Protokollierte Schmerzen

10.02.2009
Der Journalist Jörg Böckem wurde bekannt durch sein Buch "Lass mich die Nacht überleben", in dem er sein Doppelleben als Journalist und Junkie beschreibt. In seinem neuen Buch schildert er nun seinen Umgang mit seiner Hepatitis C-Infektion, einer Folge seiner Heroinsucht. Die Nebenwirkungen der Medikamente verändern ihn und sein Leben. Böckems Schmerzprotokoll war zunächst ein Internet-Blog. In Buchform ermüdet das ständige Kreisen um Körperfunktionen jedoch.
Es ist eine tückische Krankheit: In Deutschland sind zwischen 500.000 und 800.000 Menschen mit dem Hepatitis C-Virus infiziert - die Schätzungen schwanken, denn viele Menschen wissen von ihrer Infektion nichts. Oft zeigen sich jahrelang keine typischen Symptome - während die Entzündung der Leber schleichend voranschreitet.

In seinem neuen Buch "Freitags Gift - Tagebuch einer Therapie" erzählt der Journalist Jörg Böckem davon, wie langwierig und schmerzhaft sich eine Hepatitis C-Behandlung gestaltet. Neben der Transfusion von Blut und unsterilen Piercings zählen gemeinsam genutzte Injektionsnadeln zu den Hauptinfektionswegen. Genau dieser Risikogruppe gehörte Böckem an, als er vor vielen Jahren noch als Schüler Heroin zu spritzen begann. Trotz seiner Drogensucht reüssierte Jörg Böckem als Autor für "Die Zeit", "Der Spiegel" und "Süddeutsche Zeitung", versteckte seine kaputten Arme in langen Pulloverärmeln, zog das Telefonat dem persönlichen Besuch in Redaktionsräumen vor und wurde wegen seiner dunkel umschatteten Augen von Kollegen auch "Bambi" genannt.

Nach zwanzig Jahren Drogenkarriere und erfolgreichem Entzug schrieb er ein Buch über seine Geschichte ("Lass mich die Nacht überleben"), das prompt zum Bestseller wurde.

Nun nutzt der Journalist seine Popularität, um auf eine viel zu wenig thematisierte Krankheit aufmerksam zu machen. Die große Unkenntnis in Bezug auf Hepatitis C hat fatale Folgen, wie Jörg Böckem erläutert: Was als vermeintlicher grippaler Infekt beginnt, wächst sich jedoch in zwei Drittel aller Fälle zu einer chronischen Leberentzündung aus. Bleibt die Infektion unbehandelt, muss ein Viertel aller Patientinnen und Patienten nach zwei Jahrzehnten mit einer hochgefährlichen Leberzirrhose rechnen. Auch Leberkrebs kann sich leichter entwickeln.

Die bislang einzige Behandlungsmöglichkeit ist ein langer und dorniger Weg. Jörg Böckem zeichnet ihn in allen Einzelheiten nach: Fast ein Jahr lang spritzt er sich Alpha-Interferon, das die Immunabwehr stärken und Viren-Erbgut schädigen soll. Zusätzlich nimmt er Ribavirin, das die Erreger an einer weiteren Vermehrung hindert. Die Nebenwirkungen der Kombinationstherapie sind dem Journalisten theoretisch klar: Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Depressionen, Gewichtsverlust. Doch mit jeder Medikamenten-Spritze, die er seinem Körper verabreicht, verliert sich die journalistische Souveränität und Jörg Böckem muss das Geschehen wie jeder andere Patient ertragen und durchleiden.

Ganze Wochenenden liegt er schmerzverkrümmt auf dem Wohnzimmersofa, seine Freiberuflichkeit kann er nur mit Mühe durch den Therapieverlauf retten, immer wieder erlebt er seelische Abstürze. Statt Gewicht zu verlieren, nimmt er Kilo um Kilo zu, bis er sich im Spiegel kaum wieder erkennt, seine langjährige Freundin ist das Elend irgendwann leid und zieht aus. Einziger Lichtblick ist das Gespräch mit Leidensgenossen, die, wie er, jahrelang Drogen nahmen und nun die Folgen aufarbeiten müssen.

Jeder seiner 48 Leidenswochen widmet der Autor ein eigenes, kurzes Kapitel. Deren peppige Überschriften ("Ich werde Orang-Utan", "Männer, Monster, Mutationen", "Wüterich und Wanderdüne") sind möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass die Texte zunächst in einem "Spiegel"-Blog erschienen. Sie täuschen darüber hinweg, dass Jörg Böckem wenig Lustiges zu erzählen hat und ein weitgehend nüchternes Therapieprotokoll abliefert. Der Autor will Aufklärungsarbeit leisten, deshalb spickt er seine Kapitel mit nützlichen Informationen über Hepatitis C, klärt über gängige Mythen auf, wie die Befürchtung, die Krankheit sei durch pures Anfassen übertragbar, und liefert am Ende Adressen und Tipps für die Behandlung.

So weit, so hilfreich. Doch leider ist Jörg Böckem kein begnadeter Autor: Sein erstes Buch lebte von der dramatischen Fallhöhe zwischen bürgerlichem Leben und Heroinsucht, sein Hepatitis C-Blog von der Schnelligkeit und den Interaktionsmöglichkeiten des Internets.

Im Buch, geballt auf über 255 Seiten, liest sich die Behandlungsgeschichte zunehmend zäh und beschwerlich. Der Kranke kreist um sich und seine Körperfunktionen, seine Lebensweisheiten werden banal ("an den Tod werde ich mich wohl nie ganz gewöhnen"), auf überraschende Bilder oder Sprachkraft wartet man vergeblich. Warum nicht mal ein Sachbuch schreiben? Der Sache der Hepatitis C-Aufklärung wäre damit gut gedient gewesen - nicht jeder Blog taugt zum Roman.

Rezensiert von Susanne Billig

Jörg Böckem: Freitags Gift - Tagebuch einer Therapie
DVA, München 2009
Gebunden, 255 Seiten, 17,95 Euro