Pressefreiheit in der Ukraine

"Ein schwieriger, schmerzhafter Prozess"

Blick auf den Maidan in der ukrainischen Hauptstadt Kiew
Der Maidan in Kiew: Sinnbild für den Umbruch in der Ukraine - der in den Medien des Landes allerdings noch auf sich warten lässt. © picture alliance / dpa / Andrey Stenin
Gemma Pörzgen im Gespräch mit Dieter Kassel  · 02.06.2016
Der ungelöste Konflikt in der Ost-Ukraine hat das Land gespalten, auch die Medienlandschaft. Reporter ohne Grenzen legt heute einen Bericht über die Pressefreiheit in dem Land vor. Dort gebe es weiterhin zahlreiche Probleme, sagt die Autorin Gemma Pörzgen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist die Ukraine inzwischen auf einen der mittleren Plätze aufgerückt. Dennoch ist das polarisierte Land weit entfernt von einer freien und objektiven Medienberichterstattung, zeigt der heute erscheinende Bericht "Ernüchterung nach dem Euro-Maidan" von Reporter ohne Grenzen (ROG). Die Autorin der Analyse, Gemma Pörzgen, zeichnet darin ein ambivalentes Bild der Situation in der Ukraine.
Einerseits gebe es "wirklich sehr eindrucksvolle Kollegen, die investigativ arbeiten und auch in der Ukraine diesen Freiraum finden", so Pörzgen im Deutschlandradio Kultur. Gleichzeitig gebe es jedoch auch viele, die "an Grenzen stoßen in ihren Redaktionen, vor allem auch in den privaten Fernsehsendern, die im Besitz von Oligarchen sind".
Ein großes Problem sieht die Journalistin, die wochenlang in der Ukraine recherchiert hat, in der Polarisierung der öffentlichen Meinung. Diese führe dazu, "dass viele Kollegen eben es an Objektivität vermissen lassen und gerne entweder Sachen weglassen oder eben tatsächlich patriotisch auch in ihrem Beruf auftreten."
Kollegen hingegen, die versuchten, professionell zu arbeiten, würden angegriffen und als nicht loyal gegenüber Land und Regierung gelten.
Nicht umsonst trage ihr Bericht den Titel "Ernüchterung nach dem Euromaidan", sagt Pörzgen. Dennoch erkenne sie in dem Land auch Chancen. So habe die Regierung etwa versucht, wichtige Mediengesetze zu verabschieden. Gleichzeitig gebe es "so etwas wie den Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Senders", der durch die Umwandlung des alten Staatssenders zu Stande kommen solle. Das Fazit der Journalistin:
"Das ist ein sehr schwieriger, schmerzhafter Prozess, der noch eine lange Zeit dauern wird."

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Zu einer freien und demokratischen Gesellschaft gehört auch eine freie und unabhängige Presse. Die Ukraine will eine freie und demokratische Gesellschaft werden, und wie weit sie auf diesem Weg gekommen ist, das – so unterstelle ich jetzt mal – kann man deshalb auch an den Medien und an der Arbeit der dortigen Journalisten sehen. Dazu stellt die Organisation Reporter ohne Grenzen heute einen aktuellen Bericht vor und die Autorin dieses Berichts – das klingt jetzt so wie zwei DIN-A4-Seiten, das ist fast ein ganzes Buch –, die Autorin dieses Buchs Gemma Pörzgen ist jetzt bei uns im Studio. Schönen guten Morgen, Frau Pörzgen!
Gemma Pörzgen: Schönen guten Morgen!
Kassel: Empfinden sich denn die Kolleginnen und Kollegen, die Sie auf Ihrer Recherchereise in der Ukraine getroffen haben und denen Sie bei der Arbeit begegnet sind, empfinden die sich als freie Journalisten in einem freien Land?
Pörzgen: Na, das ist eben natürlich sehr unterschiedlich, je nachdem, mit wem Sie sprechen und was man da als Maßstab anlegt. Also, es gibt wirklich sehr eindrucksvolle Kollegen, die investigativ arbeiten und auch in der Ukraine diesen Freiraum finden, es gibt andere, die natürlich sehr darunter leiden, dass es ein unglaublich prekärer Beruf ist, in dem man sehr schlecht verdient. Und es gibt auch viele, die natürlich an Grenzen stoßen in ihren Redaktionen, vor allem auch in den privaten Fernsehsendern, die im Besitz von Oligarchen sind. Es ist ein sehr vielfältiges Bild.

Polarisierte Gesellschaft

Kassel: Wie schwierig ist es denn, objektiv zu sein als Journalist in einem Land, in dem die Gesellschaft natürlich sehr polarisiert ist durch den Krieg in der Ostukraine, wo ich immer den Eindruck habe, man kann zur einen Seite gehören oder zur anderen, aber irgendwie dazwischen oder woanders stehen kann man gar nicht?
Pörzgen: Das ist tatsächlich ein großes Problem. Ich habe dem auch ein Kapitel gewidmet über Medien im Krieg, weil man eben merkt, dass doch diese Welle des Patriotismus, die persönlich sozusagen verständlich ist, weil man sich als Ukrainer natürlich angegriffen fühlt von Russland, tatsächlich dazu führt, dass viele Kollegen eben es an Objektivität vermissen lassen und gerne entweder Sachen weg lassen oder eben tatsächlich patriotisch auch in ihrem Beruf auftreten, und es andere Kollegen gibt, die versuchen, sozusagen als Journalisten ihren Job professionell zu machen, und da aber angegriffen werden als eben nicht loyal genug mit ihrem Land und ihrer Regierung.
Kassel: Das heißt, wer versucht, über den Konflikt Nahost/Ukraine neutral zu berichten, wer vielleicht sogar versucht – was auch immer das bedeuten soll –, mit Russland fair umzugehen in der Berichterstattung, der wird dann sozusagen als Staatsfeind betrachtet von einigen?
Pörzgen: Also, das Klima ist im Moment ein bisschen so. Sie haben vielleicht auch gehört, dass es eine Website gibt, die tatsächlich wie ein öffentlicher Pranger die Namen von Journalisten veröffentlicht hat und auch deren Adressen, E-Mail-Adressen und auch Wohnadressen, die in der Ostukraine gearbeitet haben. Da haben Hacker eben Datenmaterial sozusagen an sich gerissen und veröffentlicht, das in der Ostukraine zur Verfügung stand, weil man sich dort akkreditiert hatte.
Und das hat gerade in der Ukraine eine Riesendiskussion darüber ausgelöst, welchen Stellenwert diese Recherchen in der Ostukraine haben. Und erschreckenderweise haben sich da auch Mitglieder der Regierung keineswegs von dieser Seite distanziert, sondern haben diese Kollegen mit angegriffen.

Großer Einfluss der Oligarchen

Kassel: Der politische Einfluss ist das eine, der wirtschaftliche das andere. Sie haben schon die Macht der Oligarchen auch in den Medien kurz erwähnt gerade, dem widmen Sie gerade in Bezug auf das Fernsehen – natürlich wie in vielen Ländern der Welt eigentlich das wichtigste Medium auch in der Ukraine – ein ganzes Kapitel. Wie groß ist denn da der Einfluss dieser Oligarchen?
Pörzgen: Der Einfluss ist tatsächlich sehr groß. Also, alle großen privaten Fernsehsender gehören irgendeinem Oligarchen. Das ist sehr intransparent. Es gibt zwar ein neues Gesetz, das da mehr Transparenz schaffen soll, das existiert aber im Moment nur auf dem Papier. Sie können nicht etwa auf die Website gehen und sehen, wem gehört das eigentlich.
Wir wollen als Reporter ohne Grenzen in einem zweiten Schritt aber diesem Thema noch mehr Aufmerksamkeit widmen und haben ein zweites Projekt geplant, das jetzt im Juni losgeht und im Herbst vorgestellt wird, wo wir uns diese Besitzverhältnisse sehr genau ansehen wollen und auf einer Website dann wirklich dokumentieren, weil das ein Riesenproblem ist für die Entwicklung der Medienfreiheit in der Ukraine.
Kassel: Gucken wir doch, Frau Pörzgen, auch noch mal auf die andere Seite: Wie sehen denn die Menschen, also die nicht arbeiten in den Medienberufen, wie sehen denn die ihre eigenen Medien in der Ukraine? Ist das Vertrauen groß, ist es gering?
Pörzgen: Das ist schwer zu sagen, weil die Umfragen tatsächlich sehr unterschiedlich ausfallen und auch nicht sehr valide sind. Wenn man sich so umhört und mit Menschen spricht, stellt man fest, dass viele keine Tageszeitung mehr lesen, entweder haben sie kein Geld oder greifen einfach lieber auf Online-Medien zurück, das kennen wir hier ja auch, die sind ja kostenlos, Medien in der Ukraine. Das heißt, warum soll man Geld ausgeben für etwas, was man kostenlos im Internet bekommt?
Und da gibt es eine Entwicklung, die interessant ist, dass einfach nach dem Maidan man sehr viel mehr dazu neigt, bestimmten Personen zu vertrauen, die man da liest, als tatsächlich den Medien. Weil, wie ich vorhin ja schon angedeutet hatte, sind eben viele auch – nicht nur das Fernsehen – im Besitz von Oligarchen und man hat eben den Eindruck, dass da andere Themen eine Rolle spielt als tatsächlich die eigene Lebenssituation in der Ukraine. Oft werden da eben Machtkämpfe ausgetragen.

Schwieriger Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Senders

Kassel: Ist da auch eine gewisse Ernüchterung wenn nicht sogar Enttäuschung jetzt eingetreten auch in anderen Lebensbereichen? Ganz sicher, aber wo wir jetzt über die Medien reden, so dieser Gedanke, früher war es ein Moskau-treuer Vasall, der alles regiert hat, auch die Medien, und jetzt sind es halt die Oligarchen. Es hat sich eigentlich im Ergebnis für uns an der Glaubhaftigkeit dessen, was wir lesen und hören können, nicht viel verändert?
Pörzgen: Also, der Bericht heißt nicht umsonst "Ernüchterung nach dem Euromaidan". Insofern gibt es dieses Gefühl. Aber es gibt natürlich auch große Chancen. Also, es hat da durchaus auf Seiten der Regierung den Versuch gegeben, wichtige Mediengesetze zu verabschieden, es gibt so etwas wie den Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Senders, wo der alte Staatssender erst mal umgewandelt werden muss. Das ist ein sehr schwieriger, schmerzhafter Prozess, der noch eine lange Zeit dauern wird, aber, glaube ich, sehr wichtig ist.
Kassel: Danke schön! Gemma Pörzgen war das, sie ist Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen und sie ist auch Autorin des aktuellen Berichts zur Lage der Journalisten und der Medien in der Ukraine, der heute offiziell öffentlich vorgestellt wird und der dann natürlich öffentlich ist für jeden, der ihn lesen möchte. Frau Pörzgen, vielen Dank für den Besuch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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