Premiere nach dem Tod

Von Renate Hellwig-Unruh · 10.02.2006
Seinen größten Erfolg als Opernkomponist hat Jacques Offenbach selbst nicht mehr miterlebt. Als "Hoffmanns Erzählungen" am 10. Februar 1881 uraufgeführt wurden, da lebte der Komponist bereits seit vier Monaten nicht mehr. Auch wenn Offenbach das Werk unvollendet hinterließ, hat das dem Erfolg der Oper nicht geschadet.
"Beeilen Sie sich, mein Stück herauszubringen! Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, und ich möchte die Premiere unbedingt erleben","

schrieb Jacques Offenbach kurz vor seinem Tod an Léon Carvalho, Direktor der Pariser Opéra-Comique. Der Komponist von Kassenknüllern wie "Orpheus in der Unterwelt", "Die schöne Helena" und "Die Großherzogin von Gerolstein", konnte zwar immer noch in Rekordgeschwindigkeit komponieren, doch er spürte deutlich, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Er soll das Manuskript seiner fantastischen Oper "Hoffmanns Erzählungen" in den Händen gehalten haben, als er seine letzten Atemzüge tat. "Hoffmanns Erzählungen" blieben Fragment. Vollendet hat sie Offenbachs Freund, der Musiker Ernest Guiraud, der die Instrumentierung erstellte und Teile des 4. und 5. Aktes bearbeiten musste; derselbe Ernest Guiraud, der auch die Rezitative zur "Carmen" des früh verstorbenen Georges Bizet geschrieben hatte.

Als die Premiere von "Hoffmans Erzählungen" am 10. Februar 1881 in der Pariser Opéra-Comique stattfand, war Jacques Offenbach bereits vier Monate tot. "Toutes Paris" hatte sich am Tag der Uraufführung versammelt, um dem "Mozart der Champs Elysées", wie er auch genannt wurde, posthum zu huldigen. Die Spitzen von Regierung und Gesellschaft waren anwesend, der Erfolg der Oper überwältigend.

Die Barkarole, sein wohl bekanntestes Stück, hatte Offenbach ursprünglich für eine andere Oper komponiert. "Hoffmanns Erzählungen" gehen auf ein Drama gleichen Namens von Jules Barbier und Michel Carré zurück, die Handlung auf Motive und Figuren einzelner Erzählungen von E.T.A. Hoffmann. Eduard Hanslick, einer der einflussreichsten Musikkritiker seiner Zeit:

""Dass sich Offenbach gerade diesem Stoff leidenschaftlich hingab, erscheint seinen Freunden nicht so unerklärlich. Hoffmanns Gespensterwelt übte stets einen starken Reiz auf Offenbach aus; in seinen letzten Jahren sah der Arme selber aus wie irgendein durchsichtig blasser, schwermütig lächelnder Geist aus den Serapionsbrüdern."

Der Komponist lässt den Dichter E.T.A. Hoffmann in einer Rahmenhandlung selber auftreten und drei seiner Liebesabenteuer erzählen. Alle enden unglücklich, entweder durch Tod oder Verrat der Geliebten. Offenbach macht es den Zuhörern nicht leicht, die Handlung spielt auf mehreren Ebenen. Sollen Stella, Olympia, Antonia und Giulietta von einer Sängerin dargestellt werden, weil sie nur Facetten ein und derselben Person sind? Und wie steht es mit den vier dämonischen Gegenspielern Lindorf, Coppélius, Dapertutto und Dr. Miracle? Am Schluss bleibt der enttäuschte und betrunkene Hoffmann allein zurück, auch Stella, seine jetzige Geliebte, wendet ihm den Rücken zu. Einziger Trost bleibt ihm die Muse, die den Dichter liebt und ihm anstatt irdischer Vergnügen Unsterblichkeit verspricht.

Als Kind eines jüdischen Musiklehrers in Köln geboren, lebte Offenbach fast ausschließlich in Paris. Aus Jacob wurde Jacques und trotz seines auffälligen deutschen Akzentes, den er nie ablegte, entwickelte er sich zum Prototyp des Pariser Künstlers und Flaneurs. Anfangs schlug er sich als Orchestermusiker durch, spielte in Salons virtuos das Cello, arbeitete später als Kapellmeister, bis er dann 1855 sein eigenes Theater eröffnete, das Bouffes-Parisienne, für das er einen großen Teil seiner fast 100 gesellschaftssatirischen Operetten, auch "Offenbachiaden" genannt, komponierte.

"Ich habe ein schreckliches, unüberwindbares Laster, ich arbeite die ganze Zeit. Ich habe Mitleid mit den Leuten, die meine Musik nicht mögen, denn ich werde wahrscheinlich mit einer Melodie in der Feder sterben."

Was dann auch tatsächlich geschah. Obwohl Jacques Offenbach nicht nur eine große Oper geschrieben hat, wie gerne behauptet wird, gelang ihm erst mit "Hoffmanns Erzählungen" der ganz große Wurf. Das Werk ist, wenn auch in stark voneinander abweichenden Fassungen, nicht aus dem Repertoire der Opernbühnen wegzudenken.