Primor: "Israel muss sich schon Sorgen machen"

10.04.2012
Der Publizist Avi Primor warnt, dass die "verbale Eskalation" sich in Richtung eines Krieges zwischen Israel und Iran entwickeln könne. Die USA müssten eine "klare Politik" für den Nahen Osten formulieren und zugleich Israels Sicherheit gewährleisten.
Ute Welty: Es ist ein Knoten gordischen Ausmaßes, den sich die G8-Außenminister vorgenommen haben, zumindest ansatzweise bei ihrem Treffen in Washington zu entwirren. Dieser Knoten fesselt Iran, Syrien und natürlich auch Israel aneinander. Wie also die Dinge klarziehen in dieser überaus komplizierten und fragilen Dreiecksbeziehung, die von Drohungen und Bürgerkrieg überschattet ist? Darüber spreche ich jetzt mit Avi Primor, ehemals Botschafter Israels in Deutschland und Gründer des Zentrums für europäische Studien in Tel Aviv. Guten Morgen, Herr Primor!

Avi Primor: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Können Sie erkennen, an welcher Stelle sich ein Faden aus dem Knoten ziehen lässt, wo überhaupt die Chance besteht, zu einer Lösung zu kommen?

Primor: Sie meinen, eine Lösung für den Nahen Osten insgesamt?

Welty: Ja.

Primor: Das ist eine langjährige Entwicklung. Man kann ja Demokratie nicht willkürlich erzwingen. Demokratie muss gedeihen, muss wachsen. Aber die ersten Schritte haben wir jetzt gesehen. Wir haben erlebt, wie das sich in Tunesien, in Ägypten entwickelt hat, wir haben auch verschiedene Änderungen in anderen arabischen Ländern gesehen. Der Bürgerkrieg – und es ist ja ein Bürgerkrieg – in Syrien hat ja auch den Sinn letzten Endes, eine Demokratie herbeizuführen, und wir sehen auch die Bemühungen in dem Iran, wo besonders im Jahr 2009 ein nationaler Aufstand stattgefunden hat, an dem die Mehrheit der iranischen Bevölkerung teilgenommen hat oder zumindest unterstützt hat. Ich glaube, man darf optimistisch sein, aber langjährig optimistisch. Langsam, langsam werden die Massen in den islamischen Ländern dessen bewusst, dass sie Demokratie brauchen. Es wird natürlich sehr schmerzlich und lang dauern, aber es geht in die richtige Richtung.

Welty: Es geht in die richtige Richtung, sagen Sie. Aktuell aber fühlt sich Israel von den iranischen Atomplänen bedroht. Wie sollte sich Israel Ihrer Meinung nach verhalten gegenüber Iran und gegenüber Syrien, denn auch da besteht ja ein Zusammenhang?

Primor: Na ja, es besteht vielleicht ein Zusammenhang, aber es gibt auch einen großen Unterschied. Der Iran, also sagen wir, nicht der Iran, sondern die Behörden in dem heutigen Iran – die nicht die Mehrheit der Bevölkerung vertreten, aber die Waffen in der Hand haben, das heißt, die Islamisten, die Fundamentalisten, die Ajatollahs –, die behaupten ganz klipp und klar, ganz offen, dass sie Israel nicht nur vernichten wollen, sondern auch vernichten werden. Man kann dem entnehmen, dass sie Atomwaffen brauchen eigens dazu, um Israel zu vernichten, was nicht so stimmt: Sie brauchen Atomwaffen für verschiedene andere Zwecke, vor allem, um ihren unmittelbaren Nachbarn, die Länder wie Irak, Saudi-Arabien und Golf-Staaten zu bedrohen. Das sind Länder, die sie wirklich beherrschen wollen. Immerhin bedrohen sie Israel mit Vernichtung, sagen sogar, dass sie alle verschiedenen terroristischen fundamentalistischen Gruppierungen, die Israel bekämpfen, unterstützen werden und heute schon unterstützen mit allen möglichen Mitteln, das heißt, vielleicht auch mit Atomwaffen. Also Israel muss schon sich Sorgen machen und beunruhigt sein.

Welty: Für wie groß halten Sie das Risiko eines Angriffs?

Primor: Ich glaube nicht, dass der Iran wirklich angreifen wird. Aber wissen Sie, wo es so viel verbale Eskalation gibt – dann manches Mal rutscht man in die Richtung eines Krieges, selbst wenn man diesen Krieg nicht haben will. Und dazu haben wir sehr viele Beispiele in der Geschichte. Ich möchte nur noch den zweiten Teil, ihre andere Frage beantworten: Syrien. Syrien ist zwar mit dem Iran verbunden, hat aber ganz andere Ansichten Israel betreffend, und die syrischen Präsidenten Assad und sein Vater Assad haben sich auch jahrelang bemüht, mit Israel Frieden zu schließen. Wir waren ganz, ganz nah dran, aber wegen Nebensächlichkeiten scheiterte es immer. Also da gibt es bessere Chancen für Israel, eine Lösung zu finden.

Welty: Wir reden ja anlässlich des Treffens der G8-Außenminister in Washington, der wichtigsten Wirtschaftsnationen. Welcher G8-Staat könnte den positivsten Einfluss auf Israel ausüben? Welches Zeichen kann also von diesem Treffen in Washington ausgehen?

Primor: Natürlich sind es die Amerikaner, weil Israel von Amerika total abhängig ist und weil Amerika auch am meisten in den nahen Osten investiert hat und immer noch investiert. Also müssen die Amerikaner endlich mal eine klare Politik gegenüber dem Nahen Osten haben, was sie heute nicht haben, und das wird, wenn überhaupt, erst nach den Wahlen in Amerika stattfinden. Die Sache ist, dass man Israel in ganz positive Richtungen unterstützen kann, wenn man den Israelis die Sicherheit gewährleistet. Schauen Sie: Als wir den Frieden mit Ägypten oder mit Jordanien geschlossen haben, da haben wir auf alle ägyptischen und jordanischen besetzten Gebiete verzichtet und auch alle Siedlungen auf ägyptischem und jordanischem Boden geräumt, weil wir damals sicher waren, dass der ägyptische Präsident und der jordanische König in einer glaubwürdigen Art und Weise uns Sicherheit gewährleistet. Das ist eigentlich, was nicht die nationalistische Minderheit in Israel beeindruckt, aber die Mehrheit der israelischen Bevölkerung, und die Regierung fügt sich dann dementsprechend. Also was G8 tun können, was die Amerikaner tun können, ist, irgendwie die Israelis in Sachen Sicherheit zu beruhigen, und das schließt natürlich auch den Iran ein.

Welty: Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über das Grass-Gedicht und dessen Israel-Kritik, wo Sie sich ja schon eindeutig positioniert haben – hat da das Wort des deutschen Außenministers an Gewicht verloren?

Primor: Schauen Sie, diese ganze Sache, meines Erachtens, ist erheblich übertrieben. Was Günter Grass sagt, ist nicht so wichtig, hat keine große Bedeutung für die Politik, nicht einmal für die deutsch-israelischen Beziehungen. Aber – ich habe es gesagt und ich kann das wiederholen – meines Erachtens ist Günter Grass weder ein Antisemit noch ein Israelfeind, hat sich aber ausgedrückt in einer Art und Weise, die fast verbrecherisch ist und auf jeden Fall lächerlich ist. Erstens soll man Dinge, die mit der Politik des Nahen Ostens … mit Nazismus nicht zusammenbringen, wie zum Beispiel zu sagen, Israel ist eine Gefahr für die Weltsicherheit, wie Hitler gesagt hat, die Juden sind eine Gefahr für die Weltsicherheit. Diese alle Dinge sind noch erheblich, erheblich zu empfindlich, um sie so leichtsinnig zu benutzen, wie Günter Grass es gemacht hat. Außerdem hat er solche wahnsinnigen Dinge gesagt wie zum Beispiel, Israel will den Iran vernichten. Wissen Sie, der Iran hat eine Fläche, die hundert Mal so groß ist wie die von Israel, eine Bevölkerung, die das Zehnfache von Israel ist. Selbst wenn Israel total verrückt wäre, hätte es nicht den Iran vernichten können, während der Iran Israel vernichten kann und auch will, wie es selber ganz offen sagt. Also solche Dinge kommen dann sehr schlecht an, und das alles wird sehr emotional. Aber politische Bedeutungen … und für die deutsch-israelischen Beziehungen hat das langfristig überhaupt keine Bedeutung.

Welty: Avi Primor, ehemals Botschafter Israels in Deutschland. Ich danke sehr für Ihre Einschätzungen und wünsche einen guten Tag nach Tel Aviv!

Primor: Gerne, Wiedersehen, guten Tag!
Mehr zum Thema