Prostitution

Die Probleme mit dem geregelten Verkehr

Eine Prostitutierte steht am 18.02.2014 in der Dudweiler Landstraße in Saarbrücken (Saarland).
Eine Prostituierte auf dem Straßenstrich in Saarbrücken © dpa / Oliver Dietze
Von Heiner Dahl · 02.03.2015
Das liberale deutsche Prostitutionsgesetz von 2002 erkennt bezahlte Sexarbeit als legal an. Doch Reizvokabeln wie Großbordelle, Flatrate-Sex und Zwangsprostitution haben sie wieder in den Fokus politischer Debatten gerückt.
Stefan Rabel: "Wir werden als CDU hier in Völklingen, aber auch in Saarbrücken nicht eher Ruhe geben, bis die Eigentümer, die Betreiber und die Kunden eines Bordells keine Freude an ihrem Freudenhaus mehr haben werden."
Uschi: "Ich arbeite schon lange in dem Gewerbe. Hab damals in dem Gewerbe natürlich auch angefangen, weil man in diesem Job viel Geld verdienen kann und hab im Laufe der Jahre durch dieses Unkomplizierte, wie man dieses Leben führt und gestaltet, natürlich Gefallen dran gefunden. Und aus diesen Gründen führe ich dieses Leben oder diesen Job weiter."
Stefan Rabel: "Ein Bordell in dieser Größenordnung zieht Kriminalität nach sich und mit sich."
Völklingen Mitte Dezember 2014. Vor dem Rathaus der saarländischen 40.000-Einwohnerstadt demonstrieren Politiker, Mitglieder einer Bürgerinitiative und rund hundert Bürger gegen ein geplantes Großbordell.
Stefan Rabel: "Wir wissen, dass die Frauen, die in solchen Einrichtungen arbeiten müssen, gezwungen werden, und das ist nichts, was unsere Kinder mit ansehen sollten, wenn sie in Völklingen aufwachsen." (Beifall)
Stefan Rabel, Fraktionsvorsitzender der regierenden CDU im Stadtrat, gibt sich wissensfest und siegessicher:
"Wir werden mit uns allen gemeinsam dafür sorgen, dass es kein Bordell in Völklingen in dieser Größenordnung geben wird. Dafür werden wir kämpfen und wir werden unser Ziel gemeinsam erreichen."
Wenige Monate, nachdem eines der größten Bordelle Deutschlands im benachbarten Saarbrücken eröffnet worden ist, soll nun das nächste in Völklingen seine Dienste anbieten. Die lokale Politikerprominenz quer durch die Parteien demonstriert Volksnähe mit Botschaften gegen Sexarbeit und Kriminalität. Die kommen bei den Demonstranten gut an. Viele sehen ihr anständiges Leben bedroht.
Zwei Demonstrantinnen: "Da werden Leute illegal beschäftigt, wir werden 'ne größere Kriminalität bekommen, Drogenhandel, Werteverlust. Ja, Kriminalität und Sichtbarkeit dieses Sexlebens. Wir haben vor allem Angst natürlich um die Sicherheit unserer Kinder, um die Sicherheit unseres Eigentums, meine Kinder müssen da vorbei zum Schulbus. Von den Leuten, die man nicht kennt, mal ganz abgesehen, das sin alles Fremde, die da nachher sich rumtreiben."
Die Momentaufnahme im saarländischen Völklingen offenbart ein rechtspolitisches Dilemma. Beim Kampf gegen Prostitution stehen Politiker gerne auf der Seite besorgter Bürger. Aber nicht immer auf dem Boden geltenden Rechts. In Völklinger Fall ist das offenkundig. Das geplante Bordell liegt in einem Gewerbegebiet und kann deshalb dort völlig rechtmäßig betrieben werden. Der CDU-Oberbürgermeister Klaus Lorig, selbst Jurist, weiß das nur zu gut:
"Ich bin auch hier bei der Demonstration, um deutlich zu machen, dass wir als Verwaltung dieses Objekt nicht wollen, dass wir leider aber einen Bebauungsplan haben, der vom Stadtrat beschlossen ist und der auch genehmigt ist, von daher uns nur nach diesen Kriterien richten müssen. Wir sind dabei zu prüfen, ob wir eine solches Projekt verhindern können. Wenn uns auch rechtlich die Hände gebunden sind."
Eine normale Frau mit Tochter und Eigenheim
Uschi: "Viele wollen mit diesem Gewerbe nix zu tun haben. Es steht eigentlich im Endeffekt gar niemand zu dem Thema, was Prostitution betrifft. Es ist eigentlich 'ne Randgruppe, und die wird immer 'ne Randgruppe sein, weil niemand was Positives über diesen Job erzählt hat, nie."
Uschi arbeitet seit knapp drei Jahrzehnten als Prostituierte im Raum Saarbrücken. Ihren richtigen Namen will sie nicht genannt wissen. Sie ist Ende 40, sagt, sie sei eine ganz normale Frau. Mit ihrer zehnjährigen Tochter wohnt sie im Eigenheim. Uschi passt in keines der gängigen Klischees. Weder in das der ausgebeuteten Zwangsprostituierten noch in das der medienwirksam auftretenden Vorzeigeprostituierten. Uschi hat vieles erlebt: Barbetrieb, Wohnungs-, Bordell- und Straßenprostitution. In den vergangenen 30 Jahren hatte sie nie Probleme mit den Behörden. Nur der kontinuierliche Verfall der Preise bereitet ihr zunehmend Kummer. Weitermachen will sie dennoch. Mindestens bis sie ihr Haus bezahlt und ihre Tochter einen Beruf hat. Für ihren eigenen wünscht sie sich nur eines: normal behandelt zu werden.
"Vielleicht sollte einfach mal net so viel Negatives immer nur in den Medien gebracht werden, sondern vielleicht auch mal en paar positivere Sachen. Dass es auch noch Frauen gibt, die diesen Job ausüben und gar keine Zwangsprostitution haben, sondern normales Leben führen, was ja die wenigsten vielleicht wissen. Und dass die Bevölkerung en bisschen über so normale Alltag einer Sexarbeiterin informiert wird, der genauso ist wie der der Anderen."
Uschi hat zuerst in München gearbeitet, ist dann über Stuttgart und Karlsruhe ins Saarland gekommen und heimisch geworden. Sie sagt, wegen der unkomplizierten Lebensart in der Grenzregion. Niemand habe sich hier groß an ihrem Job gestört. Doch seit kurzem spürt Uschi zunehmenden Druck durch die Politik:
"In den Nachrichten ist gekommen, wir gehen massiv dagegen vor und es soll abschreckend sein für die Frauen, diesem Job nachzugehen. Und dann frag ich mich, wo ist die Legalität, wo ist es nicht mehr sittenwidrig?"
"Saarland: Großes entsteht immer im Kleinen." 2014 hat das kleinste deutsche Bundesland mit seinem neuen Slogan eine Imagekampagne gestartet. Politiker wollen damit des Saarlands spezifische Attraktivität herausstellen. Reiner Zufall oder böses Schicksal, fast zeitgleich dazu hat das kleine Land große Schlagzeilen gemacht. Als erste deutsche Adresse für Prostitution:
Das Saarland − die deutsche Hochburg der Prostitution
Saarbrücken − die Hauptstadt der Prostitution
Saarbrücken − deutsche Puff-Hauptstadt
Das Beispiel Saarland und die damit einhergehende Medienbegleitung verdichten die Diskussionen um Prostitution in Deutschland wie in einem Brennglas.
Schlagzeilen wie "Deutschland − das Bordell von Europa“ haben das Gewerbe vom Tabu- zum Aufregerthema werden lassen. Quer durch die Parteien geben sich Politiker bundesweit besorgt, nicht wenige auch empört. Im Saarland zeigt sich Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer vor der versammelten Landespresse als Vorkämpferin gegen eine fehlgeleitete Prostitutionspolitik:
"Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass das Prostitutionsgesetz, so wie es von Rot-Grün auf den Weg gebracht wurde, sicherlich gut gemeint war. Es war ja eigentlich gedacht zu einer gewissen Ent-Illegalisierung der Prostitution und damit auch der Prostituierten und einer damit einhergehenden Verbesserung ihrer persönlichen Situation. Und ich glaube, man braucht heute nicht mehr darüber zu streiten, weil das alle Experten einem bestätigen: Es hat das Gegenteil bewirkt."
Schutz in der Sexarbeit, nicht vor der Sexarbeit
Harriet Langanke: "Grundsätzlich halte ich das Prostitutionsgesetz für einen absolut richtigen Schritt in die richtige Richtung. Ich erlebe leider immer wieder, dass es im politischen Raum, ja ich sag mal, mehr Meinung als Wissen gibt, mehr Haltung als wirklich Fakten. Und da fehlt uns noch ganz, ganz viel an Forschung, um zu zeigen, dass es natürlich sehr viel klüger ist, Politik zu machen, politische Entscheidungen zu treffen, wenn ich sie wissensbasiert mache."
Harriet Langanke ist eine ausgewiesene Expertin in Sachen Prostitution. Sie hat die gemeinnützige Stiftung "Sexualität und Gesundheit" gegründet, ist Mitglied in verschiedenen Fachgesellschaften und arbeitet seit 2010 an einem universitären Forschungsprojekt über Sexarbeit:
"Ich komm ja zu der Arbeit im Bereich Sexarbeit vor dem Hintergrund von 30 Jahren Erfahrung. Und was wir am Beispiel von Aids und HIV gelernt haben zum Umgang mit Sexualität von Menschen, zeigt, dass Aufklärung, Information, Strukturen verbessern, sehr viel mehr wirksam ist, als etwas zu verbieten. Und deswegen halte ich es für richtig, das Prostitutionsgesetz mit seinem Ansatz zu unterstützen und die Folgegesetzgebung so zu gestalten, dass sie diesem Gedanken des Gesetzes, nämlich zum Schutz in der Sexarbeit und nicht vor der Sexarbeit, also diesem Schutz zu dienen."
Blick in einen Raum des "Artemis", einem Bordellbetrieb mit Wellness-Oase in der Nähe des Kurfürstendammes in Berlin
Blick in einen Raum eines Bordellbetriebs in Berlin© picture alliance / Marcel Mettelsiefen
Das Leitmotiv des Gesetzes von 2001 war ein echter Paradigmenwechsel. Ging es bis dahin immer um den Schutz vor der Prostitution, so sollte es von nun an um den Schutz in der Prostitution gehen. Vorrangiges Ziel war es, Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern bessere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Vor allem die Möglichkeit, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, sollte dazu beitragen. Ein gesetzgeberischer Trugschluss, denn diese Möglichkeit wurde nie wirklich angenommen. Die allermeisten Prostituierten berufen sich auf einen Status als Selbständige. Ob das wirklich immer so ist, weder Experten noch Politiker wissen es genau. Vermutete Abhängigkeitsverhältnisse sind nicht von der Hand zu weisen. Ganz sicher ist aber eines – auch ausweislich des "Lagebildes Menschenhandel" des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 2012: Es gibt keine belastbaren Hinweise dafür, dass mit dem Prostitutionsgesetz Zwang und Menschenhandel zugenommen hätten.
Das hindert heute Politiker nicht daran, landläufige Behauptungen eines Zusammenhangs zwischen dem Gesetz und Auswüchsen bei der Prostitution aufzunehmen und zu verstärken.
Annegret Kramp-Karrenbauer: "Es wird eigentlich von allen Seiten, von Seiten der Selbsthilfegruppen der Frauen, der Prostituierten selbst, von Seiten der Städte und Gemeinden, von vielen, die in diesem Bereich tätig sind, von Seiten der Polizei sowieso schon lange, wird einfach gesagt, so wie das bisher gelaufen ist, kann es nicht weitergehen. Und wir müssen das vom Grunde her ändern."
Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU, setzt auf eindeutige Gegenmaßnahmen: mehr Kontrollen, mehr Verbote, mehr Strafen. Was ihr auf Landesebene rechtlich möglich erscheint, will sie auch umsetzen. Ausweitung der Sperrbezirke, Zwangsuntersuchungen und Meldepflichten für Prostituierte, Kondompflicht und die Bestrafung der Freier. Darüber hinaus wurde das saarländische Polizeigesetz geändert:
"Das bedeutet, es wird in Zukunft die Möglichkeit geben, an Orten, an denen Prostitution ausgeübt wird, anlassunabhängig Personenkontrollen durchführen zu können."
Nach deutschen Polizeigesetzen dürfen Polizeibeamte Personen ohne konkreten Anlass nur an Orten kontrollieren, von denen sie aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte annehmen, dass diese Personen dort schwere Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben. Seit November 2014 steht im neuen saarländischen Polizeigesetz, dass das Gleiche gilt für eine Person…
"… wenn sie sich an einem Ort aufhält, an dem Personen der Prostitution nachgehen."
Welche sachliche Gründe gibt es, Orte, an denen schwere Straftaten verabredet, vorbereitet oder verübt werden, rechtlich mit Orten gleichzusetzen, an denen Prostitution stattfindet? Wie will die saarländische Landesregierung ein "Gefahrenabwehrsonderrecht" verantworten, das an die grundrechtlich geschützte Tätigkeit Prostitution anknüpft? Wie will sie begründen, dass nach diesem Gesetz Polizeibeamten Prostituierte und Kunden zudem ohne Anlass festnehmen und bis zu 12 Stunden festhalten dürfen? Kundgetan hat sie nur eines: Ihr neues Polizeigesetz basiert auf der abstrakten Unterstellung, dass von Prostitution per se eine Gefahr ausgeht.
Wie viel politisches Sachwissen dabei eine Rolle gespielt hat, offenbart die verantwortliche CDU-Ministerin Monika Bachmann bei der abschließenden Abstimmung im saarländischen Landtag:
"Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe heute einen ganz neuen Begriff kennengelernt. Man hat uns hier von Sexarbeiterinnen berichtet. Vielleicht können Sie uns noch erklären, was das ist und wie Sie das definieren."
Langanke: "Was das Wissen und die Kenntnisse im politischen Raum angeht, ist das hochgradig ungleich verteilt."
Harriet Langanke macht beim Thema Sexarbeit zwei große "weiße Flecken“ aus. Auf Seiten der Politiker fehlende Sachkunde, auf Seiten der Sachverständigen viel zu wenig gesichertes Wissen. Ergebnis von beidem ist für sie eine einseitige und verzerrte Wahrnehmung von höchst unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von Prostituierten:
"Was wir sehen, was im Straßenbild sichtbar ist, was in den Medienhäufig sichtbar wird, sind diese Außenränder und nicht das, wo Wissenschaftler hinschauen in der Mitte des Geschehens, wo es deutlich differenzierter zugeht."
Mehr Restriktionen, mehr Kontrollen
Dass Politiker sich lieber an Oberflächenphänomenen abarbeiten, kann man zurzeit erleben. Gerade hat sich die Bundesregierung auf das verständigt, was sie laut Koalitionsvertrag als "grundsätzliche Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes“ versteht. Herausgekommen ist der Entwurf für das sogenannte Prostitutionsschutzgesetz, ein Sammelsurium aus mehr Restriktionen und Kontrollen.
Elke Ferner: "Wichtig ist für uns, dass das alles Regelungen sind, die auch praxistauglich sind, die natürlich auch einer Kontrolle bedürfen. Die Erlaubnispflicht und die Anmeldepflicht usw. nützt uns überhaupt nichts, wenn nicht kontrolliert wird. Und da sind natürlich auch die Behörden vor Ort gefordert, dass die Kontrollen auch durchgeführt werden."
Im federführenden Bundesfamilienministerium hat sich die zuständige Parlamentarische Staatsekretärin Elke Ferner, SPD stark gemacht für ein Gesetz, das die Lage von Prostituierten besonders im Blick hat. Wie viel von deren Lebens- und Berufserfahrungen sind dabei mit einbezogen worden?
"Wir hatten ja 'ne Anhörung, wo auch zwei oder drei, also eine Prostituierte und zwei Bordellbetreiber mit dabei waren, um auch die Sicht mit einzubeziehen, das ist uns dann von Schwarzer und anderen vorgeworfen worden. Aber ich finde, das gehört halt eben auch dazu. Das war aber wie gesagt 'ne Anhörung mit ich weiß nicht mehr, ich glaub' 50 Expertinnen und Experten. Da kann man nicht sagen, dass die jetzt die Anhörung dominiert hätten. Für meine Begriffe haben sie sich da auch nicht sonderlich viel Gefallen getan, aber das ist dann nochmal ein anderes Thema."
Die politischen Beratungen im Vorfeld der Gesetzesreform haben eines deutlich gezeigt: Gesicherte Daten über Zustände oder Missstände bei der Prostitution gibt es kaum. Eigentlich Anlass genug, entsprechende Erhebungen und Forschungsarbeiten zu initiieren. Doch die sind weitgehend ausgeblieben.
Elke Ferner: "Das ist ja eher so ein Thema, was man nicht gerne diskutiert. Da hab ich immer das Gefühl, viele das so en bisschen als schmuddelig ansehen. Das andere ist natürlich, das gehört zur Wahrheit auch dazu, es ist kein Beruf wie jeder andere. Dafür ist auch das Milieu, würde ich mal sagen, eben auch kein Milieu wie jedes andere. Das Rotlichtmilieu ist halt sehr speziell und ist halt auch mit sehr viel Kriminalität verbunden. Und ich glaube, wenn Schwarz und Weiß sichtbarer werden, ist es auch einfacher, die Frauen zu schützen."
Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen nimmt sie für sich in Anspruch, sie sei die Reformen zum sogenannten Prostitutionsschutzgesetz ohne Vorbehalte angegangen. Hinderlich seien viele moralische Bedenken auf Seiten der CDU gewesen. Die hätten manch sinnvolle Reformidee verhindert und andere verschlimmbessert:
"Was die Kondompflicht angeht, das muss ja auch irgendwo kontrolliert werden. Und ich meine, wenn ich sehe, im Saarland haben wir jetzt die Kondompflicht eingeführt, aber sie wird nicht kontrolliert. Und das ist, denke ich, 'ne Regelung zu haben, um nur 'ne Regelung zu haben und sie nicht zu kontrollieren oder eben nicht kontrollieren zu können, damit ist dann am Ende auch niemandem geholfen, das wäre falscher Aktionismus."
Im Saarland sollen Freier bis zu 5000 Euro Strafe zahlen, wenn sie gegen die Gummi-Pflicht verstoßen. Wie Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer die ausfindig machen will, hat sie offen gelassen. Polizeibeamte als "Testfreier“ will auch sie nicht einsetzen. Für Elke Ferner ist das Dilemma um die Kondompflicht als "Schutzmaßnahme für Prostituierte“ ein Beispiel für politischen Aktionismus, der auf Stimmungen im Wahlvolk reagiert.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Rotlichtviertel in Frankfurt© picture alliance / dpa / Salome Kegler
Francesca: "Gesetze bewirken ja auch das Denken der Gesellschaft. Das sieht man auch in den letzten Jahren, wo Prostitution mit Menschenhandel gleichgesetzt wird, wo Prostitution immer negativ dargestellt wird. Dass das anfängt zu kippen, weil die Medien beeinflussen und verstärken ja die Klischees, was die Leute im Kopf haben. Und ich denke, wenn man gute Gesetze macht, also Prostitution gleich behandelt, wie in anderen Branchen, dann wird sich das noch abnehmen, auch noch weit in die Gesellschaft."
Francesca hat als Prostituierte über 30 Jahre Berufserfahrung. Von Frankfurt aus bedient sie Kunden über ihr Internetangebot quer durch die Republik. Sie sieht in der Gesetzesreform vor allem eines: den staatlichen Hinweis, als Prostituierte nicht wirklich dazu zu gehören.
"Mit dem neuen Prostitutionsschutzgesetz, da wird ja zusätzlich zum alten Sonderstrafgesetz, plus Baurecht, plus Sperrgebietsverordnung, plus Meldepflicht – also da bleibt uns kaum noch ein Raum übrig, wo wir legal arbeiten können. Das heißt: Kollegen werden aufhören erst mal, wir werden einfach in die Illegalität gedrängt."
Kein anderer grundrechtlich geschützter Beruf ist in Deutschland annähernd intensiv in ein staatliches Korsett aus Gesetzen gezwängt wie die Prostitution. Deutschland erlaubt sich damit ein fragwürdiges Paradoxon. Obwohl unser Rechtsstaat den Beruf als legal und nicht sittenwidrig definiert, belegt er diejenigen, die ihn ausüben, mit gesetzlichen Restriktionen, die eine klare Gegenbotschaft aussenden.
Francesca: "Was mir natürlich Angst macht, ist diese zunehmende Ächtung, die wieder anfängt, die eine Zeit lang jetzt nicht so gewesen ist. Aber diese Ächtung gegenüber Prostitution, diese neue Gesetzgebung, weil wir werden also, ja, praktisch im Dunkeln arbeiten müssen halt. Das macht mir also schon halt jetzt Angst und Sorgen halt, für die Branche insgesamt."
Alte Gewissheiten wanken
Dass man das Thema Prostitution angemessener und ohne moralische Scheuklappen behandeln kann, haben einige Bundesländern mit "Runden Tischen Prostitution" bewiesen. In Nordrhein-Westfalen mit dem erklärten Ziel, die gesamte Bandbreite sexueller Dienstleitungen mit einzubeziehen und dabei den Ideen- und Erfahrungsaustausch mit Prostituierten ausdrücklich zu suchen. Der außergewöhnliche Aufwand mit 14 Sitzungen, 70 Sachverständigen und vier Jahren Projektarbeit hat Außergewöhnliches hervorgebracht. Vermeintlich unumstößliche Gewissheiten zur Prostitution sind ins Wanken geraten.
Claudia Zimmerman-Schwartz: "Prostitution kann so Unterschiedliches bedeuten. Es kann sogar nahe an der Sozialarbeit sein, was wir uns vorher nie hätten vorstellen können. Tja, da waren wir dann in vielem sehr unsicher. Und jede Erkenntnis brachte neue Fragen mit sich. Oder, dass Menschen aufgetreten sind und gesagt haben: Ja, ich arbeite gerne in diesem Bereich. Ich mache das seit 20 Jahren und das ist für mich ein Beruf, der mich befriedigt. Das hat innere Bilder geradezu mit Getöse einstürzen lassen."
Claudia Zimmermann-Schwartz, Ministerialdirigentin im nordrhein-westfälischen Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter. Sie hat den Runden Tisch über die gesamten vier Jahre geleitet:
"Ich habe gemerkt, dass man eigentlich über Prostitution gar nicht sprechen kann, ohne auch über Sexualität zu sprechen und das ist natürlich ein sehr fragiler Bereich, mit dem man auch behutsam umgehen muss. Ich hab halt schon gemerkt, dass das Bedürfnis, sich nicht auf diese Fragen einzulassen und lieber zu einfachen, klaren Positionierungen zu kommen, offenbar groß ist. Also wenn ich eben sage, Prostitution ist immer Gewalt und verstößt gegen die Menschenwürde und muss verboten werden und die Frauen müssen gerettet werden, dann habe ich eine eindeutige Position, sie ist ethisch unangreifbar, ich bin auf der Seite der Guten und ich muss mich vor allem nicht diesen vielen, vielen schwierigen Abwägungs- und Bewertungsfragen stellen, die eben mit dem ganzen Bereich der Sexualität verbunden sind."
Claudia Zimmermann-Schwartz sagt, ein Hauptergebnis des Runden Tisches war die Einsicht, dass festgefahrene Stereotype das Erkenntnisvermögen in Politik und Gesellschaft enorm beeinträchtigen:
"Ich hab dann irgendwann begriffen, dass die geschätzten zehn Prozent auf dem Straßenstrich und vielleicht noch die in den Bordellen, nicht die Mehrheit sind und hab dann erst mal gelernt, wie groß das Feld ist und dann komm ich natürlich sofort an Definitionsfragen. Was ist denn zum Beispiel mit Telefon-Sex. Oder was ist mit Web-Cam-Sex, ein immer, immer größerer Bereich. Da findet ja keine körperliche Berührung statt, aber da ist natürlich durchaus ein Verkauf einer sexuellen Dienstleistung. Oder, was ist zum Beispiel mit der Sexualbegleitung? Da geht es darum, dass etwa Menschen mit Behinderungen oder älteren Menschen auch eine erfüllte Sexualität durch die Hilfe Dritter ermöglicht wird. Und dann hab' ich gedacht, aber das ist doch auch Prostitution."
Für die komplexe Materie Prostitution kann es nur dann angemessene Gesetze geben, wenn sie auf gesichertem Wissen aufbauen. Genau das hat Claudia Zimmermann-Schwartz bei den aktuellen Reformbestrebungen vermisst.
Zimmermann-Schwartz: "Es ist viel einfacher, wenn ich auf eine andere Ebene gehe, eben auf die Ebene der klaren Positionierung, die dann auch eine klare Lösung, siehe Verbot oder strikte Reglementierung, und am besten macht der Gesetzgeber noch ein paar Normen und dann ist die Welt in Ordnung. Das ist eine sehr verlockende Position und die andere ist unbequem und macht auch Ängste."
Sex gegen Geld, ohne Verpflichtung
Können wir akzeptieren, dass Menschen Sex miteinander haben und dabei jegliche Liebe, Romantik und soziale Verpflichtung ausschließen? Können wir akzeptieren, dass Sex gegen Geld eine Dienstleistung sein kann, die ein Bedürfnis einfach nur befriedigt?
Im Vorfeld zur Gesetzesreform haben Politiker stets als ihr vorrangiges Ziel angegeben, es gehe ihnen um mehr Schutz und mehr Selbstbestimmung für die Prostituierten. Der deutsche Bundesrat hat im vergangenen April mit einem Beschluss zur Gesetzesreform ausdrücklich eine allgemeine "Wertedebatte“ zur Prostitution angemahnt und einen "Abschied von der Stigmatisierung“ gefordert. Das hat handelnde Fachpolitiker offenbar wenig überzeugt. Nach wie vor dominiert das Bestreben, gegen Prostitution mit besonders scharfen Gesetzesschwertern vorzugehen.
Zimmermann-Schwartz: "Wir haben uns am Runden Tisch intensiv mit der Frage beschäftigt, ob wir die Schaffung weiterer Ermächtigungsgrundlagen für die Polizei brauchen, damit sie tätig werden kann. Sie hat das abgelehnt hat, sie hat dezidiert dargestellt, dass die derzeit bestehenden Möglichkeiten vollkommen ausreichen und auch, als wir hier gesprochen haben über Anmeldepflichten, welche Behörden das machen sollten, da hat bei uns sofort die Polizei gesagt: wir nicht. Das ist hier ein Bereich der normalen Berufstätigkeit, der normalen Berufsausübung nach Artikel 12, da sehen wir uns nicht gefragt."
Am eindeutigsten tritt die Stoßrichtung politischer Strategien gegen Prostitution dann zutage, wenn man den Schutz und die sexuelle Selbstbestimmung von Prostituierten auch mit strafrechtlichen Instrumenten verbessern will. Auch deutsche Politiker haben sich dafür stark gemacht.
Zimmermann-Schwartz: "Wir reden hier vom schwedischen Modell, nach dem Prostitution abgelehnt wird und es eine strafrechtliche Bestrafung der Kunden gibt. Dieses Modell wird immer wieder als nachahmenswert, als vorbildlich gehandelt. Dieser Ansatz beruht auf der Vorstellung, dass Prostitution als solche die Würde der Frau verletzt. Man spricht ja im Grunde auch von einer Art Sklaverei. Nein, die eigenständige Entscheidung einer Person ist zu akzeptieren. Und wenn ich sie generell zum Opfer mache, sage, sie ist immer Opfer in der Prostitution, dann mache ich sie eigentlich erst zum Objekt, dann entmündige ich sie, dann verletze ich ihre Würde."
In Schweden hat bisher niemand den besseren Schutz für Prostituierte oder den tatsächlichen Rückgang der Prostitution mit belastbaren Daten nachweisen können. Abgesehen davon, müssen alle Befürworter solcher Maßnahmen eines beachten. In Deutschland ist das Ziel unseres Strafrechts der Rechtsgüterschutz. Es ist nicht dazu da, individuelle Verhaltensweisen nach moralischen Vorgaben zu lenken oder gar zu bewerten.
Zimmermann-Schwartz: "Wir haben kein Moralstrafrecht. Also der Gesetzgeber ist nicht befugt, über das Strafrecht bestimmte Moralvorstellungen abzusichern. Insofern gibt es da keinen Regelungsbedarf."
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist ein Verbrechen, das unser Strafrecht mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ahndet. Diese Verbrechen gibt es. Ebenso die Grauzonen der Prostitution, in denen Zwang und Gewalt eine Rolle spielen und die als Nötigung, Körperverletzung oderVergewaltigung bestraft werden können. Sind Nötigung und Ausbeutung eine wesensbestimmende Besonderheit von Prostitution oder eine verbreitete Realität in unserem Wirtschaftssystem? Wer hinschauen will, findet sie auch in der Landwirtschaft, in der Baubranche, in der fleischverarbeitenden Industrie und in vielen anderen Bereichen. Solche Phänomene nur bei Prostitution als naturgesetzlichen Zusammenhang herauszustellen, ist daher nichts anderes als moralisierende Diskriminierung.
Vor allem die Vorkämpferinnen der "Prostituierten-Errettungsbewegung“ um Alice Schwarzer und die Ordensfrau Lea Ackermann schwingen diese Moralkeule. Sie definieren Prostitution als Sklaverei und Drecksarbeit, bei denen Frauen ihren Körper verkaufen. Einige der so Beschriebenen haben das mit alltagsphilosophischer Selbstvergewisserung zurückgewiesen, indem sie einfach ihre reale Lebenssituation dagegen gesetzt haben. Ihnen ist etwas ganz anderes wichtig.
Uschi: "Ich denke, dass ich irgendwann, ja, ganz normal wie jeder andere leben will. Was ich jetzt net tue. Weil mein Leben viel von Lügen geprägt ist und Verstecken. Man besucht keine öffentlichen Plätze, man geht mit dem Kind nirgendwo groß hin, weil man Angst hat, man wird eventuell erkannt oder angesprochen, so dass vielleicht aus ganz unerklärlichen Gründen doch das Kind dann mitkriegen kann, was man macht. Man hat immer en Stück weit Angst und versucht sich dann so klein wie möglich zu halten. In der Öffentlichkeit, im Privatleben."
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