Prosaminiaturen

Politische Kleinode

Volker Braun
Der Schriftsteller Volker Braun - der zweite Band seiner "Werktage" ist erschienen. © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Von Michael Opitz · 21.05.2014
Als Chronist ist der Schriftsteller Volker Braun kein schlichter Archivar. In "Werktage 2" verarbeitet er in der Tradition von Bertolt Brechts Arbeitsbüchern die Jahre 1990 bis 2008 zu eleganten Prosaminiaturen.
Im November 1976 untersagt die DDR-Regierung Wolf Biermann nach einem Konzertauftritt in Köln die Wiedereinreise in die DDR und erkennt ihm die Staatsbürgerschaft ab. Unter den 12 Erstunterzeichnern einer Petition von Schriftstellern, die gegen diese Maßnahme protestieren, ist auch Volker Braun. Weniger Monate später, am 2. Januar 1977, beginnt er mit Aufzeichnungen, die 2009 unter dem Titel "Werktage 1" erscheinen.
Das in der Tradition von Brechts Arbeitsbüchern stehende Textkonvolut umfasst den Zeitraum von zwölf Jahren. Es endet am 31. 12. 89 mit dem Eintrag:
"nun haben wir eine biographie. aus dem widerstand und der geducktheit tretend, haben wir jeder eine geschichte durchlaufen, unter die ein harter strich gezogen wird. unter die alten wahrheiten. unter die alte zukunft."
Wenige Wochen zuvor begann mit der Maueröffnung eine neue Zeitrechnung.
Als sich 1989 die Geschichte "auf den Hacken / Dreht" kehren alte ökonomische Verhältnisse wieder in jenen Geschichtsraum zurück, in dem sie bereits überwunden waren. Die neuen Verhältnisse haben ein altes Gesicht. Für den 1939 geborenen Dresdner stellen sie eine Herausforderung dar. Braun, der dem Fertigen nie etwas abgewinnen konnte ("kommt uns nicht mit Fertigem"), sieht sich konfrontiert mit Unfertigem.
Verflogener Lebensplan
Im zweiten Band der "Werktage" hält Volker Braun fest, was sich im Zeitraum zwischen 1990 und 2008 ereignet hat. Der erste Eintrag vom 2. Januar 1990 lautet:
"die zeit ist da, auf die wir hingearbeitet haben. nun verlangt sie konsequenz."
In der Mitte seines Lebens – "ich bin ein mann von fünfzig jahren" – "verfliegt" sein erträumter Lebensplan. Als er glaubt, sich darauf einstellen zu können, "einen weg nach innen zu suchen", kommt ihm die Geschichte "dazwischen" (Notiz vom 3. 1. 90). Brecht scheint von seiner letzten Ruhestätte auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof verschmitzt nach Pankow hinüber zu blinzeln, wo Braun wohnt – "Ja, mach nur einen Plan." Das erhoffte "gespräch unter bäumen" findet nicht statt, zunächst gilt es den Einheitsboden zu vermessen.
Auf Harmonie ist Braun nie aus gewesen. Er könnte unbeachtet lassen, was da wuchert und fröhlich ins Kraut schießt. Illusionslos, aber Blochs Hoffnungsidee verpflichtet, protokolliert Braun die Arbeitsergebnisse seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte, die ihm rohes Material vor die Füße wirft.
Als Chronist ist Volker Braun kein schlichter Archivar des Faktischen. Kein Ereignis, nichts von dem, was eines Kommentars bedarf, gelangt in seiner "rohen" Form in das "Werktage"-Buch. Erst wenn Braun das Material bearbeitet es durch ihn hindurchgegangen ist und er ihm seine sprachliche Form gegeben hat, hält er das Arbeitsergebnis im Werktagebuch fest. Die so entstandenen Prosaminiaturen sind sprachlich elegante, politisch zupackende Kleinode, in denen der Widerspruch zwischen der Grobschlächtigkeit der Geschichte und dem Feinsinn der Kunst grell aufblitzt.

Volker Braun: Werktage 2. Arbeitsbuch 1990-2008
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
999 Seiten, 39,95 Euro

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