Projektionskunst im Heilbad

Von Volkhard App · 27.09.2011
Streiflichter der Evolutionsgeschichte, Manga-Figuren auf Fontänen, destruktive Spiele auf der Kurhaus-Fassade: Die "Lichtsicht"-Biennale im niedersächsischen Bad Rothenfelde bei Osnabrück zeigt beeindruckende Projektionskunst.
Die beiden 10 und 13 Meter hohen Wände aus Reisigbündeln sind ein wahrer Segen - für den Kurort, weil hier unablässig salzhaltiges Wasser herunterrinnt. Und für die Kunst, weil diese auffällig langen Wände vortreffliche Projektionskörper sind. So für das Breitwandspektakel der russischen Gruppe "AES+F” , die schöne Freizeitmenschen in antiken Gewändern präsentiert - an Stränden liegen sie, trinken und plaudern miteinander, lassen sich bedienen und sorgen an Fitnessgeräten für das physische Styling. Man könnte da von "spätrömischer Dekadenz” sprechen. Ein Sittenbild.

Während das südkoreanische Künstler-Duo "Mioon” hinter die Mauern von Hochhäusern blickt und silhouettenhafte Figuren in ihren kästchenförmigen Apartments zeigt, in ihrem standardisierten Leben. Optisch überaus reizvoll - mit einem Anflug sozialer Reflektion und der Hoffnung, dass sich dieses Raster urbanen Lebens aufbrechen lässt.

Unterschiedliche Spielarten auf einer Projektions-Biennale, von der viele gar nicht wissen, dass es sie gibt und sich vielleicht fragen, ob es sie im hiesigen Kunstbetrieb denn überhaupt geben muss. Leiter Manfred Schneckenburger:

"Es braucht nicht unbedingt eine, aber es gab noch keine. Dies ist kein Lichtfestival, die gibt es mittlerweile wie Pilze im Wald - sondern es ist die einzige Biennale, die Bildprojektionen zusammenbringt, die Geschichten erzählen. Wenn man Bilder lesen will, muss man nach Bad Rothenfelde gehen. Es gibt keine andere Biennale dieser Art. Ob notwendig oder nicht - sie ist sinnvoll.”"

Ein beherrschender Trend lässt sich im Spektrum der Werke nicht erkennen, aber doch der Mut, nach dem Großen und Ganzen zu greifen. Kanjo Také lässt in technischer Perfektion auf breiter Fläche digital verfremdete Objekte ineinander übergehen: nach einer Art Urknall sind Eier zu sehen, dann Arbeitshandschuhe; eine Armada von Schaufeln, ein kreisender Hammer und andere Werkzeuge treten auf. Streiflichter zur Evolutions- und Zivilisationsgeschichte in kosmischer Dimension:

""Diese Urknall-Theorie ist für mich faszinierend, und ich habe sie deshalb für mich visualisiert - und versuchte dann daraus die Entwicklung der Zelle darzustellen und das Ei. Mich hat als Kind immer unglaublich fasziniert, dass jenes, was lebt und sich bewegt, aus dem Ei kommt. Folglich kommen bei mir die Werkzeuge aus dem Ei.”"

Die unebenen Wände geben mit ihrer Oberfläche den projizierten Bildern eine eigene grobkörnige Struktur. Aber auch an anderen Stellen des Ortes wird Lichtkunst gezeigt. So lässt Kanjo Také Digital-Fotos mit Manga-Figuren auf Fontänen projizieren. Ein flüchtiges Abenteuer von jeweils wenigen Sekunden:

""Weil Mangas eine Fantasie sind. Und dieses Immaterielle, was in dem Wasser und dieser Erscheinung enthalten ist, empfand ich als sehr geeignete Form, um die Imagination, die Vision noch mal zu verfremden.”"

Zu den markantesten Schauplätzen in diesem 7500 Einwohner zählenden Kurort bei Osnabrück gehört ein Teich, aus dem Claudia Wissmann die Motorhaube eines Pick-Up ragen lässt. Hinter den Scheiben scheinen Menschen um ihr Leben zu kämpfen - es sind Fernseh-Szenen aus einem Vorabendfilm. Schaurige Wirklichkeit und mediales Entertainment greifen hier ineinander. "Prime Time” - so der aussagekräftige Titel dieser gelungenen Installation.

Für den Clou der Open-Air-Ausstellung sorgt Klaus Obermaier. Er projiziert auf das Kurmittelhaus das Fassadenbild eben dieses Gebäudes: mit antikisierendem Säulenportal, Bogenfenster und Türmchen. Aber diese täuschend echte Bildfassade kann durch die Bewegung von Passanten in Schwingung versetzt, atomisiert, ja zum digitalen Einsturz gebracht werden. Ausgerechnet das "Heiligtum” von Bad Rothenfelde wird zum Objekt "destruktiver” Spiele:

""Ich würde alle Heiligtümer so zerfließen lassen. Es steht ja noch."

Soviel Effekt ist selten. Obermaier plädiert grundsätzlich für interaktive Kunst:

""Sagen wir so: Wir leben in dem Zeitalter von 'Facebook' und 'Google plus'. Interaktive Medien sind heute Alltag vor allem für die jüngere Generation. Gerade bei Kunst im öffentlichen Raum ist Beteiligung etwas sehr Interessantes. Ich kann mir vorstellen, dass junge Leute hier sagen: 'So will ich arbeiten, so was will ich machen'.”"

"Lichtsicht” 2011 - auf einen Begriff lässt sich die Vielfalt dieser Veranstaltung nicht so schnell bringen. Beeindruckend ist die ästhetische Raffinesse der projizierten Werke. Manchem Projekt mit Kunst im öffentlichen Raum, das in größeren Städten stattfindet, wünschte man diese qualitative Dichte. Und dass der Kunstgenuss vor den salzhaltigen Wänden auch noch die Gesundheit fördert, das gibt es nirgendwo sonst. Manfred Schneckenburger über das erhoffte Publikum:

""Wir hoffen sehr auf die spezifischen Kunstbetrachter - und freuen uns auf die Passanten. Wir hoffen, dass sie zur Kenntnis nehmen, dass es nicht nur Malerei, Bildhauerei und Fotografie gibt, sondern auch diese Art der Projektion, die eine ganz eigene Kunstform ist.”"