Private Unterkünfte

Mit Flüchtlingen wohnen

Drei Kinder einer syrischen Flüchtlingsfamilie, eines verdeckt sein Gesicht mit einer Tüte Bonbons.
"Sollen Kinder vielleicht drei, vier Jahre ihres Kinderlebens in Massenunterkünften leben?", fragt der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt. © dpa picture alliance / Mika Schmidt
Von Alexander Budde · 26.01.2015
Klaus und Dolores Pehlke aus Hannover vermieten an neun Flüchtlinge aus dem Irak. Doch das hat sie einige Überwindung gekostet, sie hatten Angst, sagen sie. Mittlerweile haben sich Kontakte gebildet, die alle Beteiligten bereichern. Solche Beispiele sollten Schule machen, fordert der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt.
"Hallo! Mein Name ist Martin Patzelt. Ich freue mich, dass ich hier zu Besuch sein darf! My English is not good, you understand German …?" -
"Ein bisschen … you´re welcome, you´re welcome!"
Martin Patzelt steht mit Blumen in der Tür. Er war Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Frankfurt/Oder, für die Union zog er 2013 in den Deutschen Bundestag ein. Im August letzten Jahres rief der 67-jährige Christdemokrat seine Mitbürger dazu auf, sie mögen darüber nachdenken, daheim in ihren privaten Häusern und Wohnungen Flüchtlinge aufzunehmen. Klaus und Dolores Pehlke fühlen sich angesprochen. Sie haben Patzelt eingeladen. Die beiden wollen dem CDU-Mann zeigen, wie ihr Zusammenleben mit gleich neun anerkannten Asylbewerbern aus dem Irak funktioniert.
"Wir haben hier zum Beispiel auch Leute, deren Angehörige jetzt irgendwo in den Gebirgen vor Mossul die politische Realität erleben, verstehen Sie? Wir wussten vorher eigentlich gar nicht, was auf uns zukommt…!"
An diesem Abend in Hannover biegt sich die Tafel unter Couscous und Lamm, Tiramisu und panna cotta. Marjan Kiryakooz hält ihre kleine Tochter auf dem Arm. Ihr Mann Madyan Mikhael sitzt daneben, schweigend schaut er auf seine Schuhspitzen. Seit vier Jahren schon leben die Exil-Iraker in Hannover. Deutschland gewährt ihnen politisches Asyl. Kiryakooz erzählt von der Flucht der Familie aus Mossul. Als katholische Christin fühlte sich die junge Mutter im Irak nicht sicher, lange schon, bevor die Extremisten vom so genannten Islamischen Staat die Kontrolle über ihre Heimatstadt übernahmen.
"Wir sind Christen in einem islamischen Land. Das ist unser Problem. Ich habe früher als Sportlehrerin die Volleyball-Nationalmannschaft trainiert. Eine Frau ohne Kopftuch, dafür im Trainingsanzug, Christin zumal: Die Drohungen waren massiv. Da haben wir uns gesagt: Wir müssen fortgehen!"
Hoffnungsvolle Signale
Die allermeisten Christen verließen Mossul im Sommer letzten Jahres. Denn die IS-Terrormiliz nimmt Angehörige der Minderheiten und deren Gotteshäuser ins Visier. Mit dem Exodus sieht Kiryakooz die multireligiöse Tradition am Ende. Rabenschwarz malt sie die Zukunft des Bürgertums im geschundenen Krisenland. Und da ist die Sorge um die Angehörigen, die zurück blieben. Sie sitzen fest, in Flüchtlingslagern im Irak und in der Türkei.
"Ich bitte um Beistand für meine Familie. Sie haben ihr Heim, ihr ganzes Hab und Gut verloren. Ich wünschte, ich könnte sie hierher nach Deutschland nachholen, insbesondere meine Mutter: Sie ist eine alte Dame und sie ist sehr krank. Ich würde ihr so gern helfen, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll!"
Im Wohnzimmer von Familie Kiryakooz spricht Martin Patzelt von seiner Idee, dass Flüchtlinge, insbesondere Mütter mit ihren Kindern, privat aufgenommen werden sollten. Und man hört ein wenig noch den gelernten Sozialarbeiter und langjährigen Leiter eines Kinderheimes heraus.
"Wir sind dauernd auf der Suche nach besserem Leben. Wir denken, wir können uns das einkaufen. Und das funktioniert ja oft gar nicht! Wir rasen von Event zu Event - und auf einmal kann man Hilfe für andere Menschen zusammenbringen mit dem eigenen Glück. Das wünsche ich eigentlich vielen!"
Patzelt empfängt Signale, die ihn hoffnungsfroh stimmen. Zuschriften, in denen Mitbürger ihm erklären, dass sie daheim noch ein warmes Zimmer für Flüchtlinge frei haben. Es muss kein großes Opfer sein, wenn alle ein wenig zusammenrücken, ist Patzelt überzeugt.
"Der Staat drückt sich nicht vor der Aufgabe, er tut es so recht und schlecht wie er kann. Er schafft jetzt Massenunterkünfte. Und dann sage ich: Sollen Kinder vielleicht drei, vier Jahre ihres Kinderlebens in Massenunterkünften leben?"
Eine ganze Weile mit sich gerungen
Doch nicht alle sind von Patzelt's Initiative begeistert. Auch nicht von seiner Anregung, den vielen Leerstand gerade in den neuen Bundesländern zu nutzen, um dort notleidende Flüchtlinge einzuquartieren. Der Christdemokrat erfuhr übelste Schmähungen, wurde sogar mit dem Tode bedroht.
"Die Wohlmeinendsten haben mich in die Psychiatrie gewünscht. Ich denke, dass Menschen von vielen Ängsten und vielleicht auch von Hass bewegt werden."
Wenn sich "ihre" Flüchtlinge etwa per Skype oder Youtube über die Fronten im Bürgerkrieg informieren, wenn sie Freunden und Angehörigen nachspüren, sind die Pehlkes oft dabei. Menschenleiber in überfüllten Booten, ausgemergelte Gestalten in Wolldecken, tausendfacher Tod auf dem Mittelmeer: Für Klaus Pehlke haben die Flüchtlinge aus dem Fernsehen Gesichter bekommen.
"Das, was wir heute erleben, ist eigentlich unvorstellbar. Wissen Sie, ich rechne mit noch größeren Schwierigkeiten und mit noch mehr Hilflosigkeiten."
Die italienische Küstenwache hat ihre Rettungsmission "Mare Nostrum" im alten Jahr beendet. Stattdessen rüstet nun die EU-Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeer auf. Patrouillen vor der Festung Europa. Klaus Pehlke aus Hannover macht solche Politik sprachlos:
"Das ist Beihilfe zum Sterben, ja … Beihilfe zum Sterben! Jeder, der herkommt, ist in Verdacht, ein Wirtschaftsflüchtling zu sein. Es ist doch das Recht des Familienvaters, sein Land zu verlassen, um es woanders besser zu haben! Wissen Sie, der soziale Neid, der empört mich!"
Auch die Pehlkes bedurften erst des guten Zuredens durch Vertraute, um echte Nähe zu Fremden zuzulassen. Die beiden Häuser im Hannoveraner Stadtbezirk Ricklingen hat seine Frau Dolores in die Ehe eingebracht, erzählt Pehlke, der evangelische Prediger im Ruhestand. Eine ganze Weile, sagt er, hätten sie mit sich gerungen, ausgerechnet an Flüchtlinge zu vermieten.
"Und dann hatten wir uns überlegt: Inserieren wir jetzt? Wir waren uns nur in einem einig: Keine Ausländer! Das ist jetzt nicht rassistisch gemeint, sondern wir hatten einfach Angst, verstehen Sie?"Mittlerweile hat sich ein Netzwerk herausgebildet, das alle Beteiligten bereichert. Die Pehlke's wohnen gleich nebenan. Sie begleiten ihre Nachbarn zu Ämtern und Ärzten, übersetzen amtliche Schreiben, haben die Kinder eingeschult.
Die bürokratischen Hürden sind hoch
"… dann haben wir noch ein großes Problem mit dem Bewohner, der Physiker ist, einen Examensabschluss hat. Bloß, es müssen jetzt Papiere herbeigeschafft werden … Abiturzeugnis aus Mossul. Schauen Sie in die Zeitung, dann wissen Sie, wer dort die Universität beherrscht!"
Martin Patzelt lauscht ergriffen. Der Bundestagsabgeordnete, verlangt nichts von anderen, was er nicht selbst zu tun bereit wäre. Er hatte im letzten Jahr in seinem Haus in Briesen, einem Vorort von Frankfurt, zwei Frauen aus Nigeria aufgenommen, die zuvor mit ihren kleinen Kindern am Berliner Oranienplatz hausten. Sie haben es nur nicht lange bei ihm ausgehalten. Patzelt weiß, auch die bürokratischen Hürden für seine pragmatische Lösung sind hoch. Und der Vater von fünf Kindern gibt zum Abschied noch Persönliches preis:
"Ich bin zwischen Ruinen aufgewachsen, 47er Baujahr! Meine Eltern und die Eltern meiner Frau sind beides Vertriebene, das heißt, sie haben Haus und Hof verlassen und sind mit Bajonetten rausgetrieben worden aus ihren Wohnungen. Aber gerade die Erfahrungen der alten Generation helfen vielleicht, eine Empathie dafür zu erwecken, wie es Menschen geht, die alles verloren haben und die jetzt Hilfe brauchen."
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