Projekt des Kinderarztes Peter Hauber

Musik ist ihre neue Heimat

Der Arzt Peter Hauber sitzt im Oktober 2013 im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz in Berlin.
Der Arzt Peter Hauber engagiert sich für Flüchtlinge: Auch auf dem Oranienplatz in Berlin war er vor der Räumung des Flüchtlingscamps aktiv. © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
27.09.2016
Während einer Sprechstunde im Flüchtlingsheim kam der Berliner Kinderarzt Peter Hauber auf die Idee, den Kindern nicht nur in den Hals zu schauen, sondern mit ihnen Lieder zu singen. Die Begeisterung war so groß, dass er den Verein "MitMachMusik" gründete. Ein Besuch.
"Willkommen" steht über dem Eingang – von einer Kinderhand geschrieben, einer deutschen, denn die deutsche Sprache und erst recht das Schreiben sollen die Kinder, die hier leben, ja erst lernen.
Doch Schule ist morgen wieder, heute ist Musik. Und dafür geht es hoch in den Plenarsaal. An den Tischen kleben noch die Namen der Politiker, die hier einst ihren Platz hatten. Es ist laut – viele Instrumente klingen durcheinander: Geigen, Celli, Gitarren – auch ein Kontrabass ist zu hören.
Zweimal in der Woche bekommen die Kinder aus Syrien und Afghanistan Musikunterricht. Ihre Lehrerin heißt Marie Kogge:
"Ja das war heute sehr aufregend, weil wir den Raum gewechselt haben. Ich hab den Eindruck, im Grunde ist es gut, weil wir jetzt diese Bewegungsgruppe…, das ist neu dabei – für die Kinder, die sich schwer konzentrieren können oder noch zu klein sind. Aber in meinem Kopf formiert sich schon: Ich muss mir was überlegen, dass die nicht zwischendurch nicht so wahnsinnig rumrennen mit den Instrumenten."

Traumatisiert und Verwandte verloren

Nichts, rein gar nichts erinnert hier daran, was den Kindern wiederfahren ist. Dass sie mit ihren Familien oder ohne Familie aus Kabul, aus Parva oder aus Aleppo geflohen sind. Alle haben den Krieg erlebt, sind traumatisiert, haben Verwandte verloren. Doch in den Kinderaugen sieht man nur Freude, Neugierde, Offenheit. Die Musik ist ein Stück neue Heimat.
Ahmet hält ein Cello. Ob er aus Damaskus kommt, will ich wissen. Nein, sagt er.
Bunte Tücher sind zu sehen. Die Farben Gelb, Grün, Rot und Schwarz fallen mir gleich ins Auge. Diese Farben finden sich wieder an den Instrumenten. Jede Farbe steht für einen bestimmten Ton. Auf diese Weise kann man sich orientieren, auch ohne Noten lesen zu können.
"Das ist ganz erstaunlich. Wir haben heute übrigens auch ein syrisches Lied gespielt mit dem Vogel, mit dem 'Flatter-Flatter-Pick-Pick'-Rhythmus. Das spielen die gerne. Aber es ist ganz erstaunlich: Die syrischen Kinder kennen keine Kinderlieder. Das ist bei den Afghanen ganz anders. Da gibt’s viele Traditionals. Die Frauen dürfen ja alle nicht singen, nicht tanzen, kein Instrument spielen. Es ist schon ganz toll, dass die das ihren Töchtern erlauben. Und infolge des gibt’s so eine Tradition nicht: die Mutter singt für das Kind. Irgendwie gibt’s das nicht."

Die Kinder gehen kreativ mit Tönen um

Umso erstaunlicher ist, wie kreativ die Kinder mit den Tönen umgehen. Ein eigenes Stück mit farbigen Notenköpfen komponieren, das ist die Aufgabe.
"Ich kann malen grün, rot, grün – einfach so. und ich kann Dienstag gucken mit diese. Und ich kann Gitarre spielen…"
Auf der Violine geht das selbstverständlich auch.
"Eins und zwei und… Wer ist noch fertig?"
Ganz am Rande sitzt freundlich strahlend Mahmut. Er ist einer der "Profis" hier.
"Der ist fantastisch. Mit dem kann ich mich hinstellen und einfach ein Solostück von Bach spielen und der spielt Tabla dazu. Und zwar auf’s Feinste. Er ist ein unglaublich musikalischer Mensch, der aus einer ganz starken Tradition kommt aus Afghanistan. Er war allerdings Mathematiklehrer." (Lacht)

Die Kinder brennen darauf, das Erlernte vorzutragen

Die Kinder sind stolz, hier ein Instrument lernen zu dürfen. Sie sind begeistert bei der Sache – euphorisch, fast überschäumend vor Enthusiasmus. Und sie brennen darauf, das Erlernte vorzutragen. Selbst mir als Fremdem.
Aber das allergrößte Lob ist, wenn sie ihr Instrument behalten dürfen. Denn das haben sie sich dann wahrlich verdient. Und so ist dieser Musikunterricht nicht ein bloßer Zeitvertreib, sondern ein Rüstzeug für das das ganze Leben – ein Stück neue Heimat…
"Das ist bei uns ein ganz wichtiges Element. Das haben wir uns von Anfang an überlegt. Dass Menschen, die alles verloren haben und wirklich alles zurücklassen mußten, dass das vielleicht wunderschön ist, wenn man sich durch das Musikmachen ein Instrument erwerben kann."
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