Premierenkritik "Vorhaut"

Kulturkampf zum Knuddeln

Ein männliches Geschlechtsteil ist am 13.07.2012 an einer goldenen Skulptur in den Herrenhäuser Gärten in Hannover zu sehen.
Bei "Vorhaut – ein Griff zwischen die Beine" im Ballhaus Naunynstraße geht es zum Teil recht derb unter die Gürtellinie. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von André Mumot · 07.10.2014
Slapstick, Blut und Hysterie auf einer Geburtsstation am Silvesterabend. Am Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße werden mit der Komödie "Vorhaut" Religions- und Kulturklischees zu einer freudvollen Farce verquirlt.
Wenn ein Berliner Off-Theaterabend "Vorhaut – ein Griff zwischen die Beine" heißt, riecht das nach Provokation, nach wildem performativen Exzess. Umso überraschter kann man sein, wenn auf der Bühne des Kreuzberger Ballhauses Naunynstraße das Licht angeht und man sich schon nach kurzer Zeit in einer konservativ konstruierten, realistisch durchgespielten Boulevardfarce wiederzufinden glaubt, die auch an den Mainstreamtheatern am Kurfürstendamm nicht undenkbar wäre. Gut, es geht dann – dem Thema entsprechend – recht derb unter die Gürtellinie in der Geburtsstation des Krankenhaus, in dem die aufgekratzten Figuren hier am Silvesterabend zusammenkommen, das Setting und die Umsetzung, samt schlichter Ikea-Stühle und noch schlichterer Topfpflanze, sind jedoch geradezu rührend altmodisch.
Was Autor Necati Öziri und Regisseur Miraz Bezar hier vorlegen, ist fröhlicher Postmigranten-Stadl, nicht mehr und nicht weniger: Erzählt wird davon, wie der jüngste Spross einer türkischen Großfamilie zur Welt kommen soll – dessen Vater allerdings der deutsche Christian Eichelmann ist (ein Name spricht Bände!), der nicht möchte, das sein Sohn beschnitten wird. Hierauf nun verkehren sich die typischen Hierarchien, denn es ist der verhuschte Gutmensch aus der Eifel (ein hinreißend überforderter Michael Wenzlaff), der plötzlich der Außenseiter ist und sich kaum durchsetzen kann gegen die Übermacht des Clans und der Großpatriarchin Elif (Sema Poyraz), die schon mal demonstrativ in Ohnmacht fällt, wenn sie ihren Willen nicht bekommt.
Politisch unkorrekte Pointen fürs lachlustige Publikum
Nicht das einzige Komödienklischee, das hier aufbereitet wird: Da wäre auch noch die laszive Krankenschwester (Katharina Koch), die im Laufe des Abends immer betrunkener wird, außerdem jede Menge Slapstick und vertauschte Identitäten zwischen hysterischen Auf- und Abgängen. Subtil ist da nichts, es ist Holzhammer-Humor, der am Ende auch mit Blut und Exkrementen spritzt und gern mal die ein oder andere politisch unkorrekte Pointe ins lachlustige Publikum schleudert.
Den künstlerischen, gestalterischen Mehrwert müsste man mit der Lupe suchen, doch liegt ein bemerkenswerter Schwung in der ganzen Angelegenheit, der durchaus mitzureißen weiß. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass hier eigentlich alle bloß im Rollenspiel leben, dass die Kulturkampfversatzstücke (von denen die Beschneidungsdebatte ja nur eines unter vielen ist) wie Waffen benutzt werden und eigentlich alle über ihre klare Rollenzuschreibungen längst hinaus sind. Der türkische Schwiegersohn (großartig: Eray Eğilmez) lebt ein schwules Doppelleben, und Elifs Sohn Ibrahim (Timur Işık) ist nach einem Ausflug in den Hinduismus gerade zum Judentum konvertiert und nennt sich Abraham B. Schneider. Wenn das Handy klingelt, spricht man mit starkem türkischen Neukölln-Akzent, nur um im nächsten Moment, wenn’s besser passt, perfekt hochdeutsch zu parlieren. So einfach ist das.
Die Darsteller werfen sich mit Würde und Freude in den Klamauk, sind durchgehend zum Knuddeln und spinnen so an der Utopie, dass alles geht und nichts muss, und dass, wenn alle irgendwie lustiger, entspannter und weniger empfindlich wären, das Zusammenleben doch ein Klacks sein könnte. Draußen auf der Straße ist das vielleicht noch nicht lebbar, auf dem Theater aber durchaus: Und das ist, für den Anfang, doch schon mal gar nicht schlecht.

Vorhaut – ein Griff zwischen die Beine
Komödie von Necati Öziri
Regie: Miraz Bezar
Ballhaus Naunynstraße in Berlin

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