Prosa, die klingt wie Musik

30.01.2009
Mit dem vom Hanser Verlag herausgegebenen Gedichtband "Über das Land und das Wasser" lässt sich die unverwechselbare Lyrik W.G. Sebalds neu entdecken. Das Besondere des Bandes: Es finden sich auch 15 bislang unveröffentlichte Gedichte darin.
Als der 1944 in Wärtach im Allgäu geborene Autor 2001 bei einem Autounfall in Norwich ums Leben kam, verlor die deutsche Literatur eine ihrer unverwechselbaren Stimmen. Seine Prosa klingt wie Musik. Die rhythmisch komponierten Sätze gleichen einem fliegenden Teppich, den er für seine Leser ausbreitet, damit sie ihn bei seinen Erinnerungs- und Erkundungsflügen begleiten können.

Bekannt wurde Sebald vor allem durch die Bücher "Die Ausgewanderten" (1992), "Die Ringe des Saturn" (1995) und sein opus magnum "Austerlitz" (2001). Dass er 1988 mit dem "Elementargedicht" "Nach der Natur" debütierte, ist dabei ein wenig in Vergessenheit geraten.

Nun erinnert der von Sven Meyer herausgegebene Band "Über das Land und das Wasser" an den Lyriker W.G. Sebald, den es erneut zu entdecken gilt. Während der Prosaautor erst in der Mitte seines fünften Lebensjahrzehnts zur literarischen Schreibweise als "Ausflucht aus der Wissenschaft" fand, hat Sebald bereits seit seiner Jugend Lyrik geschrieben. Die Gedichte "Schwer zu verstehen", "Schrebergartenkolonie", "Nicht mehr bewegen", "Versiegelt die Absicht" und "Nymphenburg" veröffentlichte er 1964 in der "Freiburger Studenten-Zeitung".

Seven Meyer hat den nun vorliegenden Band aus Sebalds Nachlass herausgegeben, der in Marbach liegt. Offensichtlich hatte der Autor noch zu Lebzeiten eine Veröffentlichung seiner Lyrik geplant, denn der Herausgeber fand unter den nachgelassenen Schriften zwei maschinenschriftliche Gedicht-Konvolute. Überschrieben ist das frühere mit dem Titel "Schullatein", während das spätere den Namen "Über das Land und das Wasser" trägt.

Diese beiden Teile bilden die Grundlage der ersten zwei Abteilungen des nun vorliegenden Lyrik-Bandes. Sie werden ergänzt um frühe Gedichte aus der Zeit vor 1972 und um eine dritte Abteilung. Sie trägt den Titel "Das vorvergangene Jahr" und enthält Gedichte aus der Zeit nach 1990. Neben der bereits an anderen Orten veröffentlichten Lyrik finden sich in dem Band auch 15 bislang unveröffentlichte Gedichte.

Die Gedichte Sebalds halten Eindrücke von Landschaften ebenso fest wie Stimmungen in Räumen, in denen nichts Besonderes passiert. Ein Feuer wird angezündet und allmählich breitet sich Wärme im Raum aus ("Morgenandacht für G"). Dass Sebald Humor besaß, lässt ein Gedicht wie "Schön ist das Leben" erkennen.

Nachhaltig bleiben die Gedichte der dritten Abteilung in Erinnerung. Mit den frühen Gedichten verbindet sie Sebalds Vorliebe, Reiseeindrücke in Versen festzuhalten. Die Orte, denen er sich zuwendet, interessieren ihn aufgrund ihrer Geschichte (Bremerhaven, Badenweiler, Marienbad, Berlin). Seine "Marienbader Elegie" nimmt den Dialog sowohl mit der in Böhmen gelegenen Stadt auf als auch mit dem dort zur Kur weilenden Goethe.

Auf Goethes "Marienbader Elegie" antwortet Sebald mit einem ebenfalls 23 Strophen zählenden Gedicht und erinnert noch einmal an den Liebesrausch des hochbetagten Dichterfürsten, der sich in Marienbad in die um Jahrzehnte jüngere Ulrike von Levetzow verliebt.

In den Gedichten der dritten Abteilung wird die häufig erwähnte Stille zur Voraussetzung dafür, dass Vergangenes als Teil der Gegenwart in Erscheinung treten kann. So ergeben sich Zwiegespräche mit Toten, oder es preisen Engel, die sich zu einem Reisenden in einem ICE neigen ("Mein Fahr-Planer im ICE"), den Himmel als Wellnesoase:

"Fürchtet Euch
nicht. Wir sind ein
bestens geführtes Haus
mit ansprechender
Atmosphäre. Galle
Leber Magen Darm
Stoffwechselstörungen
Übergewicht Alters
verschleiß Rheuma
bitte fordern Sie unseren Prospekt & fragen Sie
Ihren Apotheker"

Rezensiert von Michael Opitz

W.G. Sebald: Über das Land und das Wasser. Ausgewählte Gedichte 1964 - 2001
Herausgegeben von Sven Meyer
Hanser Verlag, München 2008
113 Seiten, 14,90 Euro