Protestieren für Anfänger

Jennifer Walker gibt Workshops in zivilem Ungehorsam

Demonstranten mit Plakaten gegen die Politik von US-Präsident auf der Pennsylvania Avenue in Washington D.C.
In Washington demonstrierten am Samstag wieder tausende Menschen gegen die Politik von US-Präsident Trump. © AFP / Molly Riley
Moderation: Max Oppel · 07.02.2017
Kann aus dem Protest gegen Donald Trump eine neue Bürgerrechtsbewegung entstehen? Das wollen wir von Jennifer Flynn Walker wissen. Seit vielen Jahren engagiert sie sich für Aids-Kranke - und sie gibt Workshops in zivilem Ungehorsam.
Trump hat das Geld und die Macht. Sie haben das Herz und die Ausdauer. Was immer der neue Präsident der Vereinigten Staaten anpackt, allerorten formiert sich Widerstand in der Bevölkerung. Familien feiern auf Flughäfen, Frauen gehen auf die Straße, Künstler auf die Barrikade - die US-Amerikaner entdecken den zivilen Ungehorsam.

Eine Veteranin des organisierten Protests ist Jennifer Lynn Walker. Seit über 20 Jahren engagiert sich die Aktivistin für Aids-Kranke. Nichts ist für die andere Seite beängstigender als eine gut strukturierte, disziplinierte Gegenbewegung, sagt Jennifer Lynn Walker. Um noch mehr Menschen zu ermutigen, das Recht zu schützen, indem man an seine Grenzen geht, gibt sie Workshops in zivilem Umgehorsam.

Das Interview im Wortlaut:
Max Oppel: Donald Trump erfüllt, was er versprochen hat: Per Dekret versucht er, seine rechtsnationale Weltsicht in Politik zu gießen und die Demokratie auszuhebeln. Mit bisher geringem Erfolg, muss man sagen. Weder spielt die Justiz mit noch die Amerikaner, die Tag für Tag für ihren Präsidenten auf die Straße gehen. Wir haben hier im Kompressor schon über die mögliche neu entstandene Bürgerrechtsbewegung gesprochen, deren Erfolg von ihrer Ausdauer abhängen wird und von der Organisation. Und jetzt wollen wir wissen, wie Verweigerung eigentlich genau funktioniert.
Wie ziviler Ungehorsam zum Ziel führen kann, wie es Martin Luther King oder auch Gandhi vorgelebt haben und wie dabei Kunst und sozialer Protest ineinandergreifen. Jennifer Flynn Walker ist ein Profi auf diesem Gebiet. Sie ist Mitgründerin von "Vocal NY", seit über 20 Jahren kämpft sie für bessere Lebensbedingungen von Aids-Erkrankten und sie gibt Workshops in Sachen ziviler Ungehorsam. Ms. Walker, wie sehen Sie denn die Proteste gegen Trump, besonders gegen das Einreiseverbot gegen Muslime, das zu einem Chaos an den Flughäfen geführt hat. Erleben wir hier schon zivilen Ungehorsam, der eine breite Bewegung auslösen kann oder schon ausgelöst hat?
Jennifer Flynn Walker: Auf jeden Fall – wir sehen, dass die große Mehrheit der Amerikaner an Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit glaubt. Und bereit ist, sich gegen das Gesetz zu stellen, wenn es sein muss. Wir haben erst zweieinhalb Wochen Trump im Amt. Und jetzt am Wochenende sind trotz der Gerichtsentscheidung gegen das Einreiseverbot viele Leute zum Flughafen gekommen, einfach um ein Zeichen zu setzen.

"Wir treten für unsere Rechte ein"

Auch der Women's March war ein klares Signal, die Leute sagen zu Trump: Wir treten für unsere Rechte ein – wir sind aufmerksam. Das sind Organisationen wie "Make the road by walking”, "Drum” oder die "New York Imigration Coalition”, aber auch sehr viele Leute, die einfach nur fragen: "Wohin sollen wir gehen?” – und dann zu den internationalen Flughäfen gegangen sind - und das ist erst das zweite Wochenende! Die Leute sind also bereit, mehr zu tun: sie blockieren Straßen, setzen sich hin und sagen: Wir nehmen es nicht hin, dass hier ungerechte Dinge passieren.
Oppel: Und ist dieser Protest schon gut genug organisiert? Hat der schon eine Struktur, die ausreicht, damit die Leute bereit sind für den nächsten Schritt, wenn Donald Trump seine nächsten Maßnahmen ankündigt und durchsetzen will?
Jennifer Flynn Walker: Wir haben landesweit viele kommunale Organisationen, die seit Jahrzehnten Leuten beibringen, wie man richtig protestiert. Die Infrastruktur ist da. Und besonders in den letzten Jahren gab es eine nationale Vernetzung dieser Gruppen, zum Beispiel durch das "Center for Popular Democracy" oder "People‘s Action" – die haben im Blick, was auf nationaler Ebene passiert und sagen, wie man dann lokal dagegen vorgehen kann. Diese Gruppen haben Pläne in der Schublade für das, was wir den "Fight back" nennen. Ich weiß aber nicht, ob das alles ausreicht – ob wir diesen Kampf jetzt schon gewinnen können, ob wir eine Widerstandsbewegung haben, die sich geschlossen gegen diese Politik stellen wird.

Man muss die Leute an ihre Möglichkeiten erinnern

Oppel: Ms. Walker, linke Intellektuelle wie zum Beispiel Judith Butler sagen, jetzt müsse ganz viel Kreatives entstehen, anhaltender Protest, um Erfolg gegen die Trump-Agenda zu haben. Sie geben ja Workshops in zivilem Ungehorsam, zivilem Widerstand. Was sagen Sie den Leuten jetzt? Was sollen sie tun, um diesen Erfolg herbeizuführen?
Jennifer Flynn Walker: Also, im Wesentlichen erinnern wir die Leute daran, was sie für Möglichkeiten haben. Die meisten haben von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in der Schule gehört, von den schönen Reden und den großen Demonstrationen. Aber wir erklären ihnen, dass das ein realer Kampf ist, der auch ungemütlich werden kann – dass man raus muss aus der Komfort-Zone, sich gegen Ungerechtigkeit einsetzen muss. In den Workshops geht es vor allem darum, den Leuten Sicherheit zu geben.
Ich plädiere für absolute Gewaltlosigkeit: Keine Scheiben einschlagen, keine körperliche Auseinandersetzung. Statt jemanden zu schlagen, stelle ich mich ihm entgegen, wenn er kommt, um meinen muslimischen Nachbarn zu verhaften. Ich absorbiere damit die Aggression der Staatsgewalt, ich stelle sie öffentlich bloß. Je gewalttätiger ein Regime ist, desto schwächer wird es durch einen gewaltlosen Gegner, daran glauben wir. Wir lehren Disziplin, Kontrolle, wir rufen, singen, schreien, recken die Faust, oder marschieren in totaler Stille: Das macht dem Gegner am meisten zu schaffen. Oder wir feiern. So wie an den Flughäfen, das war eine unglaublich gut organisierte Aktion, das war kein Chaos, das war Struktur.

"Die Trump-Leute haben praktisch alles Geld der Welt"

Oppel: Sie sagen also, es gibt diese Proteststrukturen schon. Aber wir wissen ja noch nicht, ob die jetzige Bewegung nachhaltig sein wird. Braucht es da möglicherweise einen charismatischen Anführer wie Martin Luther King seinerzeit, um das ganze Land zu motivieren und zu mobilisieren?
Jennifer Flynn Walker: Naja, wir hatten noch viele weitere charismatische Führer damals – und heute haben wir sogar noch mehr davon. Aber sie haben von der Bürgerrechtsbewegung gelernt, dass es verwundbar macht, eine Figur an der Spitze zu haben, die alles überstrahlt. Denn wenn diese Person ausfällt – ermordet wird wie damals - schadet das der Bewegung enorm. Ich bin zum Beispiel kein Führer, ich bin ein Soldat. Und die Anführer achten darauf, viele Menschen um sich zu haben – so kann man die Bewegung nicht einfach enthaupten.
Oppel: Was brauchen Sie jetzt genau, um den Punkt zu erreichen, der diese Proteste zu einer nachhaltigen Bürgerrechtsbewegung macht?
Jennifer Flynn Walker: Was wir brauchen, naja, wir haben einen unglaublich mächtigen Gegner, die Trump-Leute haben praktisch alles Geld der Welt – und was wir brauchen, ist Unterstützung, auch finanzielle, das ist klar. Wir haben nur einen Bruchteil der Mittel zur Verfügung, wir haben also nicht die nötige Infrastruktur, um eine nationale Bewegung durch zu finanzieren, wir müssen auf die einzelnen Initiativen und Protest-Bündnisse vertrauen, sie müssen wir unterstützen.
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