Protestantismus

Tristesse und Reformation

Das Elternhaus von Martin Luther(1483-1546), aufgenommen am 12.06.2014 in Mansfeld (Sachsen-Anhalt) während der Pressevorbesichtigung zur Lutherausstellung "Ich bin ein Mansfeldisch Kind".
Das Elternhaus von Martin Luther in Mansfeld (Sachsen-Anhalt) © picture alliance / dpa / Jens Schlueter
Von Adolf Stock · 22.06.2014
Das Reformationsjubiläum rückt näher und Mansfeld macht sich hübsch für 2017. Denn Reformator Martin Luther hat Kindheit und Jugend in dem Örtchen in Sachsen-Anhalt verbracht. Wie gehen die Mansfelder von heute mit ihrem historischen Erbe um?
Frohe Kunde für Luther-Fans und andere, die Lust haben, all die wichtigen und nicht so wichtigen Orte seines Lebens persönlich zu entdecken: Jetzt steht neben Schmalkalden und dem berühmten Wittenberg auch Mansfeld auf der Agenda.
Mansfeld im Mansfelder Land, eine halbe Stunde westlich von Halle, Kernland der Reformation und zu Luthers Zeiten ein wohlhabender Ort. Heute herrscht hier Tristesse pur. Wer noch einmal sehen will, was die DDR den Städten und ihren Bewohnern angetan hat, kann es hier hautnah erleben. Die Autos und ihre Kennzeichen sind selbstverständlich neu. ML steht auf den Nummernschildern. ML für Martin Luther?
Andreas Hain: "Ja, Mansfelder Land, das ist klar. Ja, mit Luther wird hier viel in Verbindung gebracht. Man hört es ja immer öfter im Radio und Fernsehen, och nee, nee. Man hört's und sieht's, ja okay, aber. Ja , ja man kommt zurecht."
Andreas Hain ist Mitte 50. Er steht auf der Lutherstraße beim Rathaus und erzählt von seinem Mansfelder Leben. Für Luther ist da nicht viel Platz. Für Andreas Hain ist der Reformator kein wirklicher Held. Warum auch? Politisch niemals aufmüpfig sein und stattdessen auf das Ewige Leben hoffen - diese theologische Botschaft, jenseits von Luthers Gegenspieler Thomas Münzer - fällt bei vielen Mansfeldern auf keinen fruchtbaren Boden.
Die Luthers waren eine Aufsteigerfamilie
Martin Luther wurde am 10. November 1483 im benachbarten Eisleben geboren. In Mansfeld hat Luther seine Kindheit und Jugend verbracht. Hier steht sein Elternhaus, und hier hat er die Stadtschule besucht, bevor er zur weiteren Ausbildung nach Magdeburg zog. Das erzählt Stefan Rhein, Leiter der Luther-Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt.
Stefan Rhein: "Es ist eine Aufsteigerfamilie, und Martin Luther war auch einer, der nach oben wollte. Er sollte in die Fußstapfen einer dynamischen Familie treten, und erst sein - wie soll ich sagen - sein Erweckungs-, Bekehrungserlebnis in Stotternheim hat aus diesem tatkräftigen Juristen einen frommen Reformator gemacht."
Auf einem Feld bei Stotternheim, in der Nähe von Erfurt, wäre Luther beinahe von einem Blitz erschlagen worden. Zum Ärger seines Vaters gelobte er damals, Mönch zu werden, und ging zu den Erfurter Augustinern.
Stefan Rhein: "Hier in Mansfeld kommt man dem kleinen Martin Luther ganz nahe. Ja wir können sogar dem spielenden Kind zuschauen, denn wir haben das Kinderspielzeug in einer Abfallgrube gefunden."
Ohne die Abfallgrube würde es das neue Museum nicht geben. Jetzt werden auf 600 Quadratmetern über 200 Exponate gezeigt. Die Hälfte von ihnen sind archäologische Funde, die 2010 bei der Sanierung von Luthers Elternhaus ans Tageslicht kamen. Nicht nur Essensreste, auch eine wertvolle Gürtelschnalle. Jetzt werden die Funde wie Reliquien ausgestellt.
Kurator Christian Philipsen: "Man könnte es noch stärker machen, man könnte jetzt sagen, das hatte Luther jetzt hier in der Hand, soweit gehen wir nicht, dann wäre es wirklich eine Berührungsreliquie. Das sind einfach Dinge aus dem Umfeld der Familie, aber natürlich: Unsere Besucher interessiert vor allem die Person Luther."
In der Ausstellung werden vor allem Fakten präsentiert: Die Familie aß Singvögel und besaß teure Kleider. Das Innenleben Luthers lässt sich so nicht ernsthaft ergründen. Wie war Luther als Kind? War er altklug? Oder war er ein unbändiger Bub, der die Gassen unsicher machte? Und wie hängt das alles mit seiner Karriere als Reformator zusammen? Stefan Rhein sucht nach einer Antwort.
"Mansfeld ist für Luther auch der Beginn einer religiösen Erziehung, er war hier Ministrant, er hat hier im Chor gesungen, denn Schule und Kirche sind ganz eng verknüpft, hier in Mansfeld sogar räumlich, sie sind benachbart."
An jeder Ecke ist Renovierungsbedarf
Stefen Jufztzak: "Wir sind ja dabei zu renovieren, es wurde erst einmal angefangen das Dach dicht zu machen, das war ja erst einmal das Wichtigste, damit es nicht durchregnet."
Stefan Jufztzak steht in der Mansfelder Stadtkirche, die dem Heiligen Georg gewidmet ist.
"Jetzt werden die Fenster gemacht, und da kommen zwei neue Fenster rein, ... So, das sind die beiden Fenster, die kommen da rein, sogenannte Rasterfenster, so gepixelt, soll darstellen, wie der kleine Luther in die Schule getragen wird."
Wohin das Auge schweift, zur großen Orgel mit den vielen Pfeifen, zu den wunderbaren Bildtafeln entlang der Empore oder zur Kanzel, an jeder Ecke und Kante ist Renovierungsbedarf. Doch gerade deshalb besitzt der Raum eine unvergleichliche Aura: Das war Luthers Gotteshaus! Hier hat Luther gepredigt, wenn er später wieder in Mansfeld war. Und plötzlich ist man dem Reformator ganz nah.
Ein paar Häuser weiter hat es sich Charlotte Torger an einem geöffneten Fenster gemütlich gemacht. Die über 90-Jährige blickt auf den kleinen Platz mit dem Lutherdenkmal bis hinüber zum Rathaus.
Charlotte Torger: "Gucken Sie mal, wir haben keine Geschäfte hier, wir sind nur alte Leute. Wir können kein Auto mehr fahren. Wir haben den Rollator, aber sonst bin ich mit meinem Mansfeld zufrieden. Ich komme gut mit meinen Leuten da drüben aus, ich nehme Pakete für rundrum an. Na ja, Luther, gucken Sie mal, ich bin geborene Wittenbergerin, und Wittenberg ist Lutherstadt. Mansfeld hier, ja, Mansfeld passt sich jetzt schon an, die passen sich an, aber ich sage mir, da unten, da bauen sie schon so lange dran, schon ein paar Jahre."
In Mitteldeutschland wird gebaut und renoviert
Vom Rathaus sind es nur ein paar Schritte bis zum renovierten Elternhaus und dem neu gebauten Museum, das mit seiner geschlämmten Plattenbauästhetik in der tristen Umgebung gar nicht groß auffällt.
Noch wird vor der Tür gepflastert. Innen ist schon alles fertig. Hier zeigt der Bau seine Qualitäten. Das Berliner Büro "Anderhalten Architekten" hat eine geschickte Raumfolge komponiert, mit einem lichten Eingangsbereich und repräsentativen Ausstellungsflächen unter einer abwechslungsreichen Dachlandschaft.
In der Eingangshalle steht Bürgermeister Gustav Voigt. Er ist ein echtes "Mansfeldisch Kind" und ein echter Lutheraner, getauft und konfirmiert.
Gustav Voigt: "Mansfeld ist bisher ja eigentlich im Kreise der Lutherstätten etwas im Schatten gewesen, mit diesen Funden 2013 hat sich das ja etwas geändert. Und so sehen wir uns hier in Mansfeld eigentlich als dritte Säule des Luther-Gedenkens hier in Sachsen-Anhalt, und wir erhoffen uns, dass wir natürlich im Bereich Tourismus eine gewisse Entwicklung nehmen werden."
Eine Hoffnung, die jetzt viele Städte haben, wo Luther einmal gewesen ist. In ganz Mitteldeutschland wird gebaut und renoviert. Von der Wiege bis zur Bahre wird Luther museal betreut. Ob in Eisleben oder Wittenberg, ob in Erfurt oder Eisenach - überall lässt sich auf den mehr oder weniger authentischen Spuren Luthers wandeln.
Jetzt also auch Mansfeld als neuster Mosaikstein des Luthergedenkens, das erst 2017 seinen medialen Höhepunkt erreicht. Ob das Luther wirklich gefallen hätte, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Das Programm des Themenjahres:
Reformationsjubiläum 2017