Premiere in Rom

Ein Mafiaboss auf der Theaterbühne

Italienische Polizisten stehen vor einem Gebäude.
Italienische Polizisten auf der Suche nach Mitgliedern der Camorra. Boss Cosimo Rega haben sie vor einiger Zeit geschnappt. © De Martino/Frattari
Von Thomas Migge · 25.11.2015
Im römischen Teatro Vascello feierte ein Stück über den ehemaligen Mafiaboss Cosimo Rega Premiere. Die Aufführung war äußerst überzeugend - denn Rega spielte sich selbst. Hinter Gefängnismauern hat er ein neues Leben als Schauspieler und Autor begonnen.
"Eine wirklich gelungene Aufführung! Die Schauspieler sind sehr überzeugend."
"Das hier ist ergreifend und hat mir sehr, sehr gefallen."
Zwei Meinungen zu einem neuen Theaterstück, dessen Hauptdarsteller der wohl weltweit ungewöhnlichste Schauspieler ist. Er hat keine Wohnung und kann sich nicht frei bewegen. Wenn er in Rom, und nur dort darf er unterwegs sein, von A nach B will, dann muss er das einer Polizeidienststelle melden. Und wenn er abends zu spät in seine Zelle zurückkommt, dann hat er am nächsten Tag keinen Ausgang. Cosimo Rega, 64, ist ein sogenannter "ergastolano", ein zu lebenslanger Haft verurteilter ehemaliger Mafioso der organisierten Kriminalität, der Camorra. Seine Lebensgeschichte, vor einigen Jahren als Autobiografie erschienen, wird jetzt im römischen Teatro Vascello als Theaterstück nacherzählt. Im Publikum erschienen viele bekannte Schauspieler wie Alessandro Gassman und auch Justizprominenz, zum Beispiel Pietro Grasso, Antimafiastaatsanwalt und heute Präsident des italienischen Senats.
Eine Kindheit in Armut, erste kriminelle Delikte, mit Freunden aus der Nachbarschaft. Eine frühe Ehe, noch als Minderjähriger wird er Vater. Dann Schwerverbrechen, enge Beziehungen zu mächtigen Camorrabossen und schließlich wurde Rega in der Stadt Salerno, südlich von Neapel, einer der gefürchtetesten Kriminellen. Die Verhaftung und das Urteil: lebenslang im Hochsicherheitstrakt.
Hinter Gittern entwickelt Rega sich zu einem mehr als nur vorbildlichen Häftling. Er zeigt Reue, arbeitet mit der Justiz zusammen und hilft bei der Verhaftung anderer Mafiosi. Er beginnt mit einem Philosophiestudium, das er im kommenden Jahr abschließt, er schreibt seine Biografie, gründet im römischen Gefängnis Rebibbia Italiens erste Theatergruppe für Schwerverbrecher und wird von den italienischen Regisseurbrüdern Taviani als einer der Hauptdarsteller für ihren Film "Cäsar muss sterben" ausgewählt, der 2012 in Berlin den Goldenen Bären gewann. Vor einigen Jahren erhielt Rega Hafterleichterungen. So darf er zum Beispiel für die Dauer des Theaterprojekts, das seine Autobiografie in 14 Szenen auf die Bühne bringt, jeden Tag von Nachmittags bis abends seine Zelle verlassen. Allerdings muss er bei einer Polizeidienststelle immer genau angaben, wo er sich wie lange aufhält.
Schreiben, studieren, schauspielern - das ist heute der Lebensinhalt von Cosima Rega:
"Ich verdanke alles der Kultur. Bevor ich sie kennenlernte, war mein geistiger Horizont beschränkt auf einen ganz bestimmten Lebensstil. Nur mit ihrer Hilfe begriff ich wirklich, wer ich eigentlich war und bin und nur so wurde mit bewusst, was ich angestellt habe."
Ist der Wandel des Cosimo Rega ehrlich?
Eine ehrliche Läuterung? Zumindest nach seinen eigenen Aussagen. "noveEtrentatrè", 9 und 33, heißt das Theaterstück, in dem Cosimo Rega sich selbst spielt und junge Nachwuchsschauspieler den jungen Rega und sein kriminelles Umfeld darstellen. Die Regisseurin Tiziana Sensi hatte zusammen mit dem Theaterautor Demetrio Sacco die Idee, aus der Autobiografie ein Theaterstück zu machen. Sensi geht es in "noveEtrentatrè" um das Thema Haft und Kultur im Leben von Cosimo Rega:
"Bei so einem Thema erwarten alle, dass man über Camorra und das Leben im Knast spricht. Nein, uns geht es darum zu erzählen, wie Kultur einer Person hinter Gefängnismauern Schönheit und den Sinn am Leben schenken kann."
Der Titel des Stücks "9 und 33" bezieht sich auf die Artikel 9 und 33 der italienischen Verfassung. Darin ist vom Recht auf Kultur für alle Bürger in allen nur denkbaren Lebensumständen die Rede. Also auch hinter Gefängnismauern.
Cosimo Rega musste für dieses Recht kämpfen:
"Ich spürte, dass ich nicht nur überleben, sondern leben wollte, lesen, studieren, den Horizont erweitern, und so trat ich in einen Hungerstreik. Als Häftling in einem Hochsicherheitstrakt, der ich damals noch war, hatte ich auf nichts ein Recht. Nach zwei Monaten Hungerstreik wurde ich erhört und durfte langsam mein Leben verändern."
Am Ende des Theaterabends erscheint der ehemalige Mafioso allein auf der Bühne. Auf dem Kopf trägt er eine Krone, die, erklärt er, schwer wiegt. Denn, sagt er, es ist Hamlets Krone. Rega sieht sich in der Rolle des dänischen Prinzen Hamlet, der alle Beteiligten seines Lebens ins Unglück stürzte. Was aus seinen Opfern und deren Angehörigen wurde, das wird in dem Theaterstück nicht thematisiert, und das ist auch in Regas Autobiografie kein Thema. Das Theaterstück zeigt nur eine Binnensicht. Es endet mit Regas sicherlich überzeugend vorgetragener Einsicht, dass er sich zwar nicht von seiner Schuld befreien kann, dass er aber begriffen hat, dass ein ganz anderes Leben für ihn möglich ist.
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