Premiere von "Intolerance" vor 100 Jahren

Sperriges Meisterwerk der Stummfilmzeit

Der amerikanische Regisseur und Filmpionier in einer undatierten Aufnahme.
David Wark Griffith wurde am 22. Januar 1875 in Floydsfork geboren und ist am 23. Juli 1948 in Hollywood gestorben. © picture-alliance / dpa - Ullstein
Von Frank Zirpins · 05.08.2016
Der Regisseur David Wark Griffith hat das Medium Film visuell ausgelotet, ihm eine Sprache gegeben, Hollywood als Drehort entdeckt und das Studiosystem miterfunden. Zu den Meilensteinen seines Schaffens gehört neben "Geburt einer Nation" auch "Intolerance" von 1916. Vor 100 Jahren wurde das Epos zum ersten Mal öffentlich gezeigt.
"Unser Schauspiel besteht aus vier getrennten Erzählungen, in unterschiedlichen Perioden der Geschichte, jede mit ihren eigenen Hauptfiguren."
So lautet die erste Texttafel von "Intolerance" - einem sperrigen Meisterwerk der Stummfilmzeit, drei Stunden lang und so komplex erzählt, dass es sein Regisseur nie ganz in den Griff bekam.
"Ich hab' mich auf Langeweile eingestellt sozusagen, wegen der Länge, wegen des Rufs, aber es gibt einfach Momente, die visuell so hervorragend sind, und so technisch brillant sind, überraschend spannend an bestimmten Stellen", urteilt die kanadische Filmprofessorin Robin Curtis.
David Wark Griffith dreht 1908 seinen ersten Film. Zwei Jahre später entdeckt er Hollywood als Drehort - er ist begeistert vom Licht. In der jungen US-Kinoindustrie wird er schnell zum gefeierten Regisseur und Pionier. 1915 gelingt ihm sein größter Erfolg mit "Birth of a Nation – Die Geburt einer Nation", einem dreistündigen Epos über den amerikanischen Bürgerkrieg, das den Ku-Klux-Klan glorifiziert und heute wegen seines rassistischen Inhalts kritisiert wird.
"Man weiß, dass er nach 'Birth of a Nation' praktisch carte blanche hatte. Das heißt, er konnte so viel Geld ausgeben, wie er wollte bei diesem Projekt, weil 'Birth of a Nation' der erfolgreichste Film der Filmgeschichte war, finanziell, bis hin zum Jahr 1939 und 'Vom Winde verweht'."

Planung eines gigantischen Projektes

Griffith ist auf der Höhe seines Ruhms. Der 40-Jährige plant ein gigantisches Projekt. Hauptstory: Ein Paar aus der Arbeiterklasse wird von selbst ernannten Tugendwächterinnen in die Verzweiflung und beinahe in den Tod getrieben – erst in letzter Sekunde gibt es eine Wendung zum Guten. Diese Episode um modernes Pharisäertum verwebt er mit der biblischen Jesus-Passion, dem Massaker der Bartholomäus-Nacht und dem antiken Kampf um Babylon.
"Der Film ist ein äußerst ambitionierter Film, das heißt, es gibt eine extrem komplexe Montage, die Kameraführung ist einmalig bewegt für die Zeit, es gibt eine fotografische Brillanz, absolut massive Requisiten."
Neben den Schauwerten mit gigantischen Sets und tausenden von Statisten geht es Griffith vor allem um seine Botschaft. Er will erläutern, wie gesellschaftliche und religiöse Intoleranz zu Leid und Gewalt führen.
Im Schnitt muss Griffith die Geschichten von rund 20 Hauptfiguren verknüpfen, verkörpert von Stars wie Mae Marsh und Robert Harron. Er kämpft mit Hunderten von Einstellungen und Texttafeln. Im Sommer will er seinen Film vor einem unvoreingenommenen Publikum testen. Die Wahl für die erste Vorstellung fällt auf Riverside, 50 Kilometer östlich von Los Angeles.
"Interessanterweise hat er Testvorführungen gemacht unter einem italienischen Pseudonym, das heißt, er wollte nicht, dass der Film als ein Griffith-Film gesehen wird."

Gefeiert als "künstlerischer Triumph"

Am 5. August 1916 erscheint Griffith selbst zu der Aufführung im "Orpheum Theater", begleitet von seinem Star Lilian Gish. Die örtlichen Zeitungen sind voll mit Berichten über diesen Auftritt. Der "Riverside Enterprise" berichtet von einem "künstlerischen Triumph" und lobt:
"Die Fotografie ist einfach nur wundervoll, die Bauten großartig. Die Schauspieler sind superb, ohne Ausnahme. Kritisieren mag man, dass einige Szenen überzogen sind und etwas melodramatisch wirken."
Die "Daily Press" befindet:
"Dies war seine erste Aufführung. Nun muss der Film noch neu geschnitten und poliert werden."
Welchen Film die Zuschauer in Riverside gesehen haben, das lässt sich heute nicht mehr sagen. Denn Griffith schneidet tatsächlich neu, immer wieder, auch nach der Premiere in New York am 5. September 1916. Ganze Szenen fallen weg, andere kommen hinzu.
"Das Interessante an 'Intolerance' für die Filmgeschichte ist gerade diese Unklarheit in Bezug auf die echte Fassung."

Kein kommerzieller Erfolg

Finanziell hat sich die Arbeit nicht gelohnt – spätestens nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg kommt der pazifistische Unterton des Werks nicht mehr an beim Publikum. Und die Filmzuschauer sehnen sich nach einem glücklichen Ausgang – in "Intolerance" enden drei der vier Geschichten tragisch.
"Man muss aber sagen, dass Filme, die als Flops gelten im populären Bewusstsein, oftmals überraschende Momente der Schönheit in sich enthalten, das ist das Hervorstechende an 'Intolerance'."
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