Protest

Ballern oder leben

Das ehemalige "Bombodrom" in Brandenburg
Das "Bombodrom" konnten die Bürger verhindern, das Areal - hier gut zu erkennen - wird heute nicht mehr militärisch genutzt. © dpa picture alliance
Von Ludger Fittkau, Axel Flemming und Michael Frantzen · 29.07.2014
Ob in Brandenburg oder in der "Serengeti Ostwestfalens": Der Krieg ist in manchen Regionen noch lange nicht vorbei. Bombenabwurfplatz oder Schießstand direkt neben einem Kloster, es formiert sich Widerstand in der Bevölkerung. Viele Bürger sind dagegen - manche aber wollen den Kampflärm vor der Haustür.
Streit um Mega-Schießzentrum in der Eifel
von Ludger Fittkau
"Wenn man sich mittags hinlegt und die Fenster sind geschlossen, dann hört man dieses Ballern. Es stört mich. Ich habe sowieso Probleme, weil ich nachts nicht so lange schlafen kann, deswegen lege ich mich mittags mal hin. Und das stört dermaßen, dass man innerlich kocht und dann sagt: Ne, es geht nicht."
Emmi Sommer stammt aus Düsseldorf. Vor Jahrzehnten ist sie in die Eifel gezogen, weil sie Ruhe suchte. Doch die hat sie nicht gefunden.
"Und jetzt kommen wir hier rein: Da ist die Autobahn, später gebaut. Die Kiesbaggerei und jetzt noch dieser Schießstand dazu."
Schon jetzt gibt es einen Schießstand ein paar hundert Meter von Emmi Sommers Haus entfernt - am Rande des Eifelortes Landscheid. Doch die Kugeln fliegen dort bisher nur an zwei Tagen in der Woche. Nun will ein Investor an dieser Stelle eine Art Schützen-Freizeitpark samt Hotel bauen, eine Mega-Anlage:
"Landscheid würde in seiner Gesamtheit sicherlich auch in Rheinland-Pfalz eine Einmaligkeit darstellen, die für uns beste Trainingsvoraussetzungen bietet."
...schwärmt Peter Clemens, Landesobmann für das Schießwesen im Landesjagdverband Rheinland-Pfalz. Der Verband will mehrere tausend Jäger hier üben lassen:
"Es sind vorgesehen Jagdparcoursstände. Es sind Wurfscheibenstände vorgesehen. Es sind Kugelstände vorgesehen in allen Variationen inklusive laufendem Keiler. Und es ist ein Schießkino vorgesehen."
Schießkino heißt: Man sitzt im Kinosaal und ballert auf eine Leinwand, über die gefilmte Wildschweine flitzen. Eine gute Übung für Drückjagden im Herbst, sagt der Landesjagdverband Rheinland-Pfalz. Und der Lärm bleibt im Kinosaal. Bei den Wurfscheibenständen im Freien sieht die Sache aber anders aus. Damit die Investitionen in die Anlage sich lohnen, soll täglich geschossen werden können. Gerade davor graut es vielen Anwohnern:
"Das ist ja nicht so, dass die abends mal schießen. Die schießen sieben Tage in der Woche!"
"Von morgens bis abends. Muss man sich mal vorstellen."
"Dreitausend Schuss pro Tag."
"Himmerod, ich meine, die wandern dort. Dieses Schießen hört man doch überall."
Himmerod – so heißt das fast 900 Jahre alte Zisterzienser-Kloster, das drei Kilometer von der geplanten Schießanlage entfernt liegt. Thomas Simon ist Vorsitzender des Kloster-Fördervereins. Der IT-Unternehmer Simon hat ehrenamtlich mitgeholfen, die Abtei zu retten, als sie vor einigen Jahren vor der Insolvenz stand. Jetzt sammelt er mit einer Online-Petition Unterschriften gegen die geplante Schießanlage. Denn im Gästehaus von Himmerod übernachten viele Menschen, die Ruhe suchen. Auch der jetzige Schießstand ist da schon eine Belastung, so Thomas Simon:
"Definitiv. Es gibt Stand heute etliche Gruppen, die eine Woche lang im Kloster sind, die sich zu einer Fastenwoche treffen. Und die immer auch mal zwei halbe Tage Wanderungen in der Region haben. Da ist natürlich der Eifelsteig entweder von Himmerod aus in Richtung Manderscheid oder von Himmerod aus in Richtung Bruch ein sehr bevorzugter Weg, weil es auch landschaftlich ein sehr schöner Weg ist. Und da weiß ich auch heute schon von Gruppen, die darüber berichten, wenn sie heute mittwochs oder samstags wandern, das es zu enormen Lärmbelästigungen kommt. Das ist mir mehrmals persönlich berichtet worden, mit E-Mail berichtet worden und liegt auch im Kloster vor."
Auch ohne Mega-Schießanlage bereits lärmgeplagt
Die neue Schießanlage werde jedoch leiser sein als die alte, versichert der Landesjagdverband. Auch Anwohner und die Gäste des Klosters Himmerod werden davon profitieren, glaubt Jäger-Schießobmann Peter Clemens:
"Wenn wir jetzt an die Emissionen denken ist geplant, dass die Kugelstände sehr stark abgeschirmt werden, also keine Lärmemissionen emittieren. Die Schrotstände sind sicherlich einmalig in ihrer Planung in Deutschland, weil man hier die Möglichkeit hat, den Bleieintrag in die Umwelt auf Null zu reduzieren. Man kann das verschossene Blei, die Bleischrote wieder aufnehmen und durch entsprechende bauliche Maßnahmen und Maßnahmen in der Schussrichtung. Und so werden hier die Emissionen für die Anwohner, zumindest laut der Gutachten, die wir haben, deutlich reduziert."
Aber die Menschen, die in den Dörfern rund um die geplante Mega-Schießanlage leben, sind lärmgeplagt. Auch die noch vergleichsweise neue Autobahn von der Mosel Richtung Lüttich sowie der US-Militärflughafen Spangdahlem zerren bereits sehr an den Nerven der Dorfbewohner in Landscheid und Umgebung.
Bauer Hartwig Lautwein hat deshalb ein mehrere Meter langes Transparent gegen das geplante Schießzentrum auf einer Wiese am Straßenrand aufgehängt und auch im laufenden Genehmigungsverfahren Widerspruch eingelegt:
"Ja, das wird ein gigantischer Schießstand und wir sind schon belastet. Durch die Autobahn, da haben wir 48 Dezibel. Durch den Flugplatz, wir sind Lärmschutzzone 2, haben wir noch mal 48 Dezibel. Und jetzt kommt noch der neue Schießstand. Die Lebensqualität ist gleich Null."
Dennoch entschied sich die Mehrheit des Gemeinderates in Landscheid für den Bau der neuen Schießanlage. Auch deswegen, weil man sich eine wirtschaftliche Belebung für den Ort erhofft. Der Landesjagdverband Rheinland-Pfalz schürt diese Hoffnung. Schießwesen-Obmann Peter Clemens hält sogar Schützen-Europameisterschaften in Landscheid nicht für Jägerlatein:
"Wir haben bisher in Deutschland keinen Schießstand, auf dem man eine solche Veranstaltung machen könnte. In dem geplanten Ausbau in Landscheid wäre das natürlich gegeben. Und wenn man dann sieht, dass dann 250 und 300 Leute aus ganz Europa in so eine Region kommen. Da wird die Gastronomie gefördert, da werden die Hotels benötigt. Das kann der Schießstand allein nicht bieten. Das bietet die Region. Von daher könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass das auch für die Region einen Vorteil bringt.
Bauer Hartwig Lautwein hält die Meisterschaftsträume des Landesjagdverbandes durchaus für realisierbar, sollte die Anlage in den geplanten Dimensionen kommen:
"Ja, möglich ist das. Wir hatten ja schon mal internationales Wettschießen, Tontaubenschießen. Aber das war quasi im Jahr ein Mal. Aber wenn man jetzt im Jahr 364 Tage – der Karfreitag ist der einzige Tag, wo man nicht schießen darf. Ich weiß nicht, ob das förderlich ist für die Eifel. Man macht ja immer Werbung mit der Ruhe in der Eifel, ob das dann förderlich ist? Und es ist ja auch so: Für ein paar Schützen müssen hier die Leute leiden. Die kommen hier hin in die Eifel, schießen ihre paar tausend Schuss und fahren dann wieder nach Hause. Aber wir haben den Lärm praktisch von morgens Sonnenaufgang bis abends Sonnenuntergang.
Das Kloster aus der Schusslinie halten
Könnten Sportschützen und Jäger, die für Großveranstaltungen rund um das neue Schießzentrum Unterkunft und Verpflegung suchen, womöglich auch eine Chance für das Gästehaus des Klosters Himmerod sein? Thomas Simon vom Förderverein der Abtei winkt ab:
"Ich glaube nicht, dass Himmerod davor groß profitiert und ich glaube auch nicht, dass Himmerod davon profitieren will. Himmerod möchte Gäste, die die Kernelemente und die Wesensmerkmale von Himmerod schätzen. Das ist die Ruhe bis hin zur Stille. Das ist das kontemplative Angebot. Das meditative Angebot, das Angebot zu Exerzitien. Und da bin ich mir nicht sicher, ob sich das damit verträgt, dass dort morgen internationaler Schießtourismus unterwegs ist."
Thomas Simon will vor allem das Kloster Himmerod aus der Schusslinie halten. Doch darüber hinaus hält der IT-Unternehmer den Konflikt um die Schießanlage für einen Richtungsentscheid, wenn es um die Zukunft des Eifeltourismus geht:
"Die Konfliktlinie ist sanfter Tourismus versus Tourismus, der Geräusche und Lärm mit sich bringt, Und hier sind in erster Linie die politisch Verantwortlichen – vor allem die Ortsgemeinden - gefordert zu sagen, in welcher Art wollen wir unsere Region weiter entwickeln."
Doch es sieht nicht danach aus, als ob der Streit um die Pläne für das neue Schießzentrum in Landscheid bald geschlichtet werden könnte. Die Planungen laufen weiter, Anwohner legen Widerspruch ein. Geschossen wird auch – vorerst weiterhin an zwei Tagen in der Woche.
Freie Heide statt Bombodrom
von Axel Flemming
Birken und Kiefern, Silbergras und Heide, Ginster und Gestrüpp. Lothar Lankow steht auf einem platten Hügel:
"Hier ist vorgesehen, dass wir einen Aussichtsturm errichten, der es gestattet, dass wir eine Höhe erreichen, dass wir die Sichtachsen nach Westen und nach Osten soweit ausdehnen, dass wir mindestens 3-4 Kilometer in jede Richtung schauen können.“
Lankow ist Projektbetreuer der Heinz Sielmann Stiftung für die Kyritz-Ruppiner Heide. Die Stiftung des verstorbenen Tierfilmers hat vor zwei Jahren etwa 4000 Hektar im Süden des ehemaligen Truppenübungsplatzes übernommen. Aber das ist nur ein Drittel des Areals. Lankow kann sich vorstellen, weitere Flächen als Nationales Naturerbe zu erhalten.
"Professor Sielmann hat gesagt, je größer die Fläche, je zusammen hängender die Fläche, umso günstiger für den Naturschutz. Und das ist einer der Hauptpunkte, den wir hier haben: Wir haben Unzerschnittenheit, wir haben keine Straßen, die durch unser Gelände gehen, und aus diesem Grund ist gerade unser Gelände hier im Süden so interessant, weil Sie diese beeindruckende Größe an Heideflächen haben und das zweite sind die Kiefern-Monokulturen, die wir hier haben.“
Heide ist eine Kulturlandschaft. Überlässt der Mensch sie der Natur, wächst sie zu, würde in 20 Jahren wieder zum Wald. Christoph Licht, Revierleiter der Bundesforstverwaltung, pflegt die Heide deshalb durch kontrolliertes Abbrennen:
"Es geht ja darum, gewisse Strukturen zu schaffen. Und das Ziel dieser Heidepflege durch Brennen ist nicht, 100 Prozent der Fläche abzubrennen, sondern so zwischen 70 und 80 Prozent der Heidefläche abzubrennen. Hier sehen Sie überall auch alte Stellungen, die sollen natürlich stehen bleiben, da haben Sie wieder Strukturelemente, wo eine Zauneidechse oder so was auch wieder ihr Refugium findet. Darum geht’s ja bei dieser ganzen Sache.“
Weiter nördlich gibt es noch den so genannten Feldherrenhügel, von dort oben betrachteten die sowjetischen Militärs ihre Manöver, von dort hat man einen idealen Überblick über das ganze Gelände. Eigentlich ein idealer Platz, um auch an den Widerstand zu erinnern, den die Anwohner den Bombodrom-Plänen entgegensetzen.
Fehlwürfe, Flugzeugabstürze - das hat man alles durch
Benedikt Schirge, Pfarrer in Zühlen am Rande der Kyritz-Ruppiner Heide, engagierte sich von Anfang an gegen die Pläne der Bundeswehr, die nach Abzug der sowjetischen Armee im Jahre 1992 über dem Gelände zu Übungszwecken Bomben abwerfen wollte, die Heide zum größten Luft-Boden-Schießplatz in Deutschland ausbauen. Über 17 Jahre lang rangen Schirge und seine Mitstreiter der Bürgerinitiative "Freie Heide“ in endlosen juristischen Auseinandersetzungen um das Areal, Party und Protest, fantasievoll luden sie zum Wandern oder Baden ein, ließen Drachen steigen.
"Das haben wir ja seit '45 an erlebt, also jahrzehntelang, Krach, Krach und Angst vor Bombenabwürfen, Fehlwürfe, Flugzeugabstürze und alles solche Sachen, haben wir alles durchgehabt. Dass direkt bei uns im Ort Flugzeuge abgestürzt sind, Bomben gefallen sind, haben wir alles durch.“
"Tiefflugschau gratis, auch nachts, außer Sonnabend/Sonntag. Eigentlich fehlte noch inklusive Betriebsferien.“
Am 9. Juli 2009 gab Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung die Pläne auf. Schirge konnte die lang erwarteten Worte sagen:
"Die Heide ist frei. Wir haben mit der Kraft der vielen Leute die sich im Sommer 1992 versammelt haben und die dann immer mehr Leute an ihre Seite gebracht haben, auf den Weg mitgenommen haben, wir haben es geschafft."

Den damaligen Brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck überraschte die Nachricht auf einer touristischen Sommertour am Scharmützelsee:
"Also mich hat die Meldung eben erreicht. Ich hab mich sehr gefreut. Und zwar für alle Menschen im Norden Brandenburgs, im Süden Mecklenburgs. Aber ganz speziell für die vielen, vielen Aktivisten, die über anderthalb Jahrzehnte in der Bürgerinitiative freie Heide dafür gekämpft haben."

Die "Freie Heide“ hat sich inzwischen längst aufgelöst. Benedikt Schirge ist nicht mehr Sprecher, er arbeitet nur noch als Pfarrer in der Region. Seelsorge statt Bürgerinitiative.
“Es gab Leute, die das schade fanden, dass die Protestwanderungen nicht mehr als ein regelmäßiger Treff dienten. Es war auch schön, da auch immer wieder Leute, die man sonst nicht traf, zu sehen. Aber insgesamt sind wir schon sehr zufrieden, dass es sich so entwickelt hat und wir können dann auch gut damit leben dass wir nicht mehr gefordert sind.“
Die Kyritz-Ruppiner Heide ist nun zwar frei vom Militär, längst aber nicht frei zugänglich.
Millionen an Blindgängern liegen herum
"Lebensgefahr - Kampfmittel! Betreten und Befahren verboten" warnen Schilder rund um das Gelände. Denn dort liegen geschätzt über 1,5 Millionen nur schwer erkennbare Blindgänger: Bomben, Granaten und Minen, Munition die bei Übungsflügen versehentlich abgeworfen wurde. Experten haben größere Abschnitte geomagnetisch untersucht und prüfen in 520 Testfeldern, was dort wirklich im Boden liegt. Lothar Lankow:
"Das hier war kein Zielgebiet, sondern das war der ‚rückwärtige oder logistische Raum‘ für die übende Truppe. Leider ist es aber so, dass das kein Freibrief ist für Munitionsfreiheit. Weil gerade auch in der Abzugsphase der russischen Streitkräfte wurde natürlich auf viel verbuddelt, was man nicht mitnehmen wollte.“
Für die Räumung sieht das Land Brandenburg bis 2025 knapp fünf Millionen Euro vor.
Ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Beseitigung der militärischen Altlasten kostet pro Quadratmeter etwa einen Euro – macht bei 12.000 Hektar fast 1,2 Milliarden Euro.
Die Sielmann-Stiftung will wenigstens einen kleinen Teil des Geländes zugänglich machen.
Ausgewählte Wege in die Heide sollen von dafür geschulten Kutschern befahren werden können, bisher muss ein Kampfmittelexperte dabei sein; auch Wandern und Rad fahren sollen möglich sein. Lothar Lankow:
"Hier ist die Vorstellung so: der Weg wird geräumt, der ist munitionsfrei, dann wird rechts und links zu Lasten der Sielmann-Stiftung ein so genanntes Testfeld in bestimmten Abschnitten sondiert und untersucht, damit man schlussfolgern kann: finde ich dort was Besonderes. Finde ich dort nichts, dann kann ich Rückschlüsse ziehen, dass auch die Zwischenflächen nicht insbesondere stark belastet sind.“
Info- und Warntafeln müssen noch installiert werden, Holzpoller sollen die sicheren Abschnitte kennzeichnen, ein zusätzlicher Sicherheitsstreifen von fünf bis zehn Metern soll gewährleisten, dass ein kleines Geschäft hinter dem nächsten Baum nicht explosive Folgen hat.
"Wir drücken die Daumen"
Neuglienicke, das kleine Dorf bei Rheinsberg soll Ausgangspunkt für die Kutschfahrten sein. Klaus Keil hat das Kleine Waldhaus schon dafür hergerichtet, er könnte 50 Besucher bewirten:
"Wir können ja noch nicht so, wie wir wollen und wir drücken die Daumen, dass das bald vorwärts geht.“
Überdachte Holztische und Bänke warten im Hof auf ihren Einsatz, gebaut als Arbeitsfördermaßnahme im nahe gelegenen Wittstock. Sie sollen Wanderern als Schutzhütten dienen, wenn das Gelände mal freigegeben ist. Keil freut sich, dass der jahrzehntelange Widerstand erfolgreich war, auch wenn er weiter Geduld braucht:
"Sie haben ja gesehen, es hat funktioniert. Bloß die weitere Fortsetzung jetzt, die kam jetzt ins Stocken. Die Pläne, die existiert haben zur friedlichen Nutzung, da braucht man Geld für. Und es ist eigentlich erst vorwärts gegangen durch die Sielmann-Stiftung. Da hoffen jetzt die ganzen Anrainer, die eventuell noch an Tourismus verdienen könnten, dass dadurch die Sache etwas schneller geht.“
Die Senne in Ostwestfalen
von Michael Frantzen
"Die Senne darf nicht sterben.“
Das ist Herr Neisens. Herr Neisens ist in der CDU. Ein Konservativer also. Als solcher will der Anzugträger, dass alles so bleibt wie es ist. Zumindest in Hövelhof, der Gemeinde am Rande der Senne – der bizarren Sand-Landschaft, die man mit etwas Phantasie auch in Afrika verorten könnte. Doch das hier ist Ostwestfalen. Da der Ostwestfale an und für sich und Udo Neisens im Speziellen stur ist, legt er sich schon mal mit "denen da oben“ an. Besonders, wenn "der da oben“ auf den Namen Johannes Remmel hört, grüner Landes-Umweltminister ist und sich die Idee in den Kopf gesetzt hat, aus der Senne einen Nationalpark zu machen. Das geht gar nicht. Findet Herr Neisens und schüttelt in seinem pikobello aufgeräumten Büro bei der Sparkasse den Kopf.
"Weil ein Nationalpark würde die Senne, so wie wir sie kennen, völlig verändern und ein ganz anderes Landschaftsbild ergeben.“
Allein schon die Vorstellung, alles dem Wechselspiel der Natur zu überlassen – in sogenannten "Prozessschutzflächen“: Schlimm!
"Diese Prozessschutzflächen bedeuten, dass diese Bereiche von Einflüssen der Menschen verschont werden sollen. Typischerweise gehört aber zum Landschaftsbild der Senne die Offenlandfläche, die Heidefläche. Und diese Flächen sind nur durch die Pflege des Menschen, durch die Pflege der Heidschnucken entsprechend selber zu erhalten. Wenn man sich die Senne so selbst überlässt, wird die Senne zu wuchern, zu wachsen mit entsprechendem Gestrüpp.“
Nicht auszudenken. Dann lieber die "Tommies“ – die britische Armee. Die durchpflügt seit einer halben Ewigkeit mit ihren Panzern die Senne – wenn sie nicht gerade in "Kampfdörfern“ den Häuserkampf in Afghanistan probt. Für den normalen Hövelhofer ist die Senne "off bounds“: Zutritt verboten. Doch das könnte sich bald ändern: 2018 will die "Rheinarmee“ den Truppenübungsplatz aufgeben. "Schade eigentlich“ – findet Herr Neisens. Da der Vorsitzende der Hövelhofer CDU selten um eine Idee verlegen ist, hat er auch schon eine Alternative parat: Übernimmt halt die Bundeswehr das Kommando.
"Ein Nationalpark ist keine Alternative"
"Die militärische Nutzung der Senne hat überhaupt das Landschaftsbild so erhalten wie wir es heute kennen. Insofern wünschen wir uns hier eine weitere militärische Nutzung. Zudem mit Augustdorf haben wir einen der größten militärischen nordrhein-westfälischen Standorte der Bundeswehr. Rund um den Truppenübungsplatz gibt es sehr, sehr viele Menschen, die von diesem Truppenübungsplatz profitieren. Und ein Nationalpark ist keine Alternative für diese Menschen.“
Das sehen nicht alle so – in der Serengeti Ostwestfalens.
"Wir befinden uns hier am Rand des Truppenübungsplatzes Senne. Und vorhin hat man die Feldgrille gehört. Was man jetzt wieder hört. Dieses Zirpen.
Das ist typisch. Hier ist das größte Feldgrillengebiet in Nordrhein-Westfalen.“
Das ist Herr Tornede. Herr Tornede ist nicht in der CDU, sondern im NABU. Ein Umweltschützer also. Als solcher will Dirk Tornede genau das, was Udo Neisens nicht will: Einen Nationalpark.
"Die Senne ist der größte zusammenhängende Raum hier in Nordrhein-Westfalen, der unzersiedelt ist; dass hier ne alte Kulturlandschaft erhalten geblieben ist: Die Heidelandschaft mit Sandmagerrasen, mit Gehölzen und Heideflächen. Und daher ist die Senne aus Naturschutzsicht der wertvollste Raum, weil hier auch noch so viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten vorkommen.“
Lauter seltene Arten. Das Torfmoosknabenkraut etwa. Oder das Braunkehlchen. Plus eine weitere Spezies, die bisweilen keinen Spaß versteht.
"Ja. Das ist von der Wache des Truppenübungsplatzes. Da klingelt was. Die haben schon gemeldet, dass hier Leute stehen.“
"Das kann sein.“
"Dass wir hier stehen.“
"Dass das gemeldet wird. Ja, ja. Das könnte sein; dass jetzt gleich ein Ranger kommt und sagt: Sie müssen jetzt sofort einsteigen und weiterfahren.“
Britisches Wachpersonal, das auf der Lauer liegt: Markus Förster, der Mitstreiter von Dirk Tornede, kennt das schon. Die "Tommies“ sind nicht die einzigen, die ihm Scherereien bereiten. Da sind nämlich noch die Nationalpark-Gegner. Der 1,90 Meter-Mann seufzt leise, ehe er aufs Gaspedal drückt. Die Sache mit dem Zuwuchern etwa: Völliger Quatsch. Weil: Auch in einem Nationalpark würde die Senne gehegt und gepflegt.
Herr Ruth ist Wutbürger
"Die Pflege stellt ja auch gerade in den Heideflächen die große Artenvielfalt sicher. Das heißt die Pflege muss weiter bezahlt werden. Und wer soll das dann am Ende bezahlen, wenn das Militär geht, wenn nicht das Land? Und dafür muss man auch die richtige Naturschutzkategorie haben. Und das ist im Landschaftsschutzgesetz verankert mit dem Nationalpark.“
Theoretisch. Praktisch wird die Senne wohl fürs erste ein Potemkinscher Nationalpark bleiben. Dass das so ist, hat mit der Übermacht der "Pohlbürger“ zu tun – der Alteingesessenen, die wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Er hier ist einer von ihnen:
"Wir überlegen wie wir weiter vorgehen. Weil: Das Thema ist ja nie abgeschlossen.“
Das ist Herr Ruth. Herr Ruth ist Wutbürger. Als solcher hat er viel zu tun; besonders auf seinem Hof in Schlangen. Es ist Montag-Abend, kurz nach sieben. Ein, zwei Stunden noch – dann wird die Sonne hinter den Hängen des Teutoburger Waldes untergehen. Andere haben längst Feierabend, seine Kollegen in Detmold etwa, wo er als Werkzeugbauer arbeitet. Doch der knorrige Mann mit dem zupackenden Händedruck legt jetzt erst richtig los. Jürgen Ruth stapft Richtung Wiese. Statt Kühen oder Schafen erwarten einen dort mehrere meterhohe Wälle, die sich bei näherem Hinsehen als Brennholz entpuppen. 25 Jahre macht er das mit dem Brennholzverkauf jetzt schon.
"Es wird gefragt noch und nöcher. Man merkt es ja auch am Export. Die Chinesen versuchen auch hier jeden Baumstamm zu kriegen. Und die heimische Industrie, vor allem die Sägewerksindustrie, die schreit ja hinterm Holz her. Das ist schon immens was da an Arbeitsplätzen hinter steckt. Es sind ja auch die Arbeitsplätze im Werk und die die fertigen Produkte wieder wegfahren. Das ist ja die ganze Logistik, die dahinter steckt. Das sind auch Arbeitsplätze. Das wird man nie im Nationalpark mit Tourismus erreichen.“
Bis zur Senne sind es von Jürgen Ruths Brennholz-Eldorado nur ein paar Kilometer. Er kennt sie in- und auswendig. Als Jugendlicher ist er über den Truppenübungsplatz gestreift – auch auf die Gefahr hin, irgendwelchen britischen Soldaten in die Arme zu laufen. Die Zeiten sind vorbei. Heute hält sich der Workaholic brav an die Regeln – und Absperrungen. Ist ja auch nicht so, als ob die Senne 365 Tage im Jahr abgeriegelt wäre. Ab und zu lassen die Engländer Fünfe gerade sein – und Herrn Ruth und andere Besucher rein.
Die Welt ist wieder in Ordnung
"Wenn die Senne so im Tau, im Nebel, liegt. Oder wenn man von Hövelhof kommt und die Sonne hier überm Teutoburger Wald aufgeht und in die Senne reinschaut. Oder im Winter: Wenn die Landschaft so ganz leicht mit Frost überzogen ist: Das kann man einfach nicht beschreiben, das muss man mal gesehen haben.“
Bei aller Umwelt-Lyrik: Ein Umweltschützer ist Jürgen Ruth nicht. Im Gegenteil: Wirtschaft geht vor Umweltschutz – lautet sein Glaubenssatz Nummer eins. Das haben nicht nur die Herren Tornede und Förster erfahren müssen, sondern auch NRW-Umweltminister Remmel und der Lipper Landrat Frieder Heuwinkel, ein CDU-Mann, der mit den Grünen im Landkreis koaliert. Wollten alle den Nationalpark – nicht nur in der Senne, sondern gleich auch noch in Teilen des Teutoburger Waldes. Doch da hatten sie die Rechnung ohne den ostwestfälischen Wutbürger gemacht. Anfang 2012 gründete der Holzhändler eine Bürgerinitiative; erstattete Strafanzeige, trommelte für eine Demonstration in Detmold 2000 Teilnehmer zusammen – trotz "Mistwetters“, wie er stolz verkündet. Ein Jahr später hatte Herr Ruth sein Ziel erreicht: Remmel und Heuwinkel gaben klein bei. Die Welt – sie ist wieder in Ordnung, im Ostwestfälischen.
"Wir sind froh und stolz, dass wa’s geschafft haben – erst Mal. Aber wir dürfen da nicht ruhen. Man wird das immer weiter versuchen.“