Protest-Hochburg Dresden

Warum Pegida weiterhin wächst

Aufnahme von einer Pegida-Kundgebung am 5. Januar
Aufnahme von einer Pegida-Kundgebung am 5. Januar © imago stock&people
Von Nadine Lindner · 12.01.2015
Pegida ist vor allem in Dresden stark - auch wenn dort am Wochenende 35.000 Menschen für Weltoffenheit demonstrierten. Warum ausgerechnet hier? Auf der Suche nach Erklärungen bei Demonstranten, Politikern und Wissenschaftlern.
Zitate/ Umfrage: "Es wird immer gesagt, dass Dresden ausländerfeindlich ist. Aber das ist nicht richtig."
"Wir wollen zeigen, dass Dresden anders ist, dass wir mehr sind, als die am Montag."
Samstag, 10. Januar in Dresden. Landesregierung und Oberbürgermeisterin haben zu einer Kundgebung für Weltoffenheit aufgerufen. 35.000 Menschen sind nach Angaben der Veranstalter dem Appell gefolgt.
Stadtoberhaupt Helma Orosz, CDU:
"Ich habe mich entschieden, an einem so geschichtsträchtigen Ort zu stehen, weil ich nicht zulassen werde, dass Extremisten, egal in welchem Namen sie die Welt verändern wollen, mein Denken, mein Handeln beherrschen werden."
Ob Oberbürgermeisterin oder Demonstranten: Dresden ist nicht – oder nicht nur Pegida. Das wollen sie sagen.
Anti-Pegida-Demonstranten in Dresden mit Warnwesten und Besen. Dresdner Künstler fegten am 5. Januar 2015 mit einem Kehraus - einem Neujahrsputz - den Platz der Pegida-Kundgebung symbolisch sauber.
Seit Dresdner Künstler Anfang Januar mit einem Neujahrsputz den Platz der Pegida-Kundgebungen symbolisch sauber fegten, tragen Gegendemonstranten Warnwesten als Erkennungszeichen.© imago/epd
Es sind keine einfachen Tage hier, denn viele Dresdner haben das Gefühl, dass ihre Stadt nur noch in einem Atemzug mit dem Islam-Gegnern genannt wird, dass die Gegen-Aktionen hinten runter fallen.
Doch die Zahlen, gerade vom letzten Montag sprechen eine relativ eindeutige Sprache: 18.000 Menschen sind in der sächsischen Landeshauptstadt für Pegida auf die Straße gegangen, 4000 beteiligten sich an der Gegenaktion, dem symbolischen Neujahrsputzputz. Die orangefarbenen Warnwesten gelten seitdem als Symbol des Protests gegen Pegida. Auch am Samstag tragen sie einige der Demonstranten, die zur Kundgebung gekommen sind.
Wie erklären sich die Teilnehmer der Kundgebung für Weltoffenheit und Toleranz, dass die Islamgegner in ihrer Stadt so stark sind?
"Das kann ich nur aus dem Bauch und ganz subjektiv beantworten: ich denke, dass es den Dresdnern allgemein sehr gut geht. Wir sind recht fern von anderen Problemen anderer Menschen, die auf der Flucht sind. In anderen Teilen Deutschlands ist eine Toleranz gewachsen. Die sind es gewohnt, dass Menschen aus anderen Ländern in ihrem Alltag bei ihnen präsent sind. Das ist in Dresden noch nicht gewachsen."
Reporter: "Glauben sie denn, dass es ein ostdeutsches Phänomen ist, wie es ja manchmal gedeutet wird?"
"Ja. Ich denke, dass hier jeder noch glaubt, er muss vorwärts kommen. Ich muss was haben. Da sitzt uns die Wendezeit im Nacken, wo jeder für sich gucken konnte, dass es ihm gut geht, sich ne Existenz aufbauen, dieses abzugeben ist ein Thema."
Montag für Montag das gleiche Bild
Seit Oktober ist es Montag für Montag das gleiche Bild. Erst wenige Hundert, dann Tausende gehen gegen die Islamisierung Deutschlands auf die Straße.
Zudem kritisieren sie den ihrer Ansicht nach vorherrschenden Asylmissbrauch in Deutschland.
In einer ersten Dialogveranstaltung in der Landeszentrale für politische Bildung sprechen Befürworter über ihre Motive, zur Pegida zu gehen:
"In den vergangen vier Jahrzehnten hat der Islam die Welt verändert. Und das nicht zum Guten."
"Ich gehe zur Pegida, weil es nicht sein kann, wie die Politiker mit uns Bürgern umgehen, gerade auch in der Asyl-Politik."
Auch Hass auf Politiker und Journalisten kommt immer wieder zum Ausdruck bei den Pegida-Demonstrationen.
Die Pegida-Themen scheinen speziell in Dresden besonders gut anzukommen. Jedenfalls war das Verhältnis zwischen Sympathisanten und Gegnern auf den Kundgebungen hier anders als in vielen anderen deutschen Städten. Aber warum? Diese Frage treibt derzeit fast alle in der sächsischen Landeshauptstadt um. Kaum ein Gespräch, kaum ein Interview gibt es ohne, dass man noch einen Moment zusammensitzt und sich austauscht. Ob Journalisten, Politikwissenschaftler oder Landespolitiker, alle haben in den vergangenen Wochen Erklärungen formuliert.
Kerstin Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik in der Linken-Landtagsfraktion in Sachsen, aufgenommen 2012.
Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik in der Linken-Landtagsfraktion in Sachsen. Sie glaubt, dass sich die Demonstranten von der Politik nicht mehr vertreten fühlen.© picture alliance / ZB / Michael Reichel
Eine von ihnen ist Kerstin Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik in der Linken-Landtagsfraktion in Sachsen. Sie sieht eine erste Erklärung in der niedrigen Wahlbeteiligung. Bei der Landtagswahl im August 2014 machte nicht einmal jeder zweite sein Kreuz auf dem Wahlzettel, es waren nur 49,2 Prozent. Für Köditz ein Zeichen der Entfremdung.
"Bei der Wahlbeteiligung haben wir eine Zahl in der Hand, wo wir sehen, wie sich die Bürger mit der parlamentarischen Demokratie noch identifizieren. Wir treffen jetzt bei Pegida die Nichtwähler wieder. Sie fühlen sich von den parlamentarischen Gepflogenheiten nicht mehr vertreten. Politik ist abgehoben in ihren Augen. Politik kümmert sich nicht mehr um sie. Warum sollen sie sich noch an Wahlen beteiligen?"
Diese Unzufriedenheit, die dann in Wahlenthaltung gemündet sei, speise sich aus frustrierenden Erfahrungen mit der Landespolitik, sagt die Oppositionspolitikerin. So sei in den letzten Jahren die Politik der Schulschließungen durchgezogen sowie eine umstrittene Polizeireform angestoßen worden. Beides gute Projekte für die Landeskasse, doch auf Kosten des Vertrauens der Bürger:
"Genau das ist das Problem. Eigentlich. Wir haben Schulschließungen en masse. Jetzt sollen noch die Flüchtlingskinder mit in die Schulen. Da ist nicht das Flüchtlingskind das Problem, sondern das Geld, was im Freistaat Sachsen angefasst wird, um die Strukturen bis Bildung personell ordentlich auszustatten."
Vorwurf: Linke Demonstranten in Sachsen kriminalisiert
Zu diesen konkreten Problemen kommt noch eine Besonderheit der politischen Kultur im Freistaat Sachsen hinzu: Der feste Glaube daran, dass sich Links- und Rechtsextremismus nur an den Rändern der Gesellschaft, jenseits einer breiten demokratischen Mitte entfalten. Dazu kommt das Verständnis, dass beide in gleicher Weise für die Gesellschaft gefährlich seien.
Das sei vor allem bei den Demonstrationen rund um den 13. Februar zum Ausdruck gekommen. Der 13. Februar steht in Dresden für die Bombardierung der Stadt 1945 durch die Alliierten. Neonazis haben jahrelang mit Demos an die deutschen Opfer erinnert. Es dauerte sehr lange, bis sich in Dresden ein breites Bündnis dagegen formiert hatte. "Sächsische Demokratie", so nannte es der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, SPD, einst. Und meinte damit: Nazis werden geschützt, linke Gegendemonstranten kriminalisiert.
Diesen Eindruck teilt auch Volkmar Zschocke, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Sächsischen Landtag:
"Bürgerinnen und Bürger, die sich für eine demokratische Kultur eingesetzt haben oder für Flüchtlinge, haben sich einer kritischen Beobachtung ausgesetzt bis hin zu dieser unsäglichen Extremismuserklärung<ins cite="mailto:Lindner,%20Nadine%20[X]" datetime="2015-01-12T11:24">.</ins>"
Die oft wiederholte Argumentation, dass Demonstrationen gegen Nazis potentiell linksextrem seien, hätten viele Dresdner verunsichert, die dann lieber doch zu Hause blieben.
Ausnahme Dresden: Konservative Grundstimmung in Großstädten unüblich
Dass Pegida ausgerechnet in Dresden so stark ist, hat auch ein paar rein praktische Gründe, glaubt Werner Patzelt an der TU Dresden und derzeit gefragter Erklärer der sächsischen Politik:
"Für die Zuwanderungsproblematik interessieren sich Leute, die sich als Rechts empfinden, bzw. nicht als Links oder mittig. Dafür braucht es einen Resonanzboden mit konservativer Grundstimmung. Und wenn man auf die Landkarte schaut, dann wird man nicht so viele Großstädte mit einer nicht-linken Grundstimmung finden, im Grunde eigentlich nur Dresden."
Pegida sei ein ostdeutsches Phänomen, sagt Politikwissenschaftler Werner Patzelt.
"Die ostdeutsche Gesellschaft wurde durchgewirbelt, und will jetzt zur Ruhe kommen. Sie freut sich nicht darüber, dass jetzt ist die nächste Transformationsstufe dran ist, mit der Steigerung des Ausländeranteils auf westdeutsches Niveau."
Was also tun? Das ist neben der Frage, warum ausgerechnet hier, das zweite Rätsel mit dem man sich in Sachsen gerade herumschlägt. Reden, Dialogs suchen, vor allem mit den Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen. Letzte Woche gab es eine erste Veranstaltung in der Landeszentrale für politische Bildung. Das ist der richtige Weg.

Hören Sie in der Sendung "Länderreport" zudem ein Interview mit Dierk Borstel, Rechtsextremismusforscher an der Fachhochschule Dortmund, über die Unterschiede der Pegida-Bewegung von Bundesland zu Bundesland.

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