Prosa

Keine Scheu vor Obszönitäten

Detail eines geschnitzten Elfenbeinfächers aufgenommen am 26.09.2013 in der neuen Sonderausstellung "Reiz des Fremden" im Schloss in Wernigerode.
In ihrem Buch geht Ann Cotton auf Tuchfühlung zu Walter Benjamins "Fächer der Erinnerung", der in den Falten das Eigentliche erkennt. © picture alliance / ZB / Jens Wolf
Von Michael Opitz · 24.01.2014
Eine bemerkenswerte Sprachlust kann man Texten der in Berlin lebenden Autorin Ann Cotton entnehmen. Die Erzählungen in ihrem Prosadebüt "Der schaudernde Fächer" sind alles andere als konventionell.
Vom "Fächer der Erinnerung“ spricht Walter Benjamin in seiner "Berliner Chronik“. Er findet im Fächer vergessene Bilder, wobei ihm keins genügt, da er erkannt hat, "in den Falten erst sitzt das Eigentliche: jenes Bild, jener Geschmack, jenes Tasten um dessentwillen wir dies alles aufgespalten, entfaltet haben.“ Während die 1982 in Iowa geborene Ann Cotten mit dem Titel ihres Prosadebütbandes "Der schaudernde Fächer“ auf Tuchfühlung zu Benjamins Erinnerungsbegriff geht, stellt ihr fast zeitgleich erschienener Gedichtband "Hauptwerk. Softsoftporn“ eine ganz andere Nähe her. Gemeinsam ist beiden Büchern der 1982 in Iowa geborenen und in Wien aufgewachsenen Autorin eine bemerkenswerte Sprachlust. Ohne sich um Konventionen zu kümmern, lädt sie zu einem lustbetonten Stelldichein ein.
Butterweiches und sein Gegenteil
Den Titel "Der schaudernde Fächer“ fand Cotten im Wiener Café "Espresso“, als sie eine Tänzerin sah, die hinter zwei riesigen, aus Straußenfedern bestehenden Fächern verschwand. Verschwunden ist im Untertitel von "Hauptwerk“ das Wort "graphie“, das am Wortende von "Softsoftporn“ fehlt, aber dennoch mitgedacht wird. Am Wortanfang überrascht hingegen die Dopplung von "soft“, die etwas doppelt Weiches verspricht. Allerdings wird das Erwartete durch das Fehlen von "Graphie“, griechisch "schreiben“, literarisch nicht eingelöst. Offensichtlich läuft Cottens Schreibstrategie darauf hinaus, Butterweiches nicht ohne das entsprechende Gegenteil aufrufen zu wollen.
Auf die Prosa der in Berlin lebenden Autorin, deren Lyrikdebüt "Fremdwörterbuchsonette“ (2007) für staunende Bewunderung sorgte, durfte man gespannt sein. Cotten vertritt nämlich die Meinung, dass die Poesie in den meisten Sprachen "konventioneller“ sei als die Prosa. Konventionell sind die 18 Erzählungen, die sich in "Der schaudernde Fächer“ finden, nicht. Ein Grund dafür ist, dass die Autorin keine Scheu besitzt, sich jener sprachlichen Mittel zu bedienen, die vermeintlich als "obszön“ gelten.

Ann Cotten: Der schaudernde Fächer. Erzählungen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
251 Seiten, 21,95 Euro

Ann Cotten: Hauptwerk. Softsoftporn. Gedichte
mit Zeichnungen von Mareille Fellien
Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2013
70 Seiten, 14,00 Euro

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