Progressive Bluegrass

Mehr als Altherrenmusik

Lindsay Lou & The Flatbellys, Bluegrass Jamboree
Lindsay Lou & The Flatbellys, Bluegrass Jamboree © John Hanson / Promo
Von Veronika Schreiegg · 18.03.2015
Hinter Progressive Bluegrass steckt mehr als die Wiederbelebung eines uramerikanischen Genres. Das beweist das Album "Ionia" von Lindsay Lou & The Faltbellys.
Es war ein angegrauter Musiker - mutmaßlich mit Bauchansatz, der die Band um Lindsay Lou einst auf einem Bluegrass-Festival als Flatbellys bezeichnete ... als noch sportlich anmutendes junges Gemüse, das irgendwie nicht so recht in die Szenerie eines solchen Festivals passen mochte. Noch vor ein paar Jahren war Bluegrass tatsächlich nichts anderes als Alt-Herren-Musik, doch die Sängerin und Gitarristin Lindsay Lou - mittlerweile Ende 20 - kommt bei dem Gedanken an Bluegrass und seinen Pionier Bill Monroe regelrecht ins Schwärmen.
Wie Punkrock
"Bluegrass ist wie Old Time-Punkrock. Er ist wie Punkrock, bevor es Punkrock gab. Er ist wie Rock'n'Roll, bevor es Rock'n'Roll gab. Er ist roh, rein - Bluegrass ist ein rohe und reine Emotion, einfach drauf los. Ich hörte diese Musik sehr häufig als ich in einem Labor arbeitete. Ich machte irgendwelche Versuche und hörte Bill Monroe live at the Machanics - und es war sooo aufregend. Ich wollte einfach nur aufstehen und tanzen. Aber für jemanden wie für meinen Mann hat Bill Monroe noch eine ganz andere Bedeutung. Er spielt Mandoline und für ihn ist Bill Monroe der Ursprung für alles, was er liebt - nicht zuletzt weil Bill Monroe den Bluegrass erfunden hat und wirklich dafür verantwortlich war, dass der Bluegrass von einer breiten Masse gehört wurde."
Bill Monroe ist so etwas wie der Bandheilige der Flatbellys, die ursprünglich eine Schülerband aus Michigan waren - anfangs noch ohne ihre Sängerin Lindsay Lou.
"Ich war ein Mega-Groupie, könnte man sagen. Ich heiratete den Mandolinenspieler der Band und bin dann als Frontfrau der Band eingestiegen. Das war damals der Vorschlag des früheren Banjospielers."
Traditionell und modern zugleich
Der frühere Banjospieler wurde mittlerweile von Mark Lavengood abgelöst, ein brillanter Musiker, der auch die immer etwas blechern klingende Resonatorgitarre ins Bandinstrumentarium mit einbrachte und der jeden Ton, den er spielt, mimisch kommentiert - live ein Genuss anzusehen, aber auch der Kontrabassist PJ George mit seinem langen roten Bart und Lindsay Lous Ehemann - der Mandolinenspieler Josh Rilko verstehen es Bluegrass live in Szene zu setzen. Hosenträger, Wollhose - sie sehen allesamt aus als wären sie dem Cohen-Brüder Film "O Brother, Where Art Thou?" entsprungen. Der Sound auf ihrem zweiten Album Ionia klingt trotzdem modern.
"Wir haben alle mittels Bluegrass gelernt. Wir spielen Bluegrass-Songs und wir lieben Bluegrass. Allerdings, wenn wir unsere eigenen Stücke performen, klingt es nicht so sehr danach. Wir sind Produkte dessen, was wir insgesamt gelernt haben und vieles davon rein übers Hören. Jazz, Swing und all diese unterschiedlichen Einflüsse. Alles davon klingt amerikanisch und letztlich spielen all diese Genres in unser Songwriting mit rein."
Die Themen, die Lindsay Lou & The Flatbellys auf ihrem Album Ionia verhandeln, sind weniger brisant, als vielmehr atmosphärisch. So geht es im Old Song um das Gefühl der Geborgenheit, das einen beim Gedanken an die Großeltern beschleicht. Der Sängerin und Songschreiberin Lindsay Lou gelingen auf "Ionia" aber auch kräftige Bilder. Das Stück "Criminal Mind" erinnert an den Roadmovie Thelma & Louise, erzählt von bedingungsloser Freundschaft über das Verbrechen hinaus. Auch der althergebrachte Hobomythos darf natürlich nicht fehlen. Es geht um die Rastlosigkeit des Musikerdasein. Und so seht nicht Lindsay Lou im Song "House Together" nach Sesshaftigkeit.
Hauptsache: Die Musik wird gehört
"Niemand von uns hat ein Zuhause. Jeder von uns hat Abstellräume in Michigan oder in Nashville. Wir leben voll und ganz die Idee Musik permanent verbreiten zu wollen. Wir wollen unsere Musik einfach weitergeben. Auf den Konzerten erzählen wir den Leuten: Wenn ihr kein Geld habt, aber ihr wollt unbedingt ein Album haben oder ihr denkt, eurer Mutter könnte diese Musik sehr gut gefallen -dann nimm es dir einfach, bitte, und kopiere das Album gerne auch und schenke es weiter. Irgendwann steht dann vielleicht wieder ein pensionierter Physiker vor uns, der uns für zwei Alben 100 Dollar in die Hand drückt. Ich gehe in Vorleistung für einen Studenten, der momentan pleite ist und euch vielleicht bei der nächsten Show begegnet."
Lindsay Lou & The Flatbellys sind eine Band, die den Trend der Share Economy - des ökonomisch sinnvollen Teilens und Tauschens - voll und ganz in ihr Lebensgefühl als Musiker integriert haben. Idealisten vielleicht, aber auch authentische Vollblutmusiker.