Pro und Contra: Darf ein demokratischer Staat Terroristen gezielt töten?

03.05.2011
Nachdem Osama bin Laden durch eine US-Spezialeinheit getötet wurde, ist eine Debatte darüber entbrannt, ob ein demokratischer Staat gezielt Staatsfeinde töten darf. Ja, sagt Marcus Pindur, der demokratische Rechtsstaat müsse wehrhaft bleiben. Nein, meint Annette Riedel: In einem solchen Rechtsstaat müssten die Menschenrechte auch für diejenigen gelten, die sie mit Füßen treten.
Der Gerechtigkeit wurde genüge getan
Von Marcus Pindur
Selbstverständlich war es richtig, den Terrorpaten Osama bin Laden zu töten. Von den Optionen, die Präsident Obama hatte, war dies vielleicht nicht die völkerrechtlich unumstrittenste, aber insgesamt die politisch wie moralisch sauberste. Übrigens auch für die islamische Welt, die jetzt endlich einen Mörder los ist, der mit seinen Taten ein Zerrbild ihrer selbst gezeichnet hat.

Selbstverständlich kann ein Staat nicht nach Belieben politische Gegner ausschalten, weder ein demokratischer, noch ein diktatorischer.

Es geht darum, ob man Al Kaida als Partei in einem bewaffneten Konflikt begreift – und ohne Zweifel ist das so. Dann ist auch die Tötung des Anführers erlaubt. Und es geht um einen tausendfachen Massenmörder und Hassprediger, der sich seiner Verbrechen sogar gerühmt hat.

Der demokratische Rechtsstaat setzt sich nicht leichtfertig über Regeln hinweg, aber er muss wehrhaft sein. Denn er muss in einer Welt handeln, die seinen Regeln selten genügt. Und deshalb ist die Frage, ob Bin Laden nicht besser festgenommen worden wäre, um ihn dann im Rahmen eines rechtsstaatlichen Prozesses abzuurteilen, rein akademisch. Das Verfahren hätte den Extremisten weltweit Material für eine Propagandakampagne an die Hand gegeben. Menschen wären ganz sicher durch Erpressungsmanöver in Gefahr geraten.

Übrigens: Auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der sich sonst selten auf etwas einigen kann, hat die Tötung Bin Ladens begrüßt.

Der demokratische Politiker Obama hat verantwortungsvoll gehandelt. Der Gerechtigkeit wurde genüge getan – übrigens nicht zuletzt gegenüber den Angehörigen der Opfer des 11.September. Sie können – nach dem gestrigen Schlusspunkt - nun wenigstens etwas Ruhe finden.


Menschenrechte gelten für alle - auch für Terroristen
Von Annette Riedel
Es ist wie beim Thema Folter: Man mag sogar im Einzelfall verstehen, dass Ermittler versucht sein können, noch das letzte Mittel – Gewalt oder die Androhung derselben – anzuwenden, in der Annahme, so Menschenleben retten zu können. Trotzdem darf es in einem demokratischen Rechtsstaat keine Folter geben. Denn: In einem demokratischen Rechtsstaat müssen die Menschenrechte, wenngleich manchmal zähneknirschend, eben auch für diejenigen gelten, die sie selbst mit Füßen treten.

Und aus genau diesem Grund darf ein demokratischer Rechtsstaat nicht geplant, gezielt töten. Wohlgemerkt: Geplant, gezielt. Niemanden. Auch nicht einen Terroristen vom Schlage Osama Bin Ladens, der wahrlich nicht das geringste Mitleid verdient. Es geht ums Prinzip. Es geht um die Eindeutigkeit. Bei Menschenrechten und bei Rechtsstaatlichkeit darf es keine Verhandelbarkeit geben, keine Ausnahmen, keine Definitionsfragen, für wen, was, in welchen Fällen gilt oder nicht zu gelten hat.
Wer Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit zur Disposition von Macht, Machbarkeit oder Ansichtssache erklärt, höhlt sie aus.

Gleiches Recht im anzustrebenden Idealfalle für ausnahmslos alle - genau das ist der Kern eines funktionierenden demokratischen Rechtsstaates, macht seine Stärke aus. Das muss auch innerhalb der Staatengemeinschaft gelten, wenn Völkerrecht mehr als juristische Folklore sein soll. Wer das will, der darf die gezielte Tötung Osama Bin Ladens nicht bejubeln. Strafe, ja – Rache, nein. Die kann eigentlich nicht einmal im Sinne der Hinterbliebenen der Anschläge vom 11.September sein. Denn Rache programmiert Rache-Gelüste.

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