm Wald, aber dann sehen Sie dann hochmoderne Schulgebäude. Die Bibliotheken, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstanden sind, die größten Forschungsbibliotheken, da hat jede eine Million Bände. Es gibt mittlerweile Dutzende von staatlichen Universitäten. Vor 20, 30 Jahren gab es drei. Also, das ist, es findet im ganzen Land eine enorme Dynamik statt, und Putrajaya symbolisiert das natürlich in besonderer Weise.

König: Bernd Musch-Borowska erwähnte auch die ethnischen und religiösen Konflikte, die Premierminister Mahathir mit seiner Politik hervorgerufen hat, also mit seiner Bevorzugung der Bevölkerungsgruppe der ethnischen Malaien. Ist Putrajaya eine in Mahathirs Sinne rein malaiische Stadt?

Graf: Hm, das ist schwer zu sagen. Sehen Sie, die ethischen Konflikte sind zum ersten Mal 1969 ausgebrochen in größerem Maße, als Kuala Lumpur brannte, als es zu richtigen Unruhen kam, bürgerkriegsähnlichen Unruhen kam, zwischen den ethnischen Malaien und den ethnischen Chinesen. Und die Politik, die seit Anfang der 70-er Jahre eingesetzt hat, übrigens immer auch mit Vertretern der chinesischstämmigen Malaysier, zielt darauf ab, die nicht-chinesischen, nicht-indischen Malaien oder Malaysier aus der Armut rauszuholen – und zwar wie? Vor allen Dingen durch Bildung.

Also, diese Investitionen in die Bildung sind vor allem eine Investition in die Bildung der Malaien. Also es gibt eine Bevorzugung, klar, aber rechtlich ist da viel zurückgenommen worden in den letzten Jahren, das ist auch ein Grund, warum die Hauptoppositionspartei aus dem fundamentalistisch-islamischen Milieu kommt und eben nicht von den etwa 30 Prozent Chinesen. Also, es gibt eben Malaien, die denken, dass der ganze Staat eben viel zu weit von Chinesen und Indern dominiert wird und die eben eine striktere Version des Islam bevorzugen.

König: Aber das führt nicht zu Konflikten, die dann in Putrajaya sozusagen eskalieren oder da ausgetragen werden?

Graf: Also, in Putrajaya kann natürlich abgeriegelt werden durch Polizei und Militär, also, in Putrajaya selber findet man davon nix, es sei denn im Parlament, während, das ja auch in Kuala Lumpur sitzt. Die Konflikte selber finden in der Gesellschaft statt. Aber das Problem ist natürlich, dass die Hauptoppositionspartei, wie erwähnt, eben nicht eine Alternative verspricht, die das Land einen würde oder stärker einen würde als die bisherige Regierung. Deshalb sind die meisten chinesischstämmigen Malaysier, auch wenn sie mit vielen Aspekten unzufrieden sind, immer noch, ziehen immer noch mehr die jetzige Regierungskoalition vor als eine mögliche Regierungsbeteiligung der PAS, der fundamentalistischen Opposition.

König: Alles zusammengenommen, Herr Graf: Putrajaya, das ist ja auch der Versuch des Landes, sich fürs neue Jahrtausend zu rüsten, das sollte die Vision einer malaiischen Stadt der Zukunft werden. Wurden da tatsächlich Wege gegangen, die zukunftsweisend sind, die vielleicht auch anderen Metropolen als gelungenes Beispiel dienen könnten?

Graf: Also, Putrajaya als Symbol zielt vor allem auf den Minderwertigkeitskomplex vieler Malaien ab, die nach langen Jahrzehnten der Kolonialzeit sich arm vorkommen, minderwertig, weniger ausgebildet, und denen hat man halt hier Symbole geboten.

Diese glitzernde Stadt, am Reißbrett entworfen, ist ein Beispiel, dann die Supertürme in Kuala Lumpur, diese Zwillingstürme, ist ein anderes, der supermoderne Flughafen von Kuala Lumpur ist ein drittes Beispiel. Das sind alles Symbole, die appellieren an das malaysische – oder malaiisch in dem Fall – Gefühl, wir waren eigentlich immer die Dummen und jetzt kommen wir.

Ich weiß nicht, ob das zukunftsweisend sein kann. Diese auftrumpfende Geste, die dahintersteckt, vielleicht auch als Kompensation gedacht für wahrgenommenes, erlittenes Unrecht, ist vielleicht nicht besonders empfehlenswert zur Nachahmung. Der zugrunde liegende Konflikt, dass man sich eben wahrnimmt als die Verlierer der Weltgeschichte letztendlich, die erst in den letzten 20, 30 Jahren einigermaßen versuchen, Anschluss zu finden, ich glaube, diesen Konflikt, den gibt es auch in anderen Ländern.

König: Aber technisch und infrastrukturell hat es keine Lösungen gegeben, die wirklich über den Tag hinaus bedeutend sein werden?

Graf: Ein Teil dieser Mahathir-Strategie im ökonomischen Bereich war, auf die Elektronikindustrie zu setzen. Malaysia sollte Zulieferland werden für die Elektronikindustrie Amerikas, Japans und dann später auch Chinas, was es auch geworden ist. Und daher rührt ein Teil dieses Reichtums her.

Insofern symbolisiert der papierlose Aspekt von Putrajaya einen Teil der Entwicklungsstrategie unter Mahathir. Heute natürlich, nach 20, 30 Jahren, gibt es neue Tiger. China produziert mittlerweile selber sehr viele Computerteile, genauso wie Taiwan und andere Länder, insofern hat sich das natürlich ein bisschen überholt. Andererseits: Es sind neue Gebäude entstanden, die Ministerien sind nicht mehr in alten, muffigen Gebäuden aus den 60-er Jahren oder 70-er Jahren, das kann vielleicht ein Vorteil sein.

König: "The Promised City", "Die versprochene Stadt" – ein Gespräch über Putrajaya, den Regierungssitz Malaysias. Ich sprach mit Professor Arndt Graf vom Südostasien-Institut der Universität Frankfurt. Herr Graf, ich danke Ihnen!

Graf: Gern, ich danke auch!