Premiere in Berlin

Die Gruft der Revolutionäre

Der Dramatiker Heiner Müller. Der DDR-Schriftsteller und Dramaturg Heiner Müller, aufgenommen Ende August 1995 auf dem Helsinki Festival. Das Berliner Ensemble Theater führte dort sein Stück "Quartett" auf.
Der Dramatiker Heiner Müller im August 1995. © dpa / pa / Peltonen
Von Andrea Gerk · 16.01.2015
Heiner Müllers Stück "Zement" am Maxim Gorki Theater wirkt wie ein verfremdetes Historienstück, das seltsam kalt lässt - auch wenn Regisseur Sebastian Baumgarten überzeugende Ideen hat.
Als Prolog zu Sebastian Baumgartens Inszenierung von Heiner Müllers 1973 am Berliner Ensemble uraufgeführtem Stück "Zement" tritt Thomas Wodianka – mit der typischen Heiner-Müller-Hornbrille - an die Rampe und hält einen kurzen Monolog: ein Ausschnitt aus Heiner Müllers Autobiografie, in dem der Autor erklärt, weshalb er im System des realexistierenden Sozialismus geblieben ist.
Dann beginnt eine Art Revolutions-Revue, die den sperrigen Text mit den Mitteln des Pop zu erzählen versucht: die Figuren steigen aus einer Art Gruft auf die Bühne, bewegen sich ungelenkt wie Zombies in ihren neuen, noch ungewohnten Rollen nach der großen, der alles verändernden Revolution. Elektronische Beats, Projektionen und Animationen, Soundeffekte wie aus einem Computerspiel und eine distanzierte, bewusst stilisierte Spielweise verfremden das Revolutionspathos, so dass der Text wie entkernt wirkt und bei allem Tempo und Rhythmus den diese Inszenierung zweifellos hat, dennoch seltsam kalt lässt.
Hartmut Meyer hat ein graues Halbrund auf die Bühne gebaut, eine zementfarbene Wand vor denen in hohem Tempo und mit durchaus originellen szenischen Ideen der neue Mensch verhandelt wird. Allein, dass den Schauspielern ihre Hemden auf den Körper gemalt sind, was sie nackt und schutzlos erscheinen lässt, ist eine überzeugende Setzung. Auch mit den Video-Projektionen findet Baumgarten eindringliche Bilder, etwa wenn er ein ruinöses Zementwerk auf die Wand projiziert, und das Bild sich mittels mit Wasser zu füllen scheint, so dass der davor stehende, mit den Armen rudernde Maschinist darin abzusaufen scheint.
Trotz dieser stimmigen Übersetzung erscheint der Text aber über weite Strecken wie ein Historienstück, das kaum Berührungspunkte zu unserer heutigen Wahrnehmungswelt hat. Das verwundert umso mehr, als unsere Welt ja gerade in jüngster Zeit von gescheiterten Revolutionen geprägt ist.
Womöglich rührt das Absurde und Entrückte des Abends auch daran, dass selbst die privaten Erschütterungen, mit denen die Figuren kämpfen (etwa die Szene in der die beiden Hauptfiguren Gleb und Dascha ihr einziges Kind verlieren) und die uns heute unmittelbarer bewegen als die Rhetorik des Klassenkampfes, genauso schnell und unpersönlich verhandelt werden. Ein schneller, in sich schlüssiger Abend, der doch keine überzeugende Antworten findet auf die offenen Fragen der jüngeren und jüngsten Geschichte.
Informationen des Maxim Gorki Theaters zur Inszenierung von "Zement"
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