Protest gegen strenge Asylbedingungen

Günter Burkhardt im Gespräch mit Joachim Scholl · 26.09.2012
Mit einem einmonatigen Marsch von Würzburg nach Berlin wollen Flüchtlinge gegen ihre schwierigen Lebensbedingungen protestieren: Residenzpflicht, Arbeitsverbot und Heimunterbringung. Günter Burkhardt von der Organisation Pro Asyl unterstützt die Aktion: "Es ist ein Akt der Verzweiflung."
Joachim Scholl: Am 15. September sind sie aufgebrochen, von Würzburg aus hat sich ein Häuflein Asylbewerber und Unterstützer auf einen Protestmarsch begeben, quer durch Deutschland bis nach Berlin. Sie riskieren viel, denn ihr Zug verstößt schon gegen eine Asylbedingung, gegen die die Menschen protestieren: Eigentlich müssen sie gesetzlich dort verbleiben, wo sie untergebracht sind.

Im Studio begrüße ich jetzt Günter Burkhardt von der Organisation Pro Asyl, die die Aktion aktiv unterstützt. Willkommen im "Radiofeuilleton"!

Günter Burkhardt: Guten Tag!

Scholl: Ist dieser Marsch, Herr Burkhardt, ein Akt der Verzweiflung, oder ein Ausweis eines neuen Selbstbewusstseins von Menschen, die sich unwürdig behandelt fühlen?

Burkhardt: Beides. Es ist ein Akt der Verzweiflung, in dem man los geht aus einer Situation, die Menschen depressiv macht, die sie krank macht. Wenn ich jahrelang in so einem Lager lebe, isoliert, nicht arbeiten darf, faktisch keinen Zugang habe zur deutschen Gesellschaft, um mich zu integrieren, dann zerstört dies Menschen, es macht sie psychisch kaputt. Und deswegen ist es sehr verständlich und gut, dass Flüchtlinge etwas tun, um hier nicht in der völligen Verzweiflung zu verharren.

Also ein Akt der Verzweiflung. Aber auch für einige eine konsequente Fortführung ihres politischen Engagements im Herkunftsland. Es sind Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen flohen, die politisch aktiv waren und hier erleben, dass sie isoliert werden in der Gesellschaft, ausgegrenzt werden. Dass sie nicht arbeiten dürfen und dass ihnen Rechte, die jeder Mensch hat, nämlich sich frei zu bewegen, verwehrt werden.

Scholl: Welche Auswirkungen haben eigentlich diese Bestimmungen, zum Beispiel eben diese sogenannte Residenzpflicht?

Burkhardt: Die Residenzpflicht hat ... ist eine Schikane. Es ist für uns unverständlich, warum nicht ein Flüchtling aus einem kleinen Dorf in eine große Stadt ziehen darf, wo er eine Arbeit findet. Der Sinn und Zweck der Residenzpflicht ist, dass der Flüchtling erreichbar ist für die Entscheidung über seinen Asylantrag. Wenn die Flüchtlinge jetzt dagegen protestieren, ist dies sowohl verständlich als auch für sie höchst gefährlich. Denn das ist ein Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht, es wird geahndet.

Und wenn ich jetzt höre, dass einige eine Duldung haben über mehrere Jahre hinweg, dann sind wir irgendwann in dem Bereich, wo wir diskutieren: Die müssen doch unter eine Bleiberechtsregelung fallen. Ich kann doch nicht guten Gewissens Menschen heute nach Afghanistan abschieben oder in den Iran. Und dann kommt der Fallstrick: 50 Tagessätze, 90 Tagessätze, das sind die Strafhürden. Und wenn man drüber ist, dann bekommt man keine Aufenthaltserlaubnis. Von daher bewundern wir das Engagement der Flüchtlinge. Es ist verständlich, es ist gut, dass Menschen ihre Stimme erheben, sie sind ja sonst nicht gehört worden, aber gleichzeitig auch hochgefährlich für sie.

Scholl: Es ist noch nicht lange her, da haben wir der Ereignisse vor 20 Jahren in Rostock-Lichtenhagen gedacht, als die Asylbewerberheime brannten. Inwieweit hat sich eigentlich, Herr Burkhardt, die Situation der Asylbewerber verändert? Oder ist das, so wie Sie es auch beschreiben, politisch im Grunde noch der gleiche Stand?

Burkhardt: Nein, wir haben Veränderungen, und zwar die brutalste Veränderung ist, dass Deutschland das Problem exportiert hat. Wir haben die Last, die damit verbunden ist, Menschen aus Kriegsgebieten aufzunehmen, exportiert auf Staaten wie Griechenland. Das ist das Hauptzugangsland nach Europa und nach den europäischen Gesetzen verantwortlich für die Durchführung von Asylverfahren. Flüchtlinge aus dem Iran, aus Syrien, Afghanistan fliehen über Istanbul nach Europa, betreten Griechenland und dort sollen sie bleiben. So ist die Logik der europäischen Gesetze. Und wir haben heute in Griechenland Jagden von Rechtsextremisten, die auch im Parlament sitzen, Übergriffe, brutaler Mob, der tobt. Das ist dort der Fall.

In Deutschland hat sich die Stimmung verändert. Wir reden darüber, dass die Gesellschaft überaltert, es gibt immer mehr Zugänge zum Arbeitsmarkt, die Zug um Zug geschaffen werden. Es ist schon ein Stimmungsumschwung da, dass die Gesellschaft hier sich nicht mehr so abschottet, und dass man weiß, auf Dauer braucht Deutschland Einwanderung. Und da sind natürlich auch Flüchtlinge willkommen.

Scholl: Der Protestmarsch der Flüchtlinge, Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Günter Burkhardt von Pro Asyl. Kommen wir noch mal jetzt auf den konkreten Flüchtlingsmarsch, Herr Burkhardt: Die Behörden der Städte und Regionen, durch die der Marsch zieht, greifen ja nicht ein, wie man hört, in dem Sinne, dass sie eben die Asylbewerber zurückweisen oder sie eben auch sogar festsetzen, was sie gesetzlich ja eigentlich machen müssten, weil sie die Residenzpflicht verletzen. Man winkt sie durch mit Wohlwollen, man versorgt sie auch. Was ist das für eine Haltung, so im Sinne von: Lass sie mal weiterziehen, das nächste Bundesland hat sie dann an der Hacke?

Burkhardt: Ich glaube, hier ist ein bisschen, menschelt es. Man hat das Gefühl: Eigentlich haben sie recht. Und die Gesetze sind unrecht, um es aus unserer Sicht so deutlich zu formulieren. Es ist schikanös, wie sie behandelt werden, das spürt auch eine Bevölkerung, das spürt auch ein Lokalpolitiker. Und man darf auch nicht vergessen, wir haben ja auch eine Situation in den neuen Bundesländern, wo sie durchziehen, wo wir ein handfestes Problem mit der NPD haben, mit Rechtsextremisten, die unverhohlen oder kaum verhüllt aufrufen, vorzugehen gegen Asylsuchende, "kreative Aktionen" titelte die NPD in einem Aufruf ...

Scholl: Jetzt gegen diesen Marsch, also die Rechtsradikalen haben ...

Burkhardt: ... gegen diesen Marsch, ja ...

Scholl: ... schon die Fäuste geballt. Wie gefährdet sind die Menschen Ihrer Beobachtung nach?

Burkhardt: Bisher haben wir hier eine Gefährdungslage, die nicht genau abschätzbar ist. Es ist ja zum Glück so, dass es hier Unterstützende gibt, die mitgehen. Und was wir bisher wissen, ist, dass, sagen wir mal, auch eine Polizei an der Stelle die Protestaktion duldet. Das hat natürlich auch eine kleine abschreckende Wirkung, aber in Erfurt sind Rechtsextremisten hingegangen und haben die Demonstration gestört. Und das ist eine Aktion, die wir auf keinen Fall in einer demokratischen Gesellschaft tolerieren können!

Scholl: Der jetzige Protestmarsch hat ja auch die Vorgeschichte, dass sich in Würzburg ein Asylbewerber aus Verzweiflung das Leben genommen hat. Danach haben sich in verschiedenen Städten, deutschen Städten Protestcamps formiert, es gab Hungerstreiks bis hin zu, ja, solch drastischen Aktionen, dass sich Asylbewerber buchstäblich den Mund zugenäht hatten als Aktion. Gibt es denn irgendeine politische Reaktion inzwischen auf diese Bewegung?

Burkhardt: Politisch wird die Aktion eher totgeschwiegen. Es ist so, dass man peinlich berührt wegschaut, wenn man von solch drastischen Aktionen hört. Das sind auch Aktionsformen, die in unserer Gesellschaft fremd sind, anstößig sind. Sie sind ein Ausdruck des Protestes und der Verzweiflung. Politisch ist gelockert worden diese Residenzpflicht, in vielen Bundesländern, sie dürfen sich dann in dem Bundesland frei bewegen. Aber ein Flüchtling, der von mir aus in Halle wohnt, kann nicht sagen, ich bin qualifiziert, in meiner Heimat war ich im Bereich Elektrotechnik tätig, jetzt habe ich in Düsseldorf einen Job, da ziehe ich hin. Das ist ihm verwehrt! Und das ist irrsinnig!

Scholl: Protest gegen Asylbedingungen, der Marsch der Flüchtlinge. Wir haben die Meinung von Günter Burkhardt gehört, von Pro Asyl, der Organisation, die die Sache der Flüchtlinge unterstützt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Burkhardt!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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